Kaiserslautern: „Viva la Mamma!“

Premiere am 21.12.2013

Fulminante Komödie

(Gaetano Donizetti)

(Originaltitel: Le convenienze ed inconvenienze teatrali; zu deutsch: Sitten und Unsitten am Theater)

Satire, Parodie und tiefere Bedeutung: Gute Laune aus Südwest

Donizettis Oper mit dem Originaltitel „Le convenienze ed inconvenienze teatrali“ (deutsch: Sitten und Unsitten beim Theater) beruht auf zwei italienischen Einaktern von Antonio Sagrafi aus den Jahren 1790 und 1800, von denen Donizetti erst nur einen als Vorlage für eine einaktige farsa (UA 1827 in Neapel) verwendet hat, um dann das vervollständigte zweiaktige Werk 1831 in Mailand zur Uraufführung zu bringen. Unter de Mitwirkung des Librettisten Domenico Gilardoni verfasste Donizetti die Texte selbst und konnte eigene Erfahrungen aus dem Theaterleben in die Oper einbringen, vor allem seine Erlebnisse am chaotischen Theater in Palermo 1826, ironisch und selbstironisch. Dazu kommen sarkastische Seitenhiebe auf die opera seria und deren Librettisten-Ikone Pietro Antonio Domenico Bonaventure Trapassi (Pseudonym: Metastasio).

Eine starke Handlung mit Verwicklungen hat die Oper nicht; es handelt sich um eine Folge von heiteren Szenen. Die zweiaktige Form ist nicht zwingend. Der Regisseur Anatol Preissler stellt mit dieser Arbeit seine erste Operninszenierung vor und tut das, soviel sei vorweggenommen, mit einem originellen Konzept, das sich zwar in den Einzelheiten zunächst etwas zäh in Bewegung setzt; aber im Verlauf mit Einfällen von immer mehr Schwung und Pfeffer angereichert wird, die mehrfach jubelnden Szenenapplaus bekommen. Preissler setzt die beiden Akte mit völlig anderen Bühnenbildern von einander ab. Im ersten Akt geht es um eine Art Klavierhauptprobe einer „neuen“ Oper; im zweiten Akt um die Generalprobe. Was wird gespielt? „Romolo ed Ersilia“. (Die Oper gibt es wirklich: „Eine Barockoper in drei Akten, die die österreichische Kaiserin Maria Theresia zur Hochzeit ihres Sohnes Erzherzog Leopolds mit Infantin Maria Ludovica von Spanien bei dem Librettisten barocker opere serie Pietro Metastasio und dem bekannten deutschen Barockkomponisten … Johann Adolf Hasse in Auftrag gegeben hat.“ (wikipedia)) Das lässt sich prima parodieren.

Arlette Meißner (Luigia), Elena Gerasimova (Dorotea), Monika Hügel (Corilla), Daniel Böhm (Stefano); im Hintergrund: Herrenchor

Es gibt die prima und die seconda donna als Sopranistinnen, die Mezzosopranistin, den ersten Tenor, die alle miteinander zanken, wer welche Arie bekommt und wer mit wem im Duett singen darf oder muss. Dann gibt es die Gestalten des Theaters: den Komponisten, den Librettisten und den Impresario. Aufgemischt wird die Handlung durch den Ehegatten der prima donna, der darauf wacht, dass seine Frau genügend berücksichtigt wird, und durch die Mutter der zweiten Sopranistin, La Mamma, die der Oper ihren heutigen Namen verleiht. Diese Figuren haben alle auch zivile Namen und dann die Rollennamen aus der opera seria. Dass sich Stars durch Eheleute oder Verwandte managen lassen, ist bis heute nicht unüblich. Die Mezzosopranistin und der Tenor sind beleidigt und verlassen die Probe. Dadurch entsteht Raum zum Mitwirken für den Bass (Ehemann), der die Tenorrolle übernimmt und die Mamma, die sich für die Mezzo-Rolle anbiedert. Diese beiden Figuren mischen mit ihrer speziellen Bühnenerfahrung („das Weiße ist das Papier, das Schwarze sind die Noten“) die Szene dann gewaltig auf, vor allem natürlich die Mamma, für einen Spielbass geschrieben, der in allen Situationen die Szene beherrscht.

Arlette Meißner (Luigia), Radoslaw Wielgus (Prospero), Alexis Wagner (Impresario), Monika Hügel (Corilla), Wieland Satter (Mamma Agata), Daniel Böhm (Stefano), Ralph Jaarsma (Biscroma)

Wie auch sonst im deutschsprachigen Raum üblich, wird das Werk auch in Kaiserslautern in einer deutschen Texteinrichtung aufgeführt, sonst könnten die zahlreichen Gags dieser Parodie nicht wirken. Die vorliegende Bühnenfassung stammt von Horst Goerges und Karlheinz Gutheim. Der erste Akt spielt im Hinterbühnenbereich des Theaters. Das Orchester sitzt auf der Bühne; auf dem abgedeckten Graben mit dem Komponisten am Cembalo wird die Klavierprobe abgehalten. Im zweiten Akt sieht man zunächst auf der großen leeren Bühne zuerst nur als Büro des Impresario seinen Schreibtisch; zur Generalprobe wir dann von hinten ein richtiges Bühnenbild hereingefahren: eine zweigeschossige römische Villa mit zwei geschwungenen Seitenaufgängen (Bühnenbid: Karel Spanhak). Es wird eine frühantike Geschichte einfach in die Spätantike verlagert. (Die Regisseure haben sich schon damals viele Freiheiten genommen!) Aber das Ballett haben sie nicht gestrichen: es gibt einen Pas de trois, der von der auch tänzerisch begabten Mamma ordentlich aufgemischt wird. Die Schauspieler dürfen sich weitestgehend selbstverwirklichen; dem Leitungsteam ist das egal, solange nur die Oper gespielt werden kann. Da der staatliche Zuschuss kurzfristig gestrichen wurde, opfert Mamma Agata ihren Schmuck, um die Aufführung und ihren Auftritt zu retten: Viva la Mamma!!! Es ist zu hoffen, dass das Pfalztheater in Zukunft nicht auch eine Mamma Agata braucht… Ulli Kremer hat bei den Kostümen mit viel Fantasie mehrschichtig gearbeitet: es gibt solche aus der Entstehungszeit des Werks, moderne Fantasiekostüme, prächtige Bühnenkostüme und die parodierenden der Spätantike für die Mitwirkenden bei „Romolo ed Ersilia“. Viel Bewegung schafft die Regie auf die Bühne, legt den im Werk angelegten Witz frei und bringt viel Situationskomik bis zum Slapstick der Ballett-Einlage de Mamma hinzu. Zu keiner Zeit wirkt das schal oder platt.

Es wird eine vom Theaterkomponisten Vito Frazzi (1888-1975) bearbeitete musikalische Fassung gegeben. Aber vermutlich wurde darüber hinaus noch mehr arrangiert und eingefügt. In die Ouverture wurde eine Kakophonie eingebaut, um das Publikum auf eine Art Selbst-Parodie der Partitur einzustimmen. Zu Beginn des zweiten Akts kommt noch vor dem Vorhang der Chor als eine Gruppe von Schweizer Armbrustern zum Galopp aus der Ouvertüre zu Wilhelm Tell von Rossini auf die Bühne getanzt („Aber meine Herrschaften: der Tell ist doch abgespielt…“, sagt der Theaterdirektor). Der Tenor singt passgenau die Tamino-Arie… Das Orchester des Pfalztheaters unter de Leitung seines spanischen Kapellmeisters Rodrigo Tomillo musizierte mit viel Schwung und bei den beiden großen Stretten scharf angezogenen Tempi so gut wie fehlerlos und vermittelte die gute Laune der Aufführung auch aus dem Graben. Wie die Zuschauer war auch er sichtlich zufrieden mit seinem Orchester und dessen brillanten Spiel.

Ralph Jaarsma (Biscroma), Wieland Satter (Mamma Agata), Arlette Meißner (Luigia)

Die Solisten, immerhin neun an der Zahl, viel mehr als sonst bei Belcanto-Opern üblich, machten durchweg gute Figur und gute Stimme. Obwohl in dieser musikalischen Adaptation die ganz großen Anforderungen des Belcanto nicht gestellt werden, bleibt doch noch genügend Virtuoses zu bewältigen und das bei hohen schauspielerischen Leistungen. Für die Titelrolle („Agate“) war Wieland Satter engagiert. Der beherrschte die Szene von seinem ersten Auftritt an durch seine mächtige Figur und seinen komödiantischen Spielwitz, der weit über den einer Knallcharge hinausging. Stimmlich nahm sich sein beweglicher und sonorer Bassbariton dazu genauso gut aus. Die Primadonna mit dem schönen Namen „Corilla Sartinecchi“ gestaltete die gertenschlanke Monika Hügel, hellblond herausgemacht, und brachte ihren silbrig hellen Sopran zur Geltung, auch in forcierten Höhen ohne Schärfe und mit schöner beweglicher Koloraturtechnik. Als zweite Sopranistin („Luigia Boschi“) war Arlette Meißner besetzt; ihre etwas dunkler timbrierte Stimme setzte sich von der prima donna gut ab und gefiel mit ihrer samtigen Intonation. Sie wurde dauernd von ihrer Mutter Agate bevormundet und suchte daher Rückhalt bei anregenden Getränken.

In der Mitte: Wieland Satter (Mamma Agata)

Da die Mezzosopranistin („Dorotea Caccini“) schon sehr früh im ersten Akt hinschmiss, konnte die Chorsolistin Elena Gerasimova nur kleine Solo-Kostproben ihres schlanken dunklen Mezzos abgeben. Im zweiten Akt war sie dann zwar wieder da, sang aber nur im Ensemble. Dem von der Regie ebenfalls mit viel Ulk versehenen und etwas dämlich dargestellten Ehemann der Primadonna („Stefano“) verlieh der Bariton Daniel Böhm viel großsprecherisches Volumen. Daniel Kim sang und spielte den „ausländischen“ Tenor („Guglielmo Antolstoinoloff“), was naturgemäß schon bei der ersten Erwähnung zu Heiterkeit führte. Das Urteil des Impresarios, den könne man ohnehin nicht verstehen, widerlegte der Koreaner allerdings deutlich mit seinem klaren kräftigen und nicht zu hellen Tenor. Als Komponist („Vincenzo Biscroma“) in Kluft und Maske an Donizetti selbst gemahnend gefiel Ralph Jaarsma vom Chor mit klarem und deutlichen Bariton überwiegend in Rezitativ und Parlando. Auch die beiden weiteren „Theaterfiguren“ waren stimmlich mehr bei den Rezitativen angesiedelt. Die Rolle des Librettisten („Orazio Prospero“) als heruntergekommener Typ, dem eigentlich alles egal ist, war dem verlässlichen Bassbariton Radoslaw Wielgus, ebenfalls Chorsänger in Kaiserslautern, anvertraut, und Alexis Wagner setzte als eleganter Impresario seinen kultivierten kräftigen Bass ein. Man kann dem Pfalztheater durchaus ein Kompliment für die Gesamtheit der Besetzung machen und auch dafür, dass es neben seinem kleinen festen Solistenensemble auf Sänger aus dem Chor zurückgreifen kann, die auch schon als Gäste Solistenrollen an anderen Häusern übernehmen konnten.

Den pas de trois tanzten klassisch Aurore Nicolas, Éléonore Turri und Riccardo Marchiori. Dabei mussten sie sich von der Mamma allerhand gefallen lassen, rächten sich aber auch dafür und gingen auf das Spiel gut ein.

Das Haus war zur Premiere sehr gut besucht, aber nicht ausverkauft. Der Jubel Publikums galt natürlich vor allem dem Darsteller der Titelrolle, aber auch alle anderen Mitwirkenden wurden über zehn Minuten lang gefeiert. Den Besuch de Oper kann man uneingeschränkt empfehlen. Die Oper kommt noch neunmal im Pfalztheater, sogar über die Karnevalszeit hinaus: http://www.pfalztheater.de/cms/?p=293&s=pt_schedule&f=1&id=473&

Manfred Langer, 22.12.13
Fotos: Hans-Jürgen Brehm-Seufert