Uraufführung/Premiere am 21. Dezember 2019
Auftragswerk der Wiener Staatsoper
Weihnachtszeit ist Kinderopernzeit, und man freut sich diesbezüglich über Abwechslung. Die Staatsoper hat eine solche mit der Uraufführung der einstündigen „Persinette“ zu bieten, eine drollige „Rapunzel“-Fassung, opulent in Musik und Szene, also genau das Richtige für Jung und Alt.
Wenn Albin Fries auch darauf besteht, „schöne“ Musik zu komponieren, so ist das, was aus dem Graben und von der Bühne erklingt, doch weder einfach noch gar simpel. Man hört eine wirklich anspruchsvolle musikalische Konstruktion, die aus dem kleinen Werk gewissermaßen „große Oper“ macht.
Eine feine Sache ist der Orchesterteil, groß, aber nie „dick“, meisterlich im Einsatz von Soloinstrumenten, die immer wieder – nach dem Beispiel großer Vorbilder – ihr originelles Eigenleben führen dürfen. Bloß stellenweise ist das Gebotene so ausdrucksstark illustrierend, dass einem unbotmäßigerweise der Begriff „Filmmusik“ dazu einfiele. Aber die gibt es ja auch in allen Qualitätsstufen, und diese her wäre zumindest einen „Oscar“ wert.
Die Singstimmen behandelt Fries zwar nie so, dass er Sänger und Zuhörer mit Antonalität quälte, aber die Anforderungen sind hörbar hoch, an alle Beteiligten, aber die haben ja auch besonderen Spaß daran, dass es ihnen nicht leicht gemacht wird.
Ja, und warum sind die „bösen Hexen“ immer die besten Rollen, auch wenn Fries seine Titelheldin sehr fordert? Dennoch – Humperdinck hat es vorgemacht, Fries zieht nach – prickelnd wird die Geschichte von dem Moment an, als die Hexe auftritt und von dem armen Ehepaar, die Frau ist schwanger, das Kind verlangt. Und wenn sie sich dann später mit Hexenhut „outet“, wenn sie grünhaarig und großstimmig über die arme Persinette und den armen Raben herrscht, dann fährt Monika Bohinec zu wahrer Kraft von Stimme und Persönlichkeit auf. Manchmal erinnert das, was Fries – obere und untere Register ausreizend – ihr hier schreibt, entfernt an Wagner, da kombinieren sich Belcanto und Ausdruck, da nützt eine Sängerin ihre Chancen und Möglichkeiten.
Desgleichen Bryony Dwyer als die entzückende Persinette im roten Kleidchen (Kostüme: Constanza Meza-Lopehandía), den langen, langen Zopf (mit eingeflochtenem roten Band) kokett schwenkend. Das ist ein flottes Persönchen, das da im Turm eingeschlossen ist und brennendes Interesse an dem Leben „da draußen“ zeigt. Und sie singt ihre Sehnsüchte, ihren Protest und schließlich das Liebesglück mit dem Prinzen mit absolut dramatischem Aplomb, ohne je überfordert zu klingen.
Bleiben wir bei den Damen und bedauern, dass die Mutter-Rolle der Regina Hangler so kurz ausgefallen ist. Sie lässt zu Beginn prachtvoll glockenklare Töne hören, verschwindet dann und darf zum Happyend zwar auftauchen, aber nicht mehr viel beitragen. Auch ihr braver Mann (Orhan Yildiz) bleibt eher am Rand.
Der Prinz hingegen (Lukhanyo Moyake) darf tenoral durchaus ausschweifen, der Sänger tut es mit Glanz, der nur manchmal leisen Blechklang mitschwingen lässt. Als Rabe ist Sorin Coliban drollig, seine dunkle Töne mischen sich in das schon vom Komponisten her ausgewogene Stimmen-Ensemble. Und Dirigent Guillermo García Calvo taucht sie alle geradezu in die Musik.
Bloß, dass die akustische Verständlichkeit des Textes über weite Strecken dann „auf der Strecke“ bleibt – das ist nicht nur schade, sondern mag das Verständnis mancher Details erschweren. Die Erwachsenen können mitlesen, aber die Kinder? Nun gut, denen geben Musik und Szene die Stimmung dessen, was geschieht. Librettistin Birgit Mathon hat die Geschichte von „Rapunzel“ zwar einfach erzählt, aber doch genügend Details eingebracht, die man nicht von Anfang an kennt – die Mutter-Sehnsucht der Hexe zum Beispiel, die dann in ihrer Rachsucht den Prinzen erblinden und Persinette ertauben lässt. Dennoch steckt ein guter Kern in ihr, sonst würde ihr das Herz angesichts der großen Liebe nicht weich. Und der „Rabe“, der als komischer Schwarz-Klecks in die Geschichte kommt (allerdings bleibt die Rolle im Hintergrund), verwandelt sich in einen Menschen, der der Hexe sogar einen Heiratsantrag macht. Wenn Persinettes Eltern am Ende wieder auftauchen, stehen dann drei glückliche Paare auf der Bühne. Im Märchen soll, kann, muss das so sein.
Regisseur Matthias von Stegmann macht aus dem Stück ein Riesenspektakel, das vielfach optisch überwältigt, gleichzeitig witzig und hoch praktikabel ist, wobei die Burg mit dem hohen Turm meist präsent bleibt. Wenn die Geschichte bei dem armen Ehepaar beginnt, dann klappt sich für sie rechts eine kleine Hütte auf (in der am Ende alle Protagonisten verschwinden – so schließt sich die Handlung). In der Folge erweitert sich das Geschehen in den Garten der Hexe, immer wieder in die Burg, wo Persinette dann gefangen gehalten wird. Und wenn man mit Hilfe ihres Zopfes den Turm hinaufklettert – dann machen das die Videoprojektionen, die auch für die meisten phantastischen Verwandlungen verantwortlich sind. Da purzeln die Bilder und Videos, die sich Marc Jungreithmeier ausgedacht hat, nur so herum, von der Burg wie aus dem Bilderbuch zu bunten Baukasten-Klötzen und anderen Effekten (sogar Feuerwerk).
Neben einer durchaus stimmigen Personenführung, ist das eigentlich die Inszenierung – und sie entspricht Kindern und einer Welt, in der sie täglich mit genau dieser Digitalisierung konfrontiert sind. Und wenn die Blumenorgien manchmal kitschig werden, so ist das einfach – Märchen… Auch das muss es noch geben. Der herzliche, mit „Bravos“ bestückte Beifall des ausverkauften Vormittags (Balkon und Galerie allerdings geschlossen, weil man nicht riskieren will, dass Kindern da oben etwas passieren könnte) zeigte jedenfalls viel Zustimmung. Auch wenn man vielleicht nicht alles genau verstanden hat…
Renate Wagner, 24.12.2019
Bilder (c) StOp Pöhn