Kaiserslautern: „Regina“, Albert Lortzing

Premiere am 21.09.2013

Geschichtsunterricht mit Zügen einer deutschen Nationaloper unter Schwarz-Rot-Gold

Albert Lortzing, früher einer der meistgespielten Opernkomponisten, hat in steter Wanderschaft durch Deutschland neben seiner Tätigkeit als Dirigent, Sänger und Schauspieler gut ein Dutzend Werke für die Bühne komponiert. Außer dem noch regelmäßig gespielten Wildschütz und sehr sporadischen Produktionen des „Waffenschmieds“, der „Undine“ und von „Zar und Zimmermann“ findet sich heute so gut wie nichts mehr von Lortzing auf der Musikbühne, obwohl er, wichtiger Repräsentant der dualistischen Epoche von Biedermeier und Romantik, vom Publikum immer hoch geschätzt war. Seine rarissima „Regina“ ist 1848 unter dem Eindruck der dramatischen Revolutionsereignisse in Wien entstanden, wo Lortzing gerade Kapellmeister am Theater an der Wien war. Lortzing war mit Robert Blum befreundet, der in Wien stand“rechtlich“ erschossen wurde. Nach Lortzings frühem Tod in Berlin 1851 hatten Kollegen seinen Sarg mit den Farben Schwarz-Rot-Gold ausgeschlagen.

Interessant liest sich die Rezeptionsgeschichte von Regina. Konnte die Oper unmittelbar nach der Fertigstellung 1848 aus politischen Gründen nicht zur Aufführung gebracht werden, wurde sie in der wilhelminischen Zeit zu einer vaterländischen Jubeloper umfunktioniert, deren Handlung in die Freiheitskriege verlegt war; also eine Freiheitsoper unter Schwarz-Weiß-Rot. Textlich gibt es für eine solche „Fälschung“ allerdings mehr als nur einen Anhaltspunkt ( „Auf Vaterland voran!“.) In der DDR ließ man das Stück mit im sozialistischen Sinne veränderten Dialogen in einer Radioproduktion einspielen und im Streikjahr 1953 (!) in Rostock als Werk der sozialistischen Revolution aufführen. Nach einer weiteren bearbeiteten Version 1981 in Oberhausen kam erst 1998 in Gelsenkirchen im MiR die Oper in der Originalfassung heraus, die danach auch in Berlin gespielt wurde und nun als Neuproduktion zur Spielzeiteröffnung in Kaiserslautern vorgestellt wird.

„Beschlossen ist’s zu Ende sei
Die Knechtschaft und die Tyrannei

Wir werden Recht uns bald verschaffen,
Wenn nicht mit Worten, doch mit Waffen!“

(Albert Lortzing: Regina)

März 1848: in ganz Europa herrscht Aufruhr; Aufruhr der verschiedensten Art: soziale Erhebungen, politische Revolution und völkische Aufstände; in Deutschland kam dazu noch die Einigungsbewegung, letztere aber von honorigen Bürgern ebenso gewaltlos und konsensorientiert wie erfolglos gestaltet. Von alledem findet man etwas in Lortzings Regina in der Inszenierung von Hansgünther Heyme wieder. Aus sozialer Not entsteht ein Arbeitskampf. So beginnt die Oper. Der Betriebsleiter Richard kann die Arbeiter besänftigen; stellt den Fabrikbesitzer Simon als Wohltäter dar; das Harmoniebedürfnis siegt: Friede, Freude… Der heimkehrende Fabrikbesitzer belohnt Richard mit seiner Tochter Regina (auch Lortzings Ehefrau hieß Regina); Verlobungsfeier, Jubel, happy end? Nein, zum Ende des ersten Akts, in welchem der Vorabeiter Stephan von Simon für seine langen treuen Dienste ebenfalls die Hand von dessen Tochter fordert, dringen „Freischärler“ in die Fabrik und die Villa ein, denen sich Stephan, weil er Regina nicht erhält, aus Rache angeschlossen hat. Das Haus wird abgebrannt, Regina entführt, Simon misshandelt, Richard fast erschlagen. An sich endet hier im Finale des ersten Akts, einem großartigen Chortableau mit Ensemble, der politische Diskurs der Oper. Denn was folgt ist nun die Geschichte der Regina zwischen zwei Männern (dem sorgenden Patriarchentyp Richard und dem zum Outlaw gewordenen Stephan) und zwischen zwei Welten (der Freischar, die eigentlich eine Terrortruppe ist und hier wie eine disziplinlose Räuberhorde wirtschaftet, und der niederen Bevölkerungsschicht, die in idyllischem Konsensstreben ihre Situation zu verbessern sucht.) Regina erschießt Stephan, als der in höchster Bedrängnis der Bande alle und alles in die Luft sprengen will. Danach vereinigt sich alles zum großen hymnischen Schlussgesang an Vaterland und Freiheit – im Stile einer französischen Revolutionsoper, aber es wird nicht bleu-blanc-rouge, sondern Schwarz-Rot-Gold geschwenkt. Und der Fabrikant wird auch gefeiert! Ist Regina eine Oper der Revolution („Das Volk lässt sich nicht spotten“) oder aber der Restauration?

Daniel Ohlmann (Richard), Herrenchor

Regina hat die klassische Personenkonstellation mit den klassischen Stimmlagen: Held und Heldin (Tenor und Sopran), Gegenspieler (Bariton) eine weitere tiefe Stimme (Vater, Bass) und in den Nebenrollen noch ein „niederes“ Paar: ein Vorarbeiter (Spieltenor) und ein Dienstmädchen (Spielsopran). Das Beziehungsdrama spielt (auch das klassisch!) vor einer politischen Szenerie. Aber die ist nicht mehr klassisch. Es wird ein Streik auf die Bühne gebracht; das zuweilen etwas einfältig wirkende Libretto ist voller Anspielungen auf bürgerlich-liberal Umwälzungen, Text vom Komponisten, dem er vielleicht zu „verdanken“ hatte, dass er keine auskömmliche Anstellung mehr erlangte und nicht viel später in großer Not starbLortzing hat seine Oper mit der heißen Nadel gestrickt, textlich und dramaturgisch nicht recht durchdacht, jedenfalls nicht so wie Wagner seinen fast zeitgleich entstandenen Lohengrin. So bleibt es der Dramaturgie und der Regie des Opernhauses überlassen, die Geschichte insgesamt schlüssiger zu machen. Hierauf verzichten aber Andreas Bronkalla (Dramaturgie) und der Regisseur Hansgünther Heyme, der auch die Ausstattung der Produktion entworfen hat. Er inszeniert das Stück nahe am Libretto zwischen Geschichtsunterricht und Räuberpistole. Vorn rechts auf die Bühne hat er einen Knaben auf eine Schulbank gesetzt, der beim geschlichteten Streik gewissermaßen Unterricht in Gemeinschaftskunde erhält, dann staunend von Liebesbeziehungen, Aufruhr, Brandstiftung, schwerer körperlicher Gewalt, Entführung und Selbstmordterror erfährt, ehe die Geschichte wieder im Gemeinschaftskundeunterricht endet.

links: Tabea Floch (Ein Kind), rechts: Daniel Böhm (Wolfgang), Herrenchor

Die Ausstattung mit enthält Hinweise auf die historischen Epochen vom Biedermeier bis zur ersten Nachkriegszeit. Ein unmittelbarer Bezug zur Gegenwart klingt nur in der Verkleidung der Terroristen an, die wie Wüstenkrieger auftreten. Neben dem arabischen Frühling gab es aber auch im benachbarten Frankreich in allerjüngster Vergangenheit Beispiele, wo aufgebrachte Arbeiter mit dem Wohlwollen der CGT (stillzulegende) Fabriken verwüsten. Die große rechteckige Bühne zeigt im Hintergrund eine schwarze Wand mit drei strukturierten Lisenen in Schwarz, Rot und Gold. Davor werden einfache Möblierungen angeordnet: Stühle, Bänke, Tische und zum Schluss ein idyllisches Kornfeld. Bis auf die Regina, die in einem unvorteilhaft geschnittenen übertriebenen Rüschenkleid antreten muss, sind die Kostümeinfälle gelungen, wobei gleich zu Anfang eine Botschaft gesendet wird: Aus den rumorenden Arbeitern mit Stirnlampen und wurmartigen schwarzen Overalls (wie die Nibelungenzwerge) schälen sich nach der Vermittlungsaktion Richards wohlgesittete Bürger mit Schlips und Kragen hervor: die Konsensgesellschaft. Raffinierte, subtile Personenführung ist Heymes Sache nicht; man muss ihm aber zugestehen, dass durch die häufig statisch angesetzten Ensembles und Chorszenen die Musik besser zur Geltung kommt, was vor allem für das überwältigende Finale des ersten Akts gilt. Das nach drei Seiten offene Bühnenbild erleichtert die vielfach erforderlichen Chorauftritte und abgänge.

Daniel Henriks (Stephan), Adelheid Fink (Regina)

Musikalisch kommt bei Regina immer wieder der leichte Ton der Spieloper durch, natürlich vor allem bei den Buffoszenen des „niedrigen Paars“. Da meint man zu hören, wie leicht Lortzing diese Takte aus der Feder geflossen sind: eingängige Melodien, einfache Formen bis zum Lied. Aber man hört auch schwerere Romantik, wo Weber und Wagners Tannhäuser durchhörbar sind, und prägnante Effektmusik. Dabei bleibt jeder Takt Lortzing, was die Oper zu einem leicht zugänglichen musikalischen Genuss macht. Uwe Sandner meisterte die vielseitige, vielfach bläserbetonte Partitur mit dem Orchester des Pfalztheaters schon von der Ouvertüre an mit nur wenigen Wacklern. Das begann mit einem fanfarenartigen Aufschwungsthema, dann bewegter Musik und führte zu einer sauber abgesetzten Exposition der Hauptthemen. Sehr profiliert mit kräftigen Strichen wurden einige kantige Passagen der Partitur vorgetragen, und bis ins Extreme ging das Ausreizen der Dynamik gerade in den Chorpassagen. Filigran dagegen gesetzt sind kammermusikalische Passagen mit schönen Soli der Bläser oder der Celli. Was bei der Premiere noch nicht durchgängig stimmte, war die Synchronisation von Chor, Solisten und Orchester, wo es doch – gerade im ersten Akt – hier und da deutlich klapperte. Chor und Extrachor des Pfalztheaters wurden klanglich bestens profiliert und bedeuten für Freunde der Choroper eine Extraempfehlung. Die sehr sparsame Bewegungsregie für den Chor in den Finali des ersten und dritten Akts ließ deren klangliche Inszenierung überzeugend in den Vordergrund treten. Regina ist zwar eine Nummernoper, aber die heute vielfach läppisch wirkenden Sprechdialoge sind auf wenige Einwürfe konzentriert, daneben gibt es dramatische accompagnati; der dritte Akt ist ganz durchkomponiert. Lortzing macht auch Zugeständnisse an den Zeitgeschmack, was in einer Ballettmusikkulminiert, die von Kindern des JUST (Junges-Spiel-Theater Ludwigshafen) pantomimisch sinnhaft auf der Bühne dargestellt wurde.

Neben den dominanten Chorpartien zeichnet sich die Oper durch ihre vielen Ensembles aus, teilweise in Tateinheit mit dem Chor. Italienisch-solistische Profilierungen sieht die Partitur weniger vor. Dennoch haben die Sänger die Gelegenheit sich auszuzeichnen. Die Titelrolle der Regina sang die vielseitige Lauterer Sopranistin Adelheid Fink, die nach anfänglicher Gehemmtheit gut in die Rolle kam und sowohl in den lyrisch-innigen Passagen wie auch in den dramatischen Rezitativen und den Koloraturen zu überzeugen wusste. Daniel Ohlmann als ihr Verlobter Richard war mit Erkältung angekündigt, der er bei den fordernden Höhen leider ihren Tribut zollen musste; aber seine geschmeidige, kraftvolle Mittellage konnte er mit schönem Schmelz zur Geltung bringen. Daniel Henriks wurde mit kraftvollem Bariton der Rolle des Stephan voll gerecht; er brachte die noble Seite der Rolle, wo er nach Einkehr sucht, mit kultiviertem lyrischen Bariton ebenso überzeugend wie seine überwiegende Rolle als Bösling mit schmetternder Schwärze. Christoph Stegemann verkörperte idealtypisch die Rolle des Vaters (Simon) mit noblem Bass und profunden und wohlklingenden klaren Tiefen. Bei den Nebenrollen kommen nur noch dem Kilian, Vorarbeiter, bei Simon und seiner Mutter, der Bauersfrau, nennenswerte solistische Einsätze zu. Der Koreaner Daniel Kim gestaltete den Kilian verlässlich mit wendigem Spieltenor; Geertje Nissen sang die Barbara mit gut fundierter Altstimme. In weiteren Rollen: Ludovica Bello als Beate, Daniel Böhm als Anführer der Freischar und Daniel Ewald als Freischärler.

Fazit: Sehenswert! Langanhaltender herzlicher Beifall nach dem knapp dreistündigen Opernabend aus dem sehr gut besuchten Saal für ausnahmslos alle Beteiligten inkl. Regisseur, wobei Daniel Hendriks und Uwe Sandner am meisten punkten konnten. Regina kommt in Kaiserslautern noch am 25. und 28. Sept., am 8. und 31. Oktober, am 13. Nov. sowie am 14. und 27.12.2013. Am 21. und 23.11. ist die Produktion in Ludwigshafen im Pfalzbautheater zu sehen, das hier als Koproduzent fungiert und wo der Regisseur bekanntlich Intendant ist. Ihm war diese Produktion ein besonderes Anliegen.

Manfred Langer, 22.09.2013
Fotos: Hans-Jürgen Brehms-Seufert

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