Wr. Staatsoper, 15.9.2022
Es wurde schon viel über die Inszenierung von Calixto Bieto geschrieben, immerhin ist diese ja auch schon um die 20 Jahre alt. Meine ersten Eindrücke davon kann man in meiner Besprechung der Aufführung vom 9.6.2021 nachlesen, jetzt noch ein paar Ergänzungen dazu.
Im Gegensatz zu vielen Kolleginnen und Kollegen bin ich wahrscheinlich dem „Regietheater“ gegenüber aufgeschlossener, habe aber auch da meine Grenzen. Nun, Bietos Interpretation des Carmen-Stoffes ist keine romantische, im Gegensatz, er zeigt die Abgründe der Menschen auf. (Anmerkung – das zieht sich in seinem Schaffen durch die meisten seiner Inszenierungen; da kommt bei mir der Gedanke hoch, dass – ähnlich wie bei Woody Allen – Bieto den Vorteil hat sich selbst therapieren zu können und dafür auch noch bezahlt zu bekommen…). Also – kein buntes Treiben am Marktplatz von Sevilla, keine anheimelnde Lillas Pastia-Spelunke, keine zerklüftete Berglandschaft – sondern eine fast leere Bühne mit wenigen Versatzstücken, eine spanische Enklave in Nordafrika (gemäß der Aussage des Regisseurs).
Ja, kann man so machen und (wenn man das Wort „Sevilla“ ändert) die Szenerie wirkt plötzlich „modern“. Die Besucher der Vorstellung müssen sich einen Ort in der Wüste vorstellen (in der es auch eine Stierkampfarena gibt … ja, nicht alles ergibt Sinn…) und schon sind gewisse Regieeinfälle nachvollziehbar.
Das Leben eines Soldaten ist kein Honiglecken, besonders wenn es sich um Berufssoldaten handelt (Beispiel – die französische Fremdenlegion). Der junge Mann, der zu Beginn des 1.Aktes seine Runden drehen muss (bis er erschöpft niederbricht) zeigt dies. Glücklicherweise hat er sich dann bis nach der Pause im 2.Akt so weit erholt dass er sich dann gleich nackt auszog, eine Balletteinlage absolvierte (er dürfte einen Stierkämpfer dargestellt haben) und mit seinen Kronjuwelen herumwedelte… DEN Sinn dahinter habe ich nicht verstanden (was ich im Übrigen auch bei der Nemirova-Inszenierung von Macbeth nicht verstand, als sie König Duncan nackt über die Bühne tänzeln ließ, den „kleinen Duncan“ entblößend.
Das Zusammentreffen der Autos in der Wüste – ja, das machte absolut Sinn für mich (siehe „Breaking Bad“) und die Massenszene zu Beginn des 4.Aktes war großartig – vom Publikum auch mit frenetischem Beifall bedacht.
Elina Garanca – eine wunderbare Sängerin mit stupender Technik, einer dunkler gewordenen Stimme, einem betörenden Timbre -> und als Carmen in dieser Produktion absolut fehlbesetzt. Sie ist vom Typ her prinzipiell die kühle Blonde a la Hitchcock und kein rassige Südeuropäerin, da helfen auch rote und schwarze Perücken nicht. Und in dieser Inszenierung, die – wie oben beschrieben – die Abgründe der Menschen herausarbeitet und die Sänger zwingt, aus sich herauszugehen, war es ihr nicht möglich, dies auch irgendwie glaubhaft darzustellen.
Piotr Beczala erhielt nach der Vorstellung mehr Applaus als „seine“ Carmen – das ist schon bemerkenswert. Ich finde, dass Beczala wahrscheinlich am Höhepunkt seiner Schaffenskraft ist. Neben berührenden Piani gelangen ihm auch fast heldenhafte Ausbrüche, er stellte auch das „Muttersöhnchen“ glaubhaft dar. Dies war ein Don Jose, der von Beginn des Stückes an schon verroht ist und seine Carmen schon im 2.Akt schlägt. Das Ende mit Schrecken konnte man da schon vorausahnen..
In den anderen Besprechungen dieser Carmen-Serie kam der Darsteller des Escamillo, Roberto Tagliavini, nicht so gut davon. Dem möchte ich widersprechen, an diesem Abend empfand ich ihn vom sängerischen her als einen der besseren Sänger in dieser Rolle, die ich in den letzten 20 Jahren in Wien erlebt habe. Und ich wiederhole mich – Samuel Ramey ist er keiner – aber Tagliavini hat eine sehr gute Mittellage und ansprechende Tiefe. Ob man ihm den Torero/Schmuggler abnimmt? Na ja…
Slavka Zamecnikova debütierte in der Rolle der Micaela zu Beginn dieser Serie und sie machte ihren Job gut, aber auch nicht mehr. Aber das ist vielleicht auch der Produktion geschuldet, wo Micaela nicht als das romantische und leidende Mädchen dargestellt wird. Dementsprechend ließ der Dirigent Yves Abel (der mit dem Staatsopernorchester großartig aufspielen ließ) bei ihrer Arie im 3.Akt fast das komplette romantische Beiwerk außen vor, was allerdings die Wirkung des Auftrittes da ziemlich schwächte.
Maria Nazarova und Isabel Signoret waren rollendeckende Freundinnen der Carmen (wobei Signoret einen Tick glaubwürdiger wirkte), Carlos Osuna und Michael Arivony wurden an Stelle von Schmugglern in die Rollen von „Peitscherlbuam (= wienerisch für Zuhälter) gedrängt und zeigten ihr Talent ebenso wie die sehr glaubwürdig agierenden Ilja Kazakov (Zuniga) und Stefan Astakhov (Morales).
Zuletzt möchte ich noch Yta Moreno erwähnen, der als Lillas Pastia eine Art Confrencier spielt und Lena Dobija. Sie stellt ein Mädchen dar (gibt es im Original nicht), das in dieser Gesellschaft keine Zukunft hat und schon ausgenutzt wird. Man kann sich denken, als was und wie sie dereinst enden wird.
Insgesamt eine musikalisch zufriedenstellende Vorstellung, der aber das gewisse „Etwas“ in der Form einer glaubwürdigen Hauptdarstellerin fehlte. Und wenn man nicht in die Oper geht, um sonnendurchflutete Marktplätze und romantisierende Kostüme erwartet, sondern auch gewillt ist, ein wenig unter die Oberfläche der menschlichen Natur zu sehen, kann man mit der Produktion gut leben.
Kurt Vlach