Santa Cruz: „Norma“

Premiere am 14.3.2017

Vincenco Bellinis Opera „Norma“ ist bekanntlich nur selten szenisch zu sehen. Man muss oft weit reisen, um eine komplette Opernaufführung zu erleben. In Wien wurde das Werk ja zuletzt ebenfalls nur konzertant und vor allem wegen Edita Gruberova als Norma gegeben. Da ist es umso erstaunlicher, dass ausgerechnet die Ópera de Tenerife in der Hauptstadt der „Ferieninsel“ Teneriffa dieser Tage in ihrer kurzen Opernsaison dreimal eine szenische Version der „Norma gibt. Diese findet in dem futuristisch anmutenden Auditorium Adán Martin des renommierten katalanischen Architekten Santiago Calatrava statt, welches angesichts der „Werther“-Produktion im Merker 04/2016 besprochen wurde. Calatrava hat auch das berühmte Opernhaus in Valencia konzipiert, das im Volksmund wegen seines weißen und futuristischen Aussehens das „Ei“ genannt wird. Das großartige Auditorium Adán Martin ist dem 3.700 Meter hohen Inselvulkan Teide, dem höchsten Berg Spaniens, nachempfunden.

Bei einer Opernpremiere in diesem Auditorium gibt sich die Hautevolee von Santa Cruz und anderen Orten der Insel stets ein Stelldichein. Man konnte erleben, dass das Publikum durchaus opernbewandert ist, auch wenn es auf Teneriffa nur vier bis fünf Opern im Jahr gibt, die im Auditorium im Rahmen eines alljährlichen Opernfestivals organisiert werden. Die meisten Sänger und Sängerinnen kommen als Gäste, oft vom spanischen Festland oder aus Italien. Die sehr gelungene Aufführung dieser „Norma“ wurde ein großer Erfolg, soviel vorweg.

Der argentinische Regisseur Mario Pontiggia, auch für die geschmackvollen Kostüme verantwortlich, schuf ein eindrucksvolles Bühnenbild, welches mit wenigen Requisiten auskommt und stattdessen weitgehend auf Projektionen auf der Hinterwand setzt. Er gestaltet mit immer wieder neuen Bühnenbildern die wechselnden Szenen, aus denen die Oper ja in den zwei Akten besteht. In der dritten Szene des 1. Akts sieht man eine Projektion mit dunkel dräuenden Wolken über einem Brachland, gut harmonierend mit der Tragik der Oper.

Sehr gelungen ist beim Auftreten Normas das Herabsenken einer altarähnlichen goldenen Säule mit einem weitläufig geschwungenen Kapitel. Unten rankt der Mistelbaum, aus dem Norma symbolträchtig mit einer Sichel den Mistelzweig schneidet – eine besonders gute Idee des Regieteams. Dieses Bild kommt auch am Schluss wieder. Es folgt dann eine Art dunkle Rosette mit einer Öffnung in der Mitte, deren Hintergrund wie ein Feuer aussieht – schon ein Hinweis auf das Ende. Auf einem grauen und aus mehreren Ebenen bestehenden Bühnenboden tritt der Chor gestaffelt auf und ist so besser sichtbar. Im Hintergrund der ersten Szene des 2. Akts, in dem Norma ihre beiden Söhne töten will, deutet eine mit goldener Ornamentalik belegte dunkelblaue Wand ein Zimmer an. Die oft langsam changierenden Projektionen in den meist relativ dunklen Szenen sind ausgezeichnet auf die Handlung abgestimmt. Antonella Conte ist für die Projektionen und Alfonso Malanda für die ausgezeichnete Lichtregie verantwortlich. Hinter dem Altar taucht bisweilen ein Mond auf, an die Mondgöttin erinnernd. Am Schluss gehen Norma und Pollione vor dem nun rot leuchtenden Mond ins Feuer. Die Kostüme sind zu Stil und Thematik dieser Oper in schlichten Formen in Grau oder Weiß gehalten, stets optisch gut eingesetzt. Die Personenregie erscheint bisweilen etwas zu statisch und stereotyp, auch wenn die Oper mehrere große Chorszenen hat.

Die Ópera de Tenerife bot in dieser „Norma“ ein ausgezeichnetes Sängerensemble auf. Norma ist die von der Nachbarinsel stammende Yolanda Auyanet. Sie meistert die schwere Rolle der Druidenpriesterin mit ihrem gut intonierenden lyrischen Sopran, der nur bei den Spitzentönen etwas eng wird. Darstellerisch vermag Auyanet die Gewissensqualen der Norma überzeugend über die Rampe zu bringen. Auch die berühmte Cavatine „Casta Diva…“ gelingt ihr sehr gut. Auyanet hat an vielen großen Bühnen gesungen, u.a. auch im Wiener Konzerthaus. Die junge Lamia Beuque singt die Adalgisa mit einem klangvoll leuchtenden und auch in den Höhen der Partie bestens ansprechenden Mezzosopran. Ihr stimmlicher Vortrag und die Empathie ihrer Darstellung waren schlicht exzellent. Sie hat erst 2012 ihr Studium der Gesangsinterpretation abgeschlossen und Meisterkurse unter anderen bei Christa Ludwig und Teresa Berganza besucht. Milica Ilic gibt die Clotilde mit einem wohlklingenden Sopran und holt darstellerisch viel aus der kleinen Rolle heraus. Sie hat am Queensland Konservatorium Musik studiert und sang im Vorjahr mit großem Erfolg die Sophie im o.g. „Werther“ auf Teneriffa.

Massimiliano Pisapia gibt den Pollione mit einem etwas metallischen, aber sehr kraftvollen Tenor, der auch bei den Spitzentönen gut anspricht und bereits einen gewissen dramatischen Aplomb hat. Pisapia verfügt auch über gutes schauspielerisches Talent, das besonders in den Szenen mit Norma und Adalgisa deutlich wird. Er hat sich auf das italienische Fach spezialisiert und an vielen großen Häusern gesungen, u.a. den Pinkerton in Wien. Andrea Concetti singt den Oroveso würdevoll und mit einem profunden Bass bei intensiver Darstellung. Berührend war im Finale die Szene, als Norma ihm seine beiden Kinder anvertraut. Allein Badel Albelo fiel mit seinem zu gutturalen Tenor als Flavio etwas vom hohen Niveau des Sängerensembles ab. Auch er ist wie Auyanet auf den kanarischen Inseln geboren, und zwar auf Teneriffa. Álvaro Pérez und Daniel Pérez verkörpern die beiden Kinder Normas und Polliones, Agénor und Clodomir. Der Damen- und Herrenchor der Oper von Teneriffa war von Carmen Cruz bestens einstudiert und sang mit kräftigen Stimmen bei großer Transparenz. Es wurde in der Originalsprache mit spanischen Übertiteln gesungen.

Der junge Italiener Sebastiano Rolli dirigierte das Orquesta Sinfónica de Tenerife mit beschwingten Tempi. Schon die Ouvertüre gestaltete er mit großer Dynamik und setzte in der Folge auch beherzt auf die dramatischen Akzente der Partitur. Rolli dirigierte sehr sängerfreundlich. Da das Orchester vergleichsweise tief im Graben liegt, kam es nie zu einem Zudecken der Sängerstimmen. Stets war große Harmonie zwischen Graben und Bühne gegeben. Nachdem das Publikum bereits nach dem ersten Akt intensiv applaudiert hatte, auch nach der Cavatine der Norma und den Duetten und weiteren Arien natürlich, kannte der Schlussapplaus dann aber kaum Grenzen. Das Sängerteam und die Regieteam wurden fast frenetisch beklatscht, und als Yolanda Auyanet vor den Vorhang trat, stand fast das ganze Publikum auf und gab ihr Standing Ovations.

Fotos (c) Auditorio de Tenerife / Miguel Barreto

Klaus Billand aus Teneriffa, 17.3.2017