Premiere: 24.09.2021
Viel Neues und eine Rarität
Lieber Opernfreund-Freund,
gleich in mehrerlei Hinsicht war gestern Abend am Theater Hof Premierenzeit. Nicht genug, dass das Haus aus der erzwungenen Pandemiepause erweckt und die neue Spielzeit eröffnet wurde, auch der neue Musiktheaterdirektor und Chefdirigent Ivo Hentschel gab seinen Einstand. Zudem war es der Eröffnungsabend nach der Generalsanierung des 1994 eröffneten Baus. Um so viel Neues zu feiern, hat man sich einen mehr als 2500 Jahre alten Stoff ausgesucht: Medea, die antike Geschichte der mordenden Mutter, wird in der selten gespielten Opernumsetzung Luigi Cherubinis gezeigt und gerät nicht zuletzt Dank der exzellenten Susanne Serfling zum Ereignis.
Natürlich lädt die erste Regiearbeit in einem sanierten Theater mit modernisierter Bühnentechnik dazu ein, die neuen, eindrucksvollen technischen Möglichkeiten zu zeigen. Das tut Lothar Krause zusammen mit der Bühnen- und Kostümbildnerin Annette Mahlendorf auch ohne Zweifel – und dennoch gerät ihre Lesart nicht zum Selbstzweck. Vielmehr verdichten die beiden die Geschichte rund um die Titelfigur. Gold ist omnipräsent in den Kostümen und den wenigen Requisiten am gestrigen Abend, die Bühne selbst in ihrer Wandelbarkeit genügt als Bühnenbild, eindrucksvolle Lichtregie schafft Stimmung und Stimmungen; die Hauptprotagonisten tragen historisierende Gewänder, ohne dabei explizit auf eine Zeit Bezug zu nehmen. Doch anhand der Farbgebung ist klar, dass Medea und ihre Gefährtin Neris nicht dazu gehören. Das sagenumwobene Vlies wird als stilisierter Widderkopf kurz gezeigt, doch alsbald durch das wahre Zentrum der Geschichte ersetzt. Medea ist nicht nur Triebfeder des Geschehens, sondern der Mittelpunkt von allem, um den auch der beinahe gemäß der griechischen Tragödientradition eingesetzte Chor kreist. In immer wieder eingespielten Videos von Kristoffer Keudel werden Hintergründe und Zusammenhänge deutlich; die hätte es aber wegen der klaren Erzählweise Krauses und der eindrucksvollen Bilder, die ihm auf den neuen Brettern gelingen, kaum gebraucht.
Man hat sich in Hof für Cherubinis originale Dialogversion entschieden, Krause hat allerdings die Originaltexte gestrichen und Ersatz unter anderem bei Euripides oder Grillparzer gefunden. Und auch wenn ich persönlich kein Fan von gesprochenen Dialogen im Musiktheater bin, weil sie den Musikfluss unterbrechen, mitunter in die Musik hineinreichen und Opernsänger oft einfach keine Sprechschauspieler sind, ist dies in Hof außerordentlich gut und bei klarster Textverständlichkeit gelungen. Das liegt sicher auch daran, dass man in Susanne Serfling als Medea eine Idealinterpretin gefunden hat, die nicht nur über enorme stimmliche Mittel, sondern auch ein ausgeprägtes schauspielerisches Talent verfügt. So zwingend sie den Zuschauer mit ihren Ausbrüchen mit in die Verzweiflung ihrer Figur reißt, so berührend ihre Piani über den Graben strömen, so packend ist ihre Darstellung, die sie mit dem ganzen Körper regelrecht zelebriert. Die gesprochen Texte rezitiert sie mit enormer Intensität und, dass sie die Medea gestern überhaupt zum ersten Mal auf der Bühne gestaltet, mag man kaum glauben, so überzeugend personifiziert sie die desillusionierte Frau, die nicht nur aus Rache zur Mörderin wird.
Minseok Kim gestaltet den Jason mit farbenreichem Tenor und überzeugt mit fragil erscheinenden Piani, seine Ausbrüche allerdings geraten bisweilen eine Spur zu grob. Vom König Créon von James Tolksdorf hätte ich mir neben erhabenem Herumstolzieren ein wenig mehr vokale Wucht gewünscht, Yvonne Prentki gestaltet seine Tochter Dircé hingegen vollends überzeugend mit müheloser Geläufigkeit und zarten Höhen. Stefanie Rhaue legt Medeas Gefährtin Néris eher mütterlich an, gefällt mir aber dabei gut mit ihrem nuanciert eingesetztem Mezzo. Dem Chor kommt in der Medea eine besondere Rolle zu, gerade im Regieansatz von Lothar Krause. Roman David Rothenaicher hat die Damen und Herren exzellent vorbereitet auf diese wichtige Aufgabe und so überzeugt der Opernchor, ob singend oder deklamierend, auf ganzer Linie. Angesichts der Tatsache, dass es sich bei allen Sängerinnen und Sängern um Rollendebütanten handelt, ist die vokale Gesamtleistung noch bemerkenswerter.
Debütantenfieber dürfte auch im Graben geherrscht haben, in dem Ivo Hentschel von Beginn an die Zügel fest in der Hand hält. Zusammen mit den Hofer Symphonikern legt er behutsam die Ecken und Kanten in Cherubinis Partitur frei, erfreut mich mit seinem ausgeprägten Spiel mit Klangfarben sowie einer gehörigen Portion Leichtigkeit und präsentiert eine Medea aus einem Guss, die im Graben ebenso so spannend ertönt, wie sie auf der Bühne erscheint. Das macht neugierig auf mehr! Das Publikum im coronabedingt dezimiert besetzten Zuschauerraum ist am Ende dieses Premierenabends ähnlich begeistert wie ich und spendet allen Beteiligten viel Beifall. Und auch ich finde kaum etwas anderes für diese glänzende Produktion.
Ihr
Jochen Rüth
25.09.2021
Fotos: H. Dietz Fotografie, Hof