7.12. (Premiere am 1.11.)
Musikalisch gelungen, szenisch gezwungen
Es ist unter Wagner-Kennern bereits ein Allgemeinplatz, dass der „Ring“ derart universal und komplex ist, dass er sich auf tausendfache Weise inszenieren ließe. Der „Siegfried“ ist da sicherlich das schwierigste Stück der gesamten Tetralogie, denn er steht stellvertretend für das Satyrspiel der antiken Tetralogie. Und es ist nur allzu verständlich, dass sich das moderne Regietheater dabei äußerst schwer tut, eine „Komödie“, ohne in aufgesetzte Plattitüden zu verfallen, stringent auf die Bühne zu stellen. Hinzukommt noch besonders im Siegfried, dass die Naturebene mit der Handlungseben nicht nahtlos einhergeht.
Siegfried ist der Revoluzzer, bereit zum Ziehvatermord, um sich zu emanzipieren. Er zieht aus, um das Fürchten zu lernen und erweckt schließlich sein „Schneewittchen“ Brünnhilde durch einen Kuss aus dem komatösen Schlaf. Diese ist übrigens seine Tante! Darüber hinaus ist dieser „Antiheld“ ein infantiler, naiver Rüpel, der leicht zu manipulieren ist. Und hätte er nicht seine Lippen mit Fafners Blut getränkt, wodurch er nicht nur die Sprachen der Tiere versteht, sondern auch die eigentliche Absicht der Menschen durchschaut, wäre er ein allzu leichtes Opferlamm für die Machenschaften des ihn gängelnden Mime geworden.
Wo also ansetzen bei einer Inszenierung des „Siegfried“? Ich darf dabei als bekannt voraussetzen (wie ich aus eigenen Gesprächen mit Regisseuren bestätigt gefunden habe), dass sich ein Regisseur vor einer Inszenierung alle für ihn zugänglichen Aufnahmen ansieht und für ihn verwertbare interessante Details dann in abgewandelter Form für seine eigene Inszenierung verwendet. Und so gelangen dann Reminiszenzen an andere „Ring-Inszenierungen“, wie sie Klaus Billand minutiös in seiner Besprechung der Premiere aufgelistet hat, auch in diese aus manchen entlehnten Puzzleteilen anderer Inszenierungen zusammengewürfelte eigene postmoderne Sichtweise des Siegfried.
Mimes Schmiede verkommt da im Bühnenbild von Gisbert Jäkel zu einem willkürlich zusammengestellten Stilmix aus Reifendeponie (Mad Max, 1980) mit Küche aus den prüden fünfziger Jahren (in den Filme mit Doris Day), Flachbildschirm und Tablett Computer aus dem 21. Jhd., Esse und Amboss aus der Zeit der Uraufführung. Und über allem schwebt die Projektion einer Favela aus Rio de Janeiro…
Während der Wissenswette werden dann die einzelnen Fragen durch eingeblendete Videosequenzen von Falko Sternberg zu den allgemeinen Themen von Reichtum und Armut, Macht und Ohnmacht, in einem dramaturgisch nicht unbedingt schlüssigen Zusammenhang, untermalt, wobei Andreas Frank für den raschen Lichtwechsel zwischen den Szenen sorgte.
Der Humor, so dachte sich Regisseur Uwe Eric Laufenberg offensichtlich, darf in einem „Satyrspiel“ nicht fehlen und so „spällt“ Siegfried mit seinem frisch gegossenen Schwert Nothung zu Ende des ersten Aktes anstelle des Ambosses eine Wassermelone, spielt mit Teddybären und Legomodellen. Und hetzt statt des obligaten, in einem Bärenkostüm steckenden Statisten, einen „bärigen“ Punkrocker auf Mime (wo er den wohl im menschenleeren Wald aufgetrieben hat?).
Aber so „menschenleer“ ist dieser Wald denn doch nicht, das erfahren wir spätestens im zweiten Akt im Inneren der Neidhöhle. Diese ist ein von dorischen Säulen zu beiden Seiten der Bühne flankierter Geldbunker mit Gittertor, in dem Fafner seinen Hort hütet. Alberich und Mime können sich nur durch eine Sprechanlage am Eingang mit dem „Wurm“ verständigen. Nach dem Kampf Siegfrieds mit dem Drachen, mit den üblichen Schablonen von Urweltungeheuren à la Tyrannosaurus rex aus Jurassic Parc, wird dann das Innere dieses Bunkers sichtbar. Bankier Fafner hat in seinem Imperium Neidhöhle offensichtlich eine ganze Armada beschäftigt. Natürlich sind zwei sonnenbebrillte Bodyguards in schwarzen Anzügen dabei und Bankangestellte in dezenter grauer Businesskleidung (Kostüme: Antje Sternberg). Den lästigen Paparazzi müssen sich Siegfried, der nun einen Anzug und die typische Richard-Wagner-Kappe trägt, und der Waldvogel einem Interview unterziehen. Nachdem Siegfried Mime getötet hat, erfolgt eine spannende Generalpause, in der das Publikum durch eine Einblendung erfährt, das der Komponist an dieser Stelle die Vertonung des Siegfried für zwölf Jahre unterbrochen hat, um sich der Komposition der „Meistersinger von Nürnberg“ und „Tristan und Isolde“ zu widmen. Danach stürmt Jung Siegfried, geleitet vom Waldvogel, dem Walküren Felsen entgegen…
Im dritten Akt befinden wir uns wieder in der aus der Walküre bekannten verdreckten Reithalle. Der Walküren Felsen in der Mitte gleicht wiederum dem Denkmal der barbusigen französischen Marianne Im Inneren wartet geduldig Brünnhilde auf jenen furchtlosen „Helden“, der sie dereinst wachküssen werde. Und nachdem das geschehen ist, irren beide, von der Regie scheinbar gänzlich im Stich gelassen, planlos über die Bühne umher. Aber zum Happy End dürfen die beiden einander wenigstens leidenschaftlich küssen und umarmen… Vorhang!
Am Pult des bestens einstudierten Bruckner-Orchesters stand an diesem Abend Takeshi Moriuchi, mit Argusaugen dabei war auch Dennis Russel Davies, der scheidende GMD, der die Aufführung aus dem Zuschauerraum mitverfolgte. Moriuchi konnte das Bruckner-Orchester zu wahren Höchstleistungen anspornen, die dem internationalen Vergleich durchaus standhalten können. Die hervorragende Akustik des Musiktheaters Volksgarten brachte die ausgezeichneten Streicher, die hervorragende Celli und Viola da braccio zu vollendeter Entfaltung. Ein vereinzelter Bläserpatzer unterläuft auch den Philharmonikern in Wien. Bravo!
Lars Clevemann hat den Siegfried erstmals 2006 in Stockholm gesungen, später folgte dann die Metropolitan Opera. Ihm gelangen vor allem die Spitzentöne beim Schwertschmieden besonders gut. Dazwischen musste er sich aber immer wieder von dieser Gewaltanstrengung hörbar erholen, was auf wohl einen Rückschluss auf eine mangelhafte Technik zulässt. Darstellerisch ist er freilich trotz Langhaarfrisur kein juveniler 17jähriger Siegfried mehr. Dennoch vermag er durch eine intensive Rollengestaltung in der Interaktion zu punkten.
Elena Nebera gefiel mir als „Siegfried“-Brünnhilde besser als zuvor in der Walküre. Sie sang dieses Mal auch äußerst textverständlich und vermittelte durch ihre leidenschaftliche Interpre-tation einer Dea Virgo Immaculata berührende Momente. Alle Spitzentöne einschließlich des Finaltones gelangen ihr hervorragend. Ein stellenweise auftauchendes Tremolo in der Mittellage vermochte den sehr guten Gesamteindruck an diesem Abend keinesfalls zu schmälern.
Gerd Grochowski drohte als Wanderer im dritten Akt, so hatte ich den Eindruck, stimmlich einzubrechen, zu stark hatte er sich in den beiden Akten zuvor verausgabt. Aber auch er hatte einige wirklich hervorragende und berührende Momente aufzuweisen, etwa in der Wissenswette und in der Auseinandersetzung mit Alberich. Der Mime von Matthäus Schmidlechner empfahl sich mit seinem baritonal gefärbten strahlendem Charaktertenor und intensiver Rollengestaltung den großen Bühnen Donau ab- und aufwärts.
Ein weiterer Höhepunkt an diesem Abend war der hämisch verschlagene Alberich von Bjørn Waag mit mächtiger, furchteinflößender Röhre.
Nikolai Galkin sang einen zufriedenstellenden Fafner, der nach seinem Tod von zwei Sicherheitswachebeamten auf einem sich im Inneren der „Neidhöhle“ befindlichen goldenen Quader aufgebahrt wird.
Die ungarische Altistin Bernadett Fodor agierte rollengerecht als Erda in schäbigem Kostüm. Gotho Griesmeier zwitscherte einen beherzten Waldvogel mit glockenhellem Sopran und bewies, dass sie auch Blockflöte spielen kann.
Das aus Nahem und Fern angereiste Publikum (zahlreiche nach der Vorstellung wartende Busse belegten das große Einzugsgebiet des Linzer Opernhauses) gefiel, nach dem starken Schlussapplaus schließend, das Gesehene und auch der Rezensent war mit dieser Produktion, trotz der ausgezeigten Mängel, zufrieden. Man hat in Bayreuth vor kurzem „Schlimmeres“ erlebt. Und die musikalische Leistung des Bruckner-Orchesters unter seinem verdienten Dirigenten sowie aller mitwirkenden Solisten an diesem Abend lohnen allemal einen Besuch des Linzer Musiktheaters.
Harald Lacina, 08.12.2014
Fotos: Karl Forster