Köln: Marc’ Antonio e Cleopatra, Johann Adolf Hasse

Verwirrspiel in der Kölner Philharmonie

Die nicht in Barockopern versierten Besucher in der leider nur halb besetzten Kölner Philharmonie rieben sich verwundert die Augen. Da trat ein Countertenor als Cleopatra und eine Mezzosopranistin als Marc‘ Antonio auf. Hasses Serenata in zwei Teilen, vom Charakter her bereits eine kleine Kammeroper, nimmt sich, wie dies im Barock beliebt ist, eines historischen Sujets an, nämlich der großen Auseinandersetzung zwischen den Triumvirn Marcus Antonius und Octavian. Die ägyptische Königin Kleopatra steht in der entscheidenden Seeschlacht bei Actium auf der Seite ihres Geliebten Marcus Antonius. Die Niederlage bedeutet für Kleopatra und Antonius, dass sie nur durch den Freitod dem Schicksal entgehen können, als gedemütigte Siegestrophäe Octavians bei dessen Triumphzug in Rom vorgeführt zu werden.

In Hasses Jugendwerk von 1725, das ihm den Start in eine große Karriere als Opernkomponist bescheren sollte, geht es nicht um die dramatischen Kriegsereignisse, sondern der Librettist Francesco Ricciardi stellt die Gefühle der Liebenden angesichts des bevorstehenden Todes in elegischen Texten dar, für die Hasse in Rezitativen in Form des Accompagnato (vom Orchester begleitet) und in den acht Arien und zwei Duetten die kongeniale musikalische Umsetzung schuf. Kontrast- und farbenreich spiegeln die einzelnen Arien die Gefühle der Todgeweihten wider: menuettartiges Liebesschwärmen wechselt mit elegischer Todessehnsucht, auf Verzweiflung folgt banges Hoffen, auf die Klage über den frühen Tod die Gewissheit des Glück im Jenseits.

Das Ende der Serenata wartet dann mit einem besonderen Coup auf. In Vorausdeutung auf die Gegenwart des Komponisten und den Uraufführungsort von Hasses Kammeroper, nämlich das Königreich Neapel, setzt Marcus Antonius zu einem Herrscherlob der Extraklasse an. Einst würden Kaiser Karl VI. (1771 – 1740) und seine Gemahlin Elisabeth Christine die legitimen Nachfolger Octavians und Livias sein. Der Schmerz über den Tod der Liebenden wird dadurch vom Librettisten und Komponisten geschickt umgangen und in ein Lob auf die gegenwärtig das Königreich beherrschenden Habsburger gelenkt.

Die aneinandergereihten Dacapo –Arien könnten schon hier und da beim Hörer das Gefühl von Wiederholung und latenter Langeweile auslösen, wären da nicht in der Philharmonie Künstler am Werk, denen die Barockmusik gleichsam im Blute liegt. Valer Sabadus ist in Köln bestens bekannt. In der Oper sang er Hasses Leucippo, in der Philharmonie glänzte er als Orfeo in Glucks gleichnamiger Oper, und auch in Hasses Frühwerk brannte der Countertenor ein Feuerwerk artistischen Barockgesangs ab, wobei die Stimme besonders dann berückend schön klang, wenn sie weich und geschmeidig ins Mezza voce einschwang. Delphine Galou als Marc‘ Antonio steht Sabadus in nichts nach. Als ausgewiesene Barockspezialistin gab sie die komponierten Gefühle mit einer Leidenschaft und Virtuosität wieder, die vergessen machte, dass diese Serenata eher handlungsarm und undramatisch daherkommt. Ottavio Dantone erledigte nicht nur mit Verve den Cembalopart, sondern leitete gleichzeitig mit großem körperlichem und gestischem Einsatz das Orchester der „Accademia Bizantina“, das seinem feurigen Dirigenten mit einem temporeichen, dabei aber federleichten Spiel bereitwillig folgte.

Das Publikum ließ sich von den in Musik gesetzten Gefühlen und Affekten sichtlich mitreißen und feierte alle Künstler mit großem Beifall. Zum Dank erklang noch einmal ein Duett zwischen Kleopatra und Marc‘ Antonio, in dem es so schön heißt: „Ein Herz, das nicht fürchtet, kann man nicht besiegt nennen.“ Ein Motto, das von seiner Aktualität nichts verloren hat.

Norbert Pabelick 11.11.2018