Bericht von der Premiere am 19. November 2017
Unspektakuläre Inszenierung mit musikalischen Glanzlichtern
Sind das tatsächlich Kastagnetten? Der Premierenbesucher reibt sich die Ohren. Er war ein wenig abgelenkt von dem Videofilm, der die Ouvertüre bebildert, aber jetzt wird er hellhörig. Das ist die „Pariser Fassung“! Schon sind wir mitten im Bacchanal gelandet. Pilger mit Rucksäcken haben sich gerade eben noch zu den vertrauten Tönen der Ouvertüre auf einer Leinwand einen Film vom segnenden Papst Franziskus auf dem Petersplatz angesehen. Damit steht gleich zu Beginn fest, daß die Handlung in der Gegenwart verortet ist. Wenn das Orchester dann lebhafter wird und die Musik sich von milder Frömmigkeit zu rauschhafter Schwärmerei wandelt, wandelt sich auch der Film. Das ist zunächst recht originell gemacht, indem das Brustkreuz des Papstes herangezoomt, darauf ein Motiv des „Guten Hirten“ mit Schafen sichtbar wird und diese Schafe plötzlich lebendig werden. Dazu entkleiden sich im Kinozuschauerraum die ersten Pilger und animieren andere, es ihnen gleichzutun. Fünf Nackedeis, drei männliche und zwei weibliche, arrangieren die Sitzmöbel um, beginnen, aneinander herumzufummeln, und schon ist man im Venusberg, der ausschaut wie der Konferenzsaal eines in die Jahre gekommenen Hotels.
Tannhäuser (Lance Ryan) langweilt sich im Venusberg
Man ahnt bereits, daß der mit dunklem Holz vertäfelte und mit Hirschgeweihen verzierte Raum dem Zuschauer wohl als Einheitsbühnenbild erhalten bleiben wird. Und richtig: Auch die nachfolgende Szene auf freiem Feld spielt hier, lediglich auf einem Rückprospekt ist ein Wald wie auf einer Phototapete zu sehen. In die Mitte der Bühne aber wurde eine Glasvitrine hereingefahren, in der die Heilige Elisabeth wie Schneewittchen in ihrem Glassarg vor sich hindöst. Am Ende des ersten Aktes, wenn Tannhäuser von Wolfram an Elisabeth als Motivation zur Rückkehr auf die Wartburg erinnert wird, erwacht die so Angesprochene und bäumt sich in ihrer Vitrine auf, was aber der bereits entschwindende Tannhäuser nicht mehr mitbekommt. Bereits mit diesem Aufbäumen zeigt sie mehr Aktivität, als die Sängerin der Venus im gesamten Akt davor. Jordanka Milkova bewältigt die heikle Partie der Liebesgöttin mit gut geführtem Mezzo zwar musikalisch tadellos, bleibt ihr jedoch vokal jede Leidenschaft schuldig, vernuschelt den Text und wirkt darstellerisch wie ein beweglicher Kleiderständer für gehobene Abendgarderobe. Tannhäuser ist offensichtlich aus purer Langeweile aus ihrem Reich entflohen.
Elisabeth (Sabina Cvilak)
Sabina Cvilak dagegen ist als Elisabeth das vokale und darstellerische Ereignis des Abends. Schon ihre Auftrittsarie „Dich, teure Halle, grüß‘ ich wieder“ ist fabelhaft gestaltet und zeigt unmißverständlich, wie individuell sie diese Rolle anlegt. Zu hören ist keine zurückgenommene, keusche Jungfrau, sondern eine selbstbewusste Fürstentochter. Die Cvilak knüpft an ihren starken Auftritt als „Sieglinde“ in der Wiesbadener „Walküre“ an und wirkt als Elisabeth sogar noch überzeugender. Mit ihrem klaren, jugendlich-dramatischen Sopran, gut durchgeformt in allen Lagen, getragen vom Willen und ausgestattet mit der Fähigkeit zur dynamischen und farblichen Differenzierung, ist sie geradezu eine Idealbesetzung.
Derart eingestimmt, erlebt das Publikum den zweiten Aufzug als ein einziges großes musikalisches Fest, das vom inszenierenden Intendanten bloß noch unauffällig arrangiert werden muß. Uwe Eric Laufenberg verzichtet hier völlig auf Regietheatermätzchen. Kostümbildnerin Marianne Glittenberg hat die Festgesellschaft auf der Wartburg in mittelalterlich-schlichte Kostüme gesteckt, die Minnesänger erscheinen im Ordensrittermantel, in denen sie, völlig unironisch, dem Fürsten zu den Klängen des Einzugsmarsches ihre Aufwartung machen. Der Kontrast zur ansonsten vorherrschenden Gegenwartskleidung soll wohl zeigen, daß ein Ritual aufgeführt wird, für das man sich kostümieren muß. Die Gesellschaft nimmt geordnet Platz. Wer gerade mit dem Singen dran ist, erhebt sich und tritt vor die Menge. Einzelnen Sängern gelingt mit wenigen dezenten Blicken und Gesten eine Individualisierung ihrer Figur. Thomas de Vries etwa gibt sich als „Biterolf“ ironisch-abgeklärt und erfreut wie immer mit seinem eleganten Bariton. Aaron Cawley markiert als „Walter von der Vogelweide“ den Heißsporn und versucht, den Sänger der Titelpartie auch als Heldentenor herauszufordern. Young Doo Park läßt als Landgraf seinen schwarzen Baß sonor erklingen und kämpft wie gewohnt ein wenig mit der deutschen Aussprache. Daß die Regie von ihm beim ritualisierten Sängerwettstreit bloß das Ausstrahlen unerschütterlicher Würde verlangt, kommt seiner darstellerischen Grundausstattung zupaß. Sehr überzeugend entwickelt der junge Bariton Benjamin Russell seinen „Wolfram von Eschenbach“ aus den Tugenden eines Liedsängers. Die Stimme ist hell, gut fokussiert und verbreitet ganz ohne Druck und bei klarer Diktion einen balsamischen Wohllaut. Der von Albert Horne präparierte Chor zeigt ein homogenes und fülliges Klangbild.
Chor und Ensemble
Patrick Lange am Pult des gut aufgelegten Orchesters führt sie alle souverän zusammen. Schon die ersten Töne der Ouvertüre waren vielversprechend, die rauschhafte Steigerung hin zum Bacchanal stellte ein Versprechen dar, daß nun im zweiten Akt einlöst wird. Der Klang ist farbig und gut ausdifferenziert. Die Trompeten schmettern präzise ihre Fanfaren in den Saal, die Streicher zeigen eine Homogenität, die man in den vergangenen Spielzeiten in Wiesbaden gelegentlich vermißt hatte, die Holzbläser überzeugen sowohl mit ihren Soli als auch mit den gut ausgehorchten Einsätzen im Tutti. Bei aller Fülle besitzt das Klangbild immer eine gute Durchhörbarkeit. Kurz: Es ist eine Freude, dem Orchester zuzuhören, mehr noch, das Klanggeschehen im Orchestergraben wird derart spannend dargeboten, daß man regelrecht dankbar ist, nach der Bilderflut zur Ouvertüre in den folgenden drei Akten von optischer Reizüberflutung verschont zu werden. Patrick Langes Einstand als neuer Generalmusikdirektor ist mit dem Tannhäuser fulminant gelungen. Man sieht ihn im Orchestergraben nicht nur dirigieren, sondern immer wieder mit einzelnen Orchestergruppen regelrecht flirten. Da haben sich zwei gefunden.
Dieser zweite Akt ist musikalisch derart überzeugend, daß man sogar bereit ist, über die stimmlichen Defizite des Hauptdarstellers hinwegzuhören. Wer Lance Ryan noch aus dem Frankfurter Tannhäuser vor wenigen Jahren in Erinnerung hatte, der ahnte für die Wiesbadener Premiere nichts Gutes. Die Charakteristika seiner Stimme – ein halsiger, kopfig-krähender Ansatz ohne Körperverankerung bei häßlicher Vokalverfärbung – machten seinerzeit das Zuhören zur Strapaze. Daher ist man nun zunächst angenehm überrascht, daß der Sänger hörbar an seiner Technik und auch am Rollenverständnis gearbeitet hat. Zu Beginn des ersten Aktes ist das Bemühen um besseren Stimmsitz, frei schwingende Höhen und dynamische Differenzierung erkennbar. Leider verflüchtigt sich dieser Eindruck bereits mit dem Austritt aus dem Venusberg: mehr und mehr werden hohe Töne wieder gestemmt und zerschneiden steif und scharf die Gesangslinie. Das setzt sich leider im zweiten Aufzug so fort. Leise und zurückgenommene Passagen gelingen kaum noch, wirken erschreckend brüchig, und obendrein leidet dann auch noch zunehmend die Intonation. In der Romerzählung des dritten Aktes versucht Ryan dann wieder, an die passable Leistung des Beginns anzuknüpfen, was ihm leidlich gelingt. Er rettet so den Gesamteindruck und bekommt zum Schlußapplaus überwiegend Zustimmung vom Publikum.
In diesem Schlußakt ist der Regisseur wieder etwas plakativer geworden. Bühnenbildner Rolf Glittenberg hat ein großes, weißes Kreuz in das Einheitsbühnenbild gelegt, vor dem Elisabeth beten und Tannhäuser sich am Ende gequält räkeln darf. Immerhin weiß man jetzt auch, woran die Heilige Elisabeth gestorben ist: Bei Laufenberg muß sie, nur mit einem dünnen Leibchen bekleidet, im Schnee auf ihren Heinrich warten und hat sich dabei wohl den Tod geholt.
Das Angenehme an Laufenbergs neuer Regiearbeit ist: Sie bietet keine „Deutung“, sondern eine Inszenierung, ein In-Szene-Setzen des Textbuches. Die historische Verortung spielt dabei keine entscheidende Rolle. Das ambitioniertere Feuilleton wird sich daran die Zähne ausbeißen. Es ist nichts „brennend aktuell“, es gibt keine „ungeahnten Blickwinkel“, man „lernt“ nichts, weder über die Gegenwart, noch über das Mittelalter, noch über Wagners 19. Jahrhundert, es wird nicht „aus der Perspektive von“ Wem-auch-immer erzählt. Es gibt bloß einen unverstellten Blick auf das Stück. Daß immer dann, wenn von der Liebesgöttin die Rede ist, die Nackten vom Venusberg aus den Kulissen springen, ist nicht provokativ, sondern im Gegenteil regelrecht werkadäquat. Laufenberg läßt sie im Programmzettel als „Grazien“ ausweisen und nimmt damit ausdrücklich auf Wagners Regieanweisung zum ersten Akt Bezug. Diese Inszenierung tut Wagner keine Gewalt an. Das Publikum scheint das ähnlich zu sehen, denn es spendet dem Produktionsteam freundlichen Schlußbeifall. Regelrecht gefeiert werden dagegen die Musiker. Besonders starken Applaus erhalten Benjamin Russell für seinen frischen Wolfram und Patrick Lange für seinen fulminanten Einstand als Generalmusikdirektor.
Bilder (c) Monika und Karl Forster
Michael Demel, 20. November 2017
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Weitere Vorstellungen gibt es am 24. November, am 3. und 17. Dezember, 10. und 28. Januar, 30. März, 27. Mai sowie am 30. Juni.