Friedrich-von-Thiersch-Saal, Kurhaus Wiesbaden, 22. August 2019
Anton Bruckner: Sinfonie Nr. 8 c-moll WAB 108
Leitung: Andris Nelsons
Nach dem spektakulären Konzert mit dem London Symphony Orchestra unter Sir Simon Rattle, welches eine Woche zuvor an gleicher Stelle statt fand, nun ein weiterer symphonischer Gipfelabend im Rahmen des diesjährigen Rheingau-Musikfestivals.
Eingeladen war das traditionsreiche Gewandhausorchester Leipzig mit seinem lettischen Chefdirigenten Andris Nelsons. Auf dem Programm des Abends stand mit der achten Sinfonie von Anton Bruckner dessen umfangreichste Sinfonie zur Aufführung.
Der Komponist arbeitete insgesamt fünf Jahre an seiner Sinfonie und wie so oft, folgten von ihm diverse Überarbeitungen, z.B. von Leopold Nowak, die auch Nelsons bei seinem Konzert wählte. Dirigent Hans Richter leitete schließlich die Uraufführung in der finalen Fassung im Jahr 1892.
Andris Nelsons beschäftigt sich aktuell mit einer Gesamteinspielung aller Bruckner Sinfonien mit dem Gewandhausorchester. Seine genaue Kenntnis des Werkes war jederzeit bezwingend spürbar.
Bereits im einleitenden Allegro moderato des ersten Satzes traf Nelsons hervorragend den mystischen Grundton. Schon der Auftakt machte deutlich, hier ereignet sich ein besonderer musikalischer Moment! Dann immer wieder harmonische Schärfungen und geballte klangliche Entladungen in einem großen Spannungsbogen, zuweilen in größter Vehemenz ausmusiziert. Die dynamische Bandbreite war hier bereits im Eingangssatz außergewöhnlich groß, so dass gerade dann das besonders leise Verklingen des Satzes eindrücklich geriet. Die kantabel intonierenden Holzbläser sorgten immer wieder für wohlige Ruhemomente.
Ungewöhnlich und erstmals in einer Sinfonie von Anton Bruckner, das Scherzo als zweiter Satz. Nelsons arbeitete sprübar markant die rhythmischen Akzente heraus, so z.B. sehr pointiert die Solo-Pauke am Beginn des Satzes. Auch hier waren die fabelhaften Blechbläser des Gewandhausorchesters perfekt eingestellt und im Zusammenspiel äußerst präzise. Immer wieder eine Insel der Tröstung das As-Dur Trio in der Mitte des Satzes.
Von größter Eindringlichkeit und Höhepunkt des Konzertabends war das ausladende Adagio, in welchem Bruckner u.a. die Harfen exponiert zum Einsatz brachte. Die große Verehrung Richard Wagners klingt gerade hier immer wieder überdeutlich an, sogar ein Motiv aus dessen „Siegfried“ ist zu hören. Tuben und Schlagzeug geben diesem längsten Satz aller Bruckner Sinfonien eine besondere Feierlichkeit. Und Andris Nelsons war hier ganz bei sich, hörte, fühlte und grub sich geradezu tief in die Musik hinein. Für diesen Satz nahm sich Nelsons viel Zeit, ja fast wollte die Zeit still stehen, während die Musik weiterfloss, ohne zu stocken. Sein Staunen und sein lebhafter gestischer Ausdruck wurde von dem hingebungsvoll musizierenden Gewandhausorchester geradezu symbiotisch aufgesogen. Mit größter Sensibilität und Wachsamkeit eröffneten die famosen Streicher einen filigranen, weichen und zugleich nobel tönenden Klangteppich, so dass sich dem Zuhörer ein weiter, unendlicher Klangkosmos eröffnete.
Pompös und aufrauschend dann der gewaltige Finalsatz mit seinen heftigen Paukenakzenten zu Beginn, die an eine Reiterschar denken lässt. Andris Nelsons wahrte auch hier perfekt die dynamische Balance und begann diesen Satz in einem furios nach vorne stürmenden Tempo. Faszinierend seine musikalische Klarsicht auf die z.T. verästelte musikalische Struktur und die vielen Fugatoeinschübe. Auch in den gewaltigen polyphonen Aufschichtungen gewährleistete Nelsons eine klare Transparenz bis in die Nebenstimmen hinein. Herrlich derb und markant das laute Ostinato der Solo-Pauke, gefolgt von drastisch heraus gemeißelten Dissonanzen in den Blechbläsern. Das Finale am Satzende geriet in seinem ruhigen und sehr klar gegliederten Aufbau überwältigend.
Das Gewandhausorchester Leipzig ist seit jeher intensiv mit der Musik Anton Bruckners vertraut. Es war imponierend zu erleben, wie souverän und warmstimmig alle Instrumentalgruppen miteinander musizierten. Mit höchster Konzentration, großer Ausdauer und bestechender Klangqualität zeigte das Gewandhausorchester seine herausragende Qualität, die sich fortwährend in einem edlen Klangpanorama aufzeigte. Der Klang des Orchesters ist einzigartig, wirkt samtig, golden und doch immer auch zupackend, geradezu körperlich, wenn es gefordert war. Was besonders beeindruckte, war das erlebbare Miteinander des Orchesters, die Musiker hörten aufeinander und reagierten sehr sensibel. Der warme Klang der Streichergruppe, die immer weich intonierenden Holzbläser, das majestätische, ungemein sicher, ausdauernde Blech und die fabelhaften Schlagzeuger verliehen diesem Konzert einen Ausnahmecharakter.
Es war eine Bruckner Interpretation gegen den musikalischen Zeitgeist, nicht weichgespült oder durch willkürliche interpretatorische Mätzchen verflacht. Nein, es war ein musikalisches Bekenntnis, welches Andris Nelsons mit seinem hingebungsvoll agierenden Gewandhausorchester Leipzig formulierte! Sehr subjektiv und dadurch unwiderstehlich in seiner Überzeugungskraft!
Das Publikum im ausverkauften Konzertsaal wusste diesen besonderen Abend zu würdigen und feierte Nelsons sowie das Gewandhausorchester Leipzig mit ausdauernden Intensiv-Huldigungen.
Dirk Schauß, 23. August 2019
Foto (c) Klostermann