Gut Immling: „Figaros Hochzeit“ / „Der Troubadour“

In Gut Immling ist das Bessere der Feind des Guten – Ein Geheimtipp, der bald keiner mehr sein wird.

Im letzten Jahr habe ich erneut von Gut Immling geschwärmt und versucht die Philosophie zu erklären. Und ich habe festgestellt, dass ich noch nie eine so hervorragende „Aida“ gesehen habe wie 2011. Ja – und ich war überzeugt davon, dass dies nicht mehr zu toppen ist. Ja – und auch hier wieder habe ich mich völlig geirrt. Doch der Reihe nach. Nachdem ich mit meiner Gruppe (von denen die meisten schon zum dritten Mal dabei waren – und auch das zeugt von der Einzigartigkeit Gut Immlings) angekommen war, machten wir uns bereit zur ersten Aufführung „Die Hochzeit des Figaro“ von Wolfgang Amadeus Mozart. Ich muss zugeben, dass ich kein so großer Mozart-Fan bin und dass ich auch moderne Inszenierungen nicht besonders mag, vor allem, wenn sie das ganze Stück ad absurdum führen. Ja, auch diese Inszenierung von Waltraud Lehner war sehr modern inszeniert, ja, man musste bei den Bühnenbildern manchmal schlucken – aber – und das war auch wieder das Einzigartige an Gut Immling, es passte alles irgendwie zusammen. Man konnte sich in diese Inszenierung hineinversetzen und sie bis zum Schluss genießen.

Ob der Graf mit einer Kettensäge statt mit dem Degen kämpfte, ob Hasenohren dem Zuschauer um die Ohren wackelten – all das wahr hinnehmbar, nein, es war auch überwiegend amüsant und stimmig. Das lag natürlich vor allem auch an den – wie fast immer in Gut Immling – hervorragenden Interpreten. An erster Stelle sei die zupackende, zu jedem Zeitpunkt das Geschehen vollkommen im Griff habende Dirigentin Cornelia von Kerssenbrock genannt. Unbeschwert, locker, luftig, manchmal einem Sommernachtstraum gleichend, führte sie das hervorragende Festivalorchester Gut Immlings zu Höchstleistungen. Über den Festivalchor, der sich fast ausschließlich aus Sängern der Gegend zusammensetzt, braucht nicht mehr viel gesagt zu werden, er war wie immer brillant. Die Sänger wurden richtig mitgerissen und waren nicht nur äußerst spielfreudig sondern brachten auch überdurchschnittliche Leistungen, das Niveau, auf welchem praktisch alle sangen war sehr hoch angesiedelt. Der Figaro von Adam Kim ist sehr beweglich, der Stimmansatz füllig und warm, eine gute Leistung, ebenso wie die quirlige, kokette und gleichzeitig liebreizende Susanna von Debra Stanley. Mit ihrem leuchtenden Sopran, der geschmeidig und vollblühend ist, macht sie verständlich – auch vom optischen her – warum sich so viel um sie reißen. Eine tolle Leistung auch von Tijana Grujicic als Cherubino. Darstellerisch gibt sie eine hervorragende Leistung ab, aber auch mit ihrem Timbre, welches schmelzend und verführerisch viele Nuancen auskostet, kann sie punkten. Den Graf als liebestollen frauenmordenden Liebhaber, stellt mit einem sehr beweglichen Bariton Adrian Marcan dar, dem man seine Eskapaden nur zu gern glaubt. Lang anhaltender Beifall des amüsierten Publikum, welches einen unbeschwerten Opernabend erlebt hat.

Vor dem „Troubadour“ waren wir am Vormittag des Aufführungstages auf dem „Gnadenhof von Ludwig Baumann“. Er selbst und die charmante Dirigentin Cornelia von Kerssenbrock führten uns durch das Gelände. Pferde, Hasen, Hängebauch-schweine, ja selbst Kamele (von einem Zirkus, der sie nicht mehr finanzieren konnten), leben hier mit- und nebeneinander und es ist beeindruckend, wie sehr sich die beiden Künstler mit Helfern um die Tiere kümmern, die sonst keine Chance des Überlebens hätten. Man erzählt uns auch von den immensen Kosten (neben Futter vor allem die Tierarztkosten), die hier auf einen zukommen, man bringt aber auch zum Ausdruck, dass es etliche Gönner gibt, die ihr Scherflein beitragen und ohne die ein Überleben für die Tiere unmöglich wäre. Jeder Gut Immling Besucher sollte sich auch einmal den Gnadenhof anschauen und auch ein paar Kreuzer in die Spendenbox werfen – die Tiere verdienen es.

Am Abend kam das das Highlight unseres Aufenthalts. Ja, die „Aida“ des Vorjahres wurde getoppt. Diese Aufführung war optisch und akustisch ein Erlebnis. Immer auch unter der Kenntnis der begrenzten Möglichkeit der Bühne in Gut Immling. Und wir erlebten einen überwiegend konventionellen Troubadour. Die Inszenierung von Verena von Kerssenbrock, der Schwester der Dirigentin, war voller Emotionen, voller Leidenschaft, die sie auch auf der Bühne zeigte, ohne Umdeutungen, nein klar und die nicht unbedingt leichte Oper verständlich inszeniert – und das ist eine ganze Menge. Gemeinsam mit Claus Hipp war sie auch für das stimmige Bühnenbild zuständig. Vorzüglich erneut Cornelia von Kerssenbrock. Sie hatte am Vortag des „Troubadour“ einen Unfall erlitten und sich die linke Hand, die stark bandagiert war, verletzt. Davon merkte man nichts mehr. Sie leitete die Münchner Symphoniker mit zarter aber harter Hand, ließ es erblühen, nahm es aber in den Gesangspassagen erfreulich zurück um es dann wieder zupackend jubilieren zu lassen. Eine tolle Leistung – auch von den Münchner Symphonikern . Man sagt immer, dass eine Aufführung des Troubadour nur dann funktioniert, wenn man die vier besten Sänger, die es gibt, für die Hauptrollen aufbieten kann. Und in Gut Immling waren die Sänger „bombig“. Mario Zhang gab den Manrico und seine Stimme überstrahlte glasklar das Orchester. Die Töne standen wie zementiert und er gab bis zum letzten Ton sein bestes – und das war grandios (in der anschließenden hautnahen Begegnung mit den Opernstars im großen Festzelt sang er dann noch die Arie des Bajazzo und so unnachahmlich, dass man nicht glauben konnte, dass er bereits eine mörderische Partie „in den Knochen“ hatte. Bravo Zhang). Jana Dolezilkova als Leonora wurde vom Publikum ebenfalls verdientermaßen gefeiert, auch wenn ich mich über noch etwas mehr Durchsetzungsfähigkeit der Stimme gefreut hätte. Sensationell dann wieder die Azucena von Mirouslava Yordanova. Die Mezzosopranistin beherrscht die Szene, darstellerisch aber vor allem musikalisch. Die Stimme sitzt bombensicher, leuchtend, trägt in allen Lagen und vermittelt uneingeschränkte Beherrschung der Rolle. Zu Recht wurde sie am Ende der Vorstellung umjubelt. Ebenso wie Graf Luna von Kyung Chun Kim, dessen durchschlagskräftiger markanter Bariton ebenfalls großen Beifall fand. Erwähnt auch Kirill Brochaninov als Ferrando, dessen finsterer, den Raum füllender Bass aufhorchen ließ und für den man sich eine größere Rolle wünschen würde. Dass der Festspielchor wieder zu den Meriten des Abends zählte, braucht wohl nicht extra erwähnt zu werden. Eine ausgezeichnete Inszenierung, die Lust auf nächstes Jahr macht, wo u.a. die Aufführung von „Turandot“ im Gespräch ist. Nächstes Jahr gehen die Festspiele vom 22.06.2013 bis zum 11.08.2013, ich freue mich schon darauf und kann jedem erneut einen Besuch im Chiemgau nur wärmstens ans Herz legen.

Manfred Drescher
Fotos : Julia Binder