Vorstellung am 18.12.2019
Wir erwähnen viel zu selten André Messager (1853 – 1929) – meines Wissens nun zum ersten Mal im Merker. Dabei hat Messager eine ganz entscheidende Rolle im französischen Opernleben gespielt und bahnbrechende Erneuerungen eingeführt. Für seinen Zeitgenossen war er – ganz ähnlich wie Gustav Mahler in Wien – hauptsächlich ein Dirigent, der auch komponiert und dann Direktor der Oper wird. Messager war immer auf dem Laufenden, was auf den europäischen Opernbühnen passierte und ein hervorragender Organisator. Als Schüler und Schützling von Gabriel Fauré an der Ecole Niermeyer in Paris, war er sehr gut in die Pariser Musikreise eingeführt und wurde durch Marguerite de Saint-Marceaux – herrlich durch Proust in der „Recherche“ als „Madame Verdurin“ porträtiert – mit einigen anderen jungen Komponisten eingeladen zum ersten Festival in Bayreuth. Danach wurde er einer der Vorreiter des französischen „Wagnérisme“ und dann der „Französischen Antwort auf Wagner“ – nämlich, dass man nicht versuchen sollte, Wagner zu imitieren, sondern eine typisch französische Musik zu komponieren.
Das hat wahrscheinlich auch damit zu tun, dass Messagers ersten großen Opern, „Madame Chrysantème“ (1893 – Vorlage für die spätere „Madama Butterfly“ von Puccini) und „Le Chevalier d’Harmenthal“ (1896 ähnlich wie der ein Jahr zuvor uraufgeführte „Roi Arthus“ von Chausson) keinen großen Anklang bei Publikum und Presse fanden.
Messager und Regisseur Albert Carré wurden beauftragt ein neues Konzept zu erarbeiten für die 1887 abgebrannte Opera Comique, die unter ihrer Leitung 1898 neu eröffnet wurde. Carré reiste durch Deutschland und Österreich und brachte zwei Erneuerungen mit: eine hydraulische Bühnentechnik und elektrische Beleuchtung – bis dato in Frankreich unbekannt – und ein wirklich festes Ensemble für alle Rollen ihres Faches anstatt rivalisierender Stars.
Messager setzte mehr Platz und Mut für Uraufführungen durch, u.a. für „Pelléas und Mélisande“ von Débussy (eine der vielen ungewohnt neuen Opern, die Carré nur konzertant geben wollte), die er als Musikdirektor und allgemein sehr geschätzter Dirigent 1902 natürlich selbst dirigierte. Diese allgemeine Achtung ermöglichte ihm eine Opernreform durchzusetzen, von der schon viele geträumt hatten (u.A. Berlioz). Er gab dem Dirigenten seinen heutigen Platz im Operngraben. Denn seit den Anfängen der Pariser Oper unter Lully stand der Dirigent an der Rampe und legte seine Partitur auf den Souffleurkasten. Er stand also mit dem Rücken zu den Musikern, die Richtung Bühne spielten (ein Klangbild, das z.B. Weber sehr gut gefiel und das er dann vergeblich versuchte in Deutschland durchzusetzen).
Dies sorgte für einen Aufstand in dem traditionsbewussten Frankreich, aber Messager wurde trotzdem nach der sehr gelungenen Uraufführung von „Fortunio“ 1907 zum Direktor der Pariser Oper ernannt, wo er alle die oben genannten Reformen durchsetzte – trotz Streik-Drohungen der damals schon streikfreudigen Musiker und einigen bekannten Dirigenten, die sich weigerten „bei diesem Unsinn mitzumachen“ und böse das Haus verließen.
An der Pariser Oper dirigierte er den ersten „Ring“-Zyklus (wie in Bayreuth), den ersten „Parsifal“ und, nach seiner Pensionierung, noch 1920 an der Opéra Comique die französische Erstaufführung von „Cosi fan tutte“.
Ein hochinteressanter Mann und Musiker, zu Lebzeiten ein sehr erfolgreicher Komponist (vor allem von typisch französischen Operetten und Lustspielen), aber ab 1945 beinahe vollkommen von den Spielplänen verschwunden. Es war also eine sehr begrüßenswerte Entscheidung, dass die Opéra Comique vor zehn Jahren in Zusammenarbeit mit dem Palazzetto Bru Zane „Fortunio“ wieder auf ihren Spielplan setzte – zum ersten Mal seit 1948.
Diese Produktion wird nun wieder aufgenommen, mit gleichem Dirigenten und Regisseur, aber mit einer neuen Besetzung. Woran es liegt kann niemand sagen, aber alle sind sich einig, dass es nun viel besser ist als vor zehn Jahren. Wie schon so oft geschrieben: gewisse französische Opern und Operetten entfalten nur dann ihren ganz eigenen Charme, wenn man genau den richtigen Ton trifft. Und den müssen die Sänger erst lernen.
„Fortunio“, eine durchkomponierte „comédie lyrique“ – also mehr „Oper“ als eine „opéra-comique“ mit gesprochenen Dialogen – ist eine typisch französische Ehebruchskomödie nach dem Theaterstück von Alfred de Musset „Le Chandelier“, das viele Komponisten inspiriert hat.
Als Erster Auber schon 1841. Offenbach komponierte eine „Chanson de Fortunio“ und wollte das ganze Werk vertonen, entschied sich aber dann für „Fantasio“, der zur Zeit wieder öfters auf den Spielplänen steht). Die Inszenierung von Denis Podalydès, mit Bühnenbild von Éric Ruf – beide von der Comédie Française – und Kostümen von Christian Lacroix, ist vom Feinsten, geschmackvoll bis ins kleinste Detail. Dirigent Louis Langrée, der sich schon als Musikchef der Oper in Lyon für Messager einsetzte, dirigierte mit „raffinement“, auch in den beinahe Wagnerhaften
Gefühlsausbrüchen der großen Liebesgeständnisse des letzten Aktes. Wunderbar das durch Philippe Herreweghe gegründete Orchestre des Champs-Elysées , das für dieses Repertoire gerne mit Langrée spielt, und der durch Joël Suhubiette vorbereitete Chœur Les Eléments.
Die Besetzung wurde angeführt durch Cyrille Dubois als Fortunio. Seitdem wir über ihn berichten als er vor acht Jahren noch im Opernstudio der Pariser Oper debütierte, singt erinzwischen schon an den großen Häusern Rollen, die meines Erachtens etwas zu groß für seinen nicht unbedingt „lyrischen“ Tenor sind. Aber hier war er perfekt, von seiner verhaltenen Auftrittsarie „Je suis très tendre et très farouche“ bis zu seinem finalen Liebesgeständnis „Dieu! Je rêve! Etre aimé de vous!“, in der er mühelos über das Orchester kam, ohne dabei sein schönes Timbre zu verlieren. Anne-Catherine Gillet war ihm als geliebte, unerreichbare Jacqueline vollkommen ebenbürtig, sowie Jean-Sébastien Bou als fescher Frauenheld Clavaroche und Franck Leguérinel als überaus komischer eifersüchtiger Ehemann Maître André.
Der Rest der Besetzung war vokal vielleicht nicht ganz homogen, aber das kann man niemanden in diesen widrigen Streik-Umständen übelnehmen, in denen viele Leute über 3 Stunden zu Fuß (!) zum Theater laufen mussten und die Luft in Paris zur Zeit so schlecht ist, dass Viele unter Atembeschwerden leiden.
Das größte Kompliment des Abends geht also an Alle die da waren und nicht gestreikt haben. Denn von den fünf Rezensionen, die ich im Dezember außerhalb von Paris schreiben wollte – die übliche „Hoch-Zeit“ für die hiesigen Theater – sind vier dem Generalstreik zum Opfer gefallen. Dies nur als kleiner Indikator für den immensen Preis, den nicht nur die französische Wirtschaft, sondern besonders das Kultur-Leben für diesen Streik bezahlt. So freuen wir uns doppelt und dreifach, dass wir trotzdem endlich einmal über André Messager berichten konnten.
Fotos (c) Stefan Brion
Waldemar Kamer, 22.12.2019
Besonderer Dank an unseren Kooperationspartner MERKER-online