Aufführung vom 26. Dezember 2018
TRAILER
Wer kennt nicht das Märchen von Hänsel und Gretel, welches bis heute Kinder wie Erwachsene in Ihren Bann zieht und zu den meist erzählten Werken der Gebrüder Grimm zählt. Als am 23. Dezember 1893 (fast auf den Tag genau vor 125 Jahren) die Oper von Engelbert Humperdinck am Hoftheater Weimar unter der Leitung des damals jungen Richard Strauss uraufgeführt wurde, konnte man sofort von einem großen Erfolg berichten. Die Resonanz war derart gross, dass bereits nach einem Jahr fünfzig andere Theater das Werk auf die Bühne brachten. Bis heute ist diese Oper eines der meist aufgeführten Werke des Opernrepertoires.
Humperdinck war ein großer Verehrer von Richard Wagner, von welchem er seit seiner ersten Begegnung in einem Konzert mit dessen Musik fasziniert war. Wagner ermöglichte ihm sogar, als Assistent in Bayreuth an den Vorarbeiten zu den Aufführungen von Parsifal mitwirken zu können. Die Musik von Humperdinck ist stark von all diesen Erlebnissen geprägt und besitzt dennoch ihre Eigenständigkeit. Es entstanden die zahlreichen volksliedhaften Melodien dieser durchkomponierten Partitur, welche heute noch vielen Kindern bekannt sind.
Gerade die Eingängigkeit dieser Melodien machen Hänsel und Gretel zu einem Werk, das oft als erstes Opernerlebnis für Kinder ausgewählt wird. Die klassische romantische Handlung ist uns allen bekannt. Sie wird in der Regel traditionell inszeniert. Dass die Handlung aber auch modern interpretiert und sich in der heutigen durch Armut, Vernachlässigung, Ausgrenzung und Gewalt geprägten Zeit spielen lässt, zeigt diese Inszenierung am Opernhaus Zürich. Wenn sich der Vorhang nach der stimmungsvollen Ouvertüre hebt, befinden wir uns auf einem Abstellplatz in der Peripherie einer Stadt, wo sich eine unter ärmsten Verhältnissen lebende Familie niedergelassen hat.
Hänsel und Gretel sind alleine zuhause, wo sie auf ihre Eltern warten, welche Ihnen etwas zu essen bringen sollten. Nachdem Sie während des Herumalberns und Tanzens die letzte Milch verschüttet haben, erscheint die Mutter, welche gerade von einem Freier heimkehrt. Diese in der Not als Prostituierte dargestellte Frau ist verzweifelt und hart. Über diese Darstellung der Mutter kann man geteilter Meinung sein. In Ihrer Wut schickt Sie die Kinder in den Wald, um Beeren zu suchen.
Da kehrt der Vater betrunken von der Arbeit heim und bringt nach einem erfolgreichen Tag einen Sack voll Lebensmittel. Der Vater wird in dieser Inszenierung als Nikolaus dargestellt, wie er durch das Fenster des Wohnwagens steigt und der Familie die Gaben überbringen will. Doch da findet er nur seine Frau vor, welche ihm gestehen muss, dass sie die Kinder in den Wald geschickt hat. Dort ist allerdings die Knusperhexe die Herrscherin und in ihrer Angst machen sich die Eltern auf die Suche nach den Kindern.
Der berühmte Hexenritt wird als ein wilder Tanz von acht Breakdancern choreographiert, was erstaunlich gut passt und von den Tänzern hervorragend ausgeführt wird. Im hier als Müllhalde dargestellten Wald erfreuen sich die Kinder während der Suche nach den Beeren und tanzen und necken sich. Doch schon bald naht die Nacht und sie werden sich bewusst, dass Sie den Nachhauseweg nicht mehr finden würden. Plötzlich erscheinen die Breakdancer von vorher aus den herumliegenden Säcken und Schachteln. Das Sandmännchen, ebenfalls ein Mitglied dieser Gruppe, macht die Kinder müde und Sie schlafen behütet ein.
Da öffnen sich die Mauern und es erscheint eine Traumwelt voller Kinderwünschen. Berge von Geschenken, Schneemänner, Weihnachtsbäume und herumfahrende und spielende Kinder. Dieses Bild mit seiner Pracht und dem fallenden Schnee ist zauberhaft und großartig. Nach der Pause liegen vor dem noch geschlossenen Vorhang die acht Breakdancer und erwachen langsam. Sie heben den Vorhang und wir befinden uns in einem Wald voll von Weihnachtsbäumen. Ein sehr beeindruckendes Bühnenbild. Als dann das Knusperhäuschen der Hexe in Form einer riesigen Weihnachttanne mit übergroßem Sessel und einem lodernden Kamin erscheint und dazu noch die als Zwerge dargestellten Lebkuchenkinder auftauchen, ist der Eindruck nicht mehr zu überbieten. Unter dem Weihnachtbaum befinden sich unzählige Geschenkpäckchen mit darin eingepackten Süßigkeiten. Die Kinder schmausen fasziniert und begeistert, als plötzlich die Stimme der Hexe ertönt. Zuerst als ein Windhauch wahrgenommen, erscheint die ebenfalls als Nikolaus verkleidete Hexe, welche das Vertrauen der Kinder durch Süßigkeiten zu gewinnen sucht, diese damit aber auch für ihre bösen Zwecke mästen will. Hänsel wird mit Zauberkraft auf den Stuhl gefesselt und erstarrt, während Gretel der Hexe dienen muss. Doch Gretel gelingt es, die Hexe zu überlisten. Nachdem Sie Hänsel befreit hat, wird diese in den Ofen gestoßen wo sie verbrennt. Hänsel und Gretel entzaubern die Zwerge, welche sich in normale Kinder verwandeln und die Eltern finden ihre Kinder wieder.
ROBERT CARSEN erzielt mit dieser in der heutigen Zeit spielenden und voller Details inszenierten Aufführung eine beeindruckende Wirkung. Sofort verbreitet die Musik mit all Ihren eingängigen Melodien Ihre Wirkung und man ist beeindruckt wie diese zu den modernen Kulissen und Tänzen passt. Natürlich kann man sich streiten, ob eine klassischere Darstellung der Figuren nicht kindgerechter wäre, doch gerade in der besuchten Vorstellung am Stephanstag, befanden sich unzählige kleine Kinder, welche sich durch die tollen Bühnenbilder und die Handlung total faszinieren ließen und gespannt dieser Aufführung folgten. Das Bühnenbild und die Kostüme von GIDEON DAVEY schaffen zusammen mit dem Lichtgestalter PETER VAN PREAT und der Choreographie von PHILIPPE GIRAUDEAU eine atmosphärische Stimmung, welche die Zuschauer in den Bann zieht.
Und was für eine herrliche Sängerbesetzung durften wir hier erleben! ANNA STÉPHANY als Hänsel und OLGA KULCHYNSKA begeistern als wunderbares Geschwisterpaar, welche die Lieder und Duette virtuos singen und mit Ihrem Spiel sofort die Herzen auf Ihrer Seite haben. Eine tolle Leistung.
MARKUS BRÜCK, eine Luxusbesetzung als Vater, begeistert mit seiner großen Stimme und einem ebenso engagierten Spiel. So beeindruckend hat man diese Partie wohl selten gehört. Als Mutter und Knusperhexe war MARINA PRUDENSKAYA zu erleben. Die beiden Rollen verlangen einen vollen Einsatz der Stimme und der Darstellung. Mit Ihrem Mezzo hat sie der verzweifelten Mutter und der unheimlichen Hexe, vielen Nuancen verliehen.
Das Sandmännchen von NATALIA TANASII und das Taumännchen von SEN GUO, ergänzten das hervorragende Sängerensemble aufs Schönste. Der KINDERCHOR DER OPER ZÜRICH gemeinsam mit SoprAlti des OPER ZÜRICH und dem ZUSATZCHOR des OPERNHAUSES boten einen sehr schönen Klang und ein abrundendes Finale.
Besonders erwähnen darf man die tollen Mitglieder der Breakdance-Gruppe, welche den Hexenritt und den Knusperwalzer mit vielen unglaublich akrobatischen Einsätzen zu einem neuen Seherlebnis gemacht haben.
POURIA ABBASI, MICHEL BRIAND, KEMAL DEMPSTER, IVAN LARSON, HENRI MONSANTO, Vida Peña, OLIVER PFULG und BRIAN WITSCHI sei Dank.
Unter der Leitung von MARKUS POSCHNER spielte die PHILHARMONIA ZÜRICH die großartige Musik von Humperdinck. Das Orchester erklang sehr nuanciert und bestens disponiert. Eine Freude.
Der starke Beifall und die Bravorufe des Publikums waren mehr als verdient.
Marco Stücklin 5.1.2019
Übernahme unserer Freunde vom OPERNMAGAZIN
© T+T/Tanja Dorendorf