Bremen: „33. Musikfest“, Teil 1

Wieder ein vielfältiges Angebot

Ein norwegisches Orchester und ein norwegischer Komponist – das ist so etwas wie ein Heimspiel. Das Bergen Philharmonic Orchestra spielte unter der Leitung von Edward Gardner das Klavierkonzert a-Moll op. 16 von Edvard Grieg mit dem Isländer Vikingur Ólafsson am Klavier. Zu hören in der Glocke bei der „Großen Nachtmusik“ mit der das 33. Musikfest Bremen eröffnet wurde. Im ausgedehnten Kopfsatz überzeugt Ólafsson mit kraftvollem Ton und perfekter Technik. Das Klavier bestimmt weitgehend den musikalischen Fluß, obwohl Gardner in den häufig rein sinfonischen Teilen mit dem Orchester auch markante Akzente setzen kann. Die ausgedehnte Kadenz zeigt Ólafsson als brillanten Virtuosen. Nach dem 1. Satz brach das Publikum in begeisterten Jubel aus. Im Adagio gelingt es Ólafsson, eine intime, geradezu bezaubernde Stimmung zu beschwören, bevor es nahtlos in den wuchtigen, von norwegischen Volkstänzen inspirierten Schlusssatz geht. Pianist und Orchester steigern die stampfenden Rhythmen zu einem furiosen Finale. Ólafsson bedankte sich mit einem von Béla Bartók eingerichteten ungarischen Volkslied.

Zu Beginn gab es mit La Valse ein Meisterwerk von Maurice Ravel zu hören. Wie aus einem unterirdisch brodelnden Vulkan wird der Walzer geheimnisvoll angedeutet und quasi geboren. Der Vulkan bricht schnell aus und Gardner lässt das Orchester in opulenter Pracht aufrauschen. Diese temporäre Walzerseligkeit wird aber immer wieder gebrochen und kehrt sich in fahle, fast dämonische Klänge. Gardner und das Bergen Philharmonic Orchestra spielen dieses Werk voll ambivalenter Stimmungen mit ausgefeilter Dynamik, raffinierten Tempowechseln und bestechender Klangkultur.

Im Bremer Dom gab es ein totales Kontrastprogramm: Die Niederländische Bachvereinigung musizierte das Magnificat Wq 215 von Carl Philipp Emanuel Bach. Es ist eines seiner am frühesten geschaffenen Vokalwerke (1749) und besteht aus neun Abschnitten (Chöre, Arien, Duette). Die Niederländische Bachvereinung wurde 1921 gegründet und gilt als eines der ältesten Barockensembles. Sein Leiter, der Violinist Shunske Sato, sorgte für eine sehr ansprechende, authentische Wiedergabe. Die Akustik des Doms erwies sich allerdings als etwas problematisch. Am besten kamen die Chorpassagen zur Geltung. Als Solisten wirkten Kristen Widmer (Sopran), Reginald Mobley (Countertenor), Johannes Chum (Tenor) und Felix Schwandtke (Bass) mit, wobei die Sopranistin mit ihrer klaren Stimme und der Countertenor mit seiner stilsicheren Gestaltung am meisten überzeugten. Sehr gut gelang das Duett Deposuit potentes zwischen Counter und Tenor.

Das Hypnotic Brass Ensemble war schon im letzten Jahr mit seinem Programm „The Bad Boys of Jazz“ angekündigt. Diesmal traten sie tatsächlich im Innenhof des Landgerichts auf. Das Ensemble stammt aus Chicago und besteht aus sieben Brüdern, allesamt Söhne des großen Jazzmusikers Phil Cohran. Verstärkt werden sie durch ein Schlagzeug und eine Bass-Gitarre. Ihre Musik ist eine Mischung aus Soul, Funk, Hip-Hop, Jazz und Afro-Beat. Ihre Instrumente (Trompete, Posaune, Saxophon, Baritonhorn) beherrschen sie perfekt. Wenn sie gemeinsam loslegen, gibt es kein Halten mehr. Aber jeder für sich überzeugt auch solistisch. Die einzelnen Titel verändern sich im Klang und im Stil zwar kaum, aber es gelingt ihnen, das Publikum zum Tanzen oder Klatschen mitzureißen. Dabei hüpfen alle oder mindestens einer ständig auf der Bühne herum. Diese Art Show mag manchmal übertrieben sein, aber ohne Wirkung bleibt sie nicht. Hier wurde Energie pur transportiert. (20.8.2022)

Die Sinfonie Nr. 7 E-Dur zählt (neben der Sinfonie Nr. 4) zu den meistgespielten Werken von Anton Bruckner. Das Orchester Anima Eterna Brugge sorgte unter der Leitung von Pablo Heras-Casado in der Glocke für eine tief bewegende und begeisternde Wiedergabe.

Bruckner hatte die Sinfonie dem Wagner-Mäzen König Ludwig II. gewidmet. Bruckners Bewunderung für Wagner war grenzenlos. Im Adagio dieser Sinfonie verwendet er auch erstmalig in seinem Werk die speziellen Wagner-Tuben.

Das auf historischen Instrumenten spielende Orchester produziert einen weichen, geradezu lieblichen Klang. Der monumentale Kopfsatz zeichnet sich durch eine für Bruckner eher ungewöhnliche melodische Eingängigkeit aus. Heras-Casado betont diese Eigenschaft und rückt die Sinfonie damit fast in die Nähe von Robert Schumann. Die Musik atmet und assoziiert sonnendurchflutete Natur. Trotzdem kommt die Struktur von Bruckners Klangarchitektur dabei nicht zu kurz. Der 2. Satz (Adagio) ist ein Trauermarsch, der von Heras-Casado aus großer Ruhe heraus grandios gesteigert wird. Hier wird äußerst kraftvoll musiziert, aber nie mit Brachialgewalt. Beim koboldartigen, kurzen Scherzo werden die Motive markant herausgearbeitet, bevor das majestätische Finale an die Themen des Kopfsatzes anknüpft. Pablo Heras-Casado und Anima Eterna gelingt mit höchster Spielkultur insgesamt eine etwas andere Sicht auf Bruckners Monumentalwerk. Das Motto des Abends, „Romantik pur“, erweist sich als absolut zutreffend. (25.8.2022)

Rigoletto von Giuseppe Verdi ist beim diesjährigen Musikfest die einzige Oper im Programm. Bestritten wurde der Abend von dem Orchester Le Cercle de l’Harmonie unter seinem Dirigenten Jérémie Rhorer und einem überwiegend großartigen Sängerensemble.

Im 1. Bild der Oper schien Rhorer aber seine Tugenden, die er bei vergangenen Auftritten bewiesen hat, über Bord geworfen zu haben. Besonders bei Mozart (aber auch bei Verdi 2019 mit „La Traviata“) zeichneten sich seine Interpretationen durch ein differenziertes Klangbild und eine sensible Ausformung der Musik aus. Beim Rigoletto hatte er aber zu Beginn nur ein überhetztes, starres Tempo und ein Dauerforte zu bieten. Das schlug sich auch in kleinen Unsicherheiten der Blechbläser nieder. Aber bald fand Rhorer zu gewohnter Form zurück und überzeugte letztlich doch noch mit einer spannungsvollen und bewegenden Lesart, bei der es immer wieder dramatische, manchmal knallige Zuspitzungen gab.

An diesem Abend hätte die Oper auch „Gilda“ heißen können. Denn Olga Peretyatko stand mit ihrer singulären Gestaltung der Partie im Mittelpunkt. Ihr warmer, technisch perfekt geführter Sopran begeisterte mit klarem, aufblühendem Ton und vielen wunderschönen Piani. Die große Arie „Caro nome“ geriet dank der sehr differenzierten Gestaltung von Peretyatko zum umjubelten Höhepunkt der Aufführung.

Als Herzog von Mantua stand ihr der armenische Tenor Liparit Avetisyan zur Seite. Seine Stimme zeichnet sich durch einen in allen Lagen runden Klang, eine sichere Höhe und ein ausgesprochen schönes Timbre aus. Er sang seine Partie mit stimmlichem Draufgängertum, mit viel Schmelz und leidenschaftlichem Herzblut. Avetisyan ist ein Charmeur, der um seine Wirkung weiß: Unmittelbar bevor er „La donna e mobile“ grandios schmetterte zeigte seine Mimik eine geradezu diebische Vorfreude auf diesen Opern-Hit.

Dalibor Jenis sang die Titelpartie. Sein Rigoletto hatte viele gute Momente. Wenn er seinen Bariton voll „aufdrehte“, strömte die Stimme mit viel Wohlklang. Im Piano verlor sein Gesang allerdings etwas an Substanz und Ausdruckskraft. Gleichwohl konnte er die Tragik des Hofnarren überzeugend vermitteln. Und in den Duetten mit Gilda sowie in seiner zentralen Szene „Cortigiani vil razza dannata“ blieb er der Partie nichts schuldig.

Bei dem aus Odessa stammenden Bassisten Alexander Tsymbalyuk bedauerte man, dass die Partie des Mörders Sparafucile relativ kurz ist. Selten hört man in dieser Rolle eine so fulminante Tiefe bei trotzdem schlanker Stimme. Tsymbalyuk hinterließ mit starker Ausstrahlung einen bleibenden Eindruck. Für die Partie von Sparafuciles Schwester Maddalena sprang Adriana Di Paola ein. Sie gastierte beim Musikfest bereits 2015 in „La Cenerentola“. Mit urgewaltigen Mezzo und kraftvollem Brustregister konnte sie den Herzog mühelos überrumpeln und verführen.

Auch bei dieser konzertanten Aufführung deuteten die Solisten szenisches Agieren an. Eine Bühnenausstattung gab es zwar nicht, dafür war aber als Hintergrundprospekt eine stimmungsvolle Ansicht vom Bühnenbild der Uraufführung in Venedig zu sehen. (28.08.2022)

Wolfgang Denker, 10.9.2022

Foto Bergen Philharmonic von Oddleiv Apneseth
Foto Nederlandse Bachvereniging von Simon Van Boxtel
Foto Hypnotic Brass Ensemble von Saddhi Khali
Foto Anima Eterna / Pablo Heras-Casado von Patric Leo
Foto Le Cercle de l’ Harmonie / Jérémie Rhorer von Michael Bahlo
Foto Olga Peretyatko von Daniil Rabovsky