Klagenfurt: „Der Freischütz“

Besuchte Vorstellung: 18.9.2012

Saisonauftakt und Auftakt der neuen Intendanz – Umstritten

Der 42-jährige gebürtige Heidelberger Florian Scholz – er war zuletzt an der Bayrischen Staatsoper Direktor für Internationale Beziehungen und Sonderprojekte – hat mit dieser Spielzeit die Intendanz in Klagenfurt übernommen. Die Expertenjury unter dem Vorsitz von Ex-Staatsoperndirektor Joan Holender hatte vor rund eineinhalb Jahren ganz bewußt einen Theatermanager und keinen Regisseur ausgewählt – siehe dazu den Medienbericht über die Intendantenwahl:

http://www.kleinezeitung.at/kaernten/klagenfurt/klagenfurt/2668440/florian-scholz-neuer-intendant.story

Wenn man weiß, wo Scholz herkommt (Ernst-Busch-Hochschule, Gorki-Theater und Schaubühne Berlin, persönlicher Assistent von Gérard Mortier), dann überrascht seine erste Premiere nicht. Florian Scholz stellt seine erste Saison unter das Generalmotto „Naturgewalten“, eröffnet mit Webers Freischütz und sagt dazu im Interview:

‚Auch ein klassisches Werk wie "Der Freischütz" verhandelt brisante politische Themen. Man verbindet das Stück oft mit einer fröhlichen, im Wald lebenden Gemeinschaft. Aber es beschreibt etwas ganz anderes, nämlich eine Gesellschaft, die sich zwar als naturverbunden bezeichnet, ihre Individuen aber derart bedrängt, dass ein friedliches, freies Leben nicht möglich ist. Jedenfalls herrschte schon bei der Generalprobe einige Aufregung!’

http://derstandard.at/1345166964061/Ich-moechte-kein-politisches-Sprachrohr-sein )

Und Aufregung gab es nicht nur bei der Premiere, wie man in den ersten Kritiken nachlesen konnte, Aufregung gibt es seither auch bei den Kärntner Leserbrief-Schreibern – und Aufregung und Unruhe im Publikum gab es auch bei der dritten Aufführung, die ich besucht habe. Die junge deutsche Regisseurin Anna Bergmann hat mit ihrer Dramaturgin Laura Schmidt und den Ausstattern Ben Baur (Bühne), Claudia González Espíndola (Kostüme) und Sebastian Pürcher (Video) zu Webers Musik ein neues Stück erfunden. Von der „Süddeutschen Zeitung“ (18.3.2011) wird Anna Bergmann als "explodierendes Fräuleinwunder des deutschen Theaterbetriebs" gelobt. Nun – was sie in Klagenfurt präsentiert hat, das war eigentlich nur ein recht hilfloser Versuch, mit den üblichen Mitteln des heutigen Regietheaters aus Webers Musik und dem Libretto von Friedrich Kind ein anderes Stück zu entwickeln.

Dieses Stück spielt in einer herabgekommenen Dorfgemeinschaft in der amerikanischen Provinz mit stets gewaltbereiten und schiesswütigen Menschen, Transvestiten, Drogensüchtigen, Sexbessessenen, einer dominanten Großmutter, einem ständig und überall präsenten „Unaussprechlichen“ (so wird hier Samiel umbenannt), einem Ännchen mit Baby, einer kindlichen Doppelgängerin von Agathe und einem Dorftrottel als Bruder von Agathe, der im Schlussbild zum Deus ex machina mutiert.

Max kommt als Aussenseiter in diese Gesellschaft – Agathe hofft, mit ihm samt seinem glitzernden Auto und seinem Reitpferd aus dieser bedrückenden Gesllschaft entfliehen zu können. Aber Max passt sich an, wird selbst zum Macho, der am Schluss alles um sich niederschießt und ratlos zurückbleibt, während Agathe durch die Hinterbühne ins Licht schreitet…….

Bei diesem neuen Stück kann man natürlich trefflich Gesellschaftskritik üben, aber wie passt da Webers Musik dazu ? Das Konzept geht am ehesten noch in der Wolfsschlucht auf, als die verzerrten Gestalten der Dorfgesellschaft Max traum- und wahnhaft bedrängen. Aber Weber hat in seiner Musik ganz bewusst dem Schwarz-Nächtlichen das Positive, das Helle gegenübergestellt – und das kommt in Bergmanns Sicht nicht vor. Positives,Transzendenz oder Erlösung gibt es nicht! Noch dazu ist vieles in der Inszenierung handwerklich unreif: entweder agiert der Chor (und auch so manche Solisten) mit den abgenützten Gesten althergebrachter Operntradition oder er wird im Schlussbild zu ritualisierten gymnastischen Bewegungen verurteilt. Und noch etwas, was so ganz gegen den Geist der Musik verstösst:

Agathes Arien sind Ruhepunkte. Aber in dieser Inszenierung gibt es keine Ruhepunkte – ständig muss sich alles (auch die knarrende Drehbühne) bewegen, zusätzlich flimmern Videos im Hintergrund. Die Inszenierung hat keinerlei Vertrauen in die Musik, muss sie zwanghaft ständig mit Aktion konterkarieren und damit von ihr ablenken.

Ein Leserbriefschreiber am Tag der von mir besuchten Aufführung hat nicht unrecht: besser, man vergisst den szenischen Umsetzungsversuch und hört ausschliesslich auf die Musik. Denn hier wird durchaus Hörens- und Lobenswertes geboten!

Die musikalische Leitung hat der junge Brite Alexander Soddy, der für eine intensive und spannungsvolle Leistung des Orchesters und des gesamten Ensembles sorgt. Manchmal wackelt durch sein intensives Gestalten etwas der Kontakt zur Bühne – aber das stört nicht ernsthaft, weil der musikalische Gesamtduktus stets überzeugt. Das Kärntner Sinfonieorchester habe ich kaum je noch so überzeugend gehört. Auch Chor und Extrachor (Leitung: Günter Wallner) waren prächtig. Die vier Hauptfiguren waren sehr gut besetzt. Der Caspar von Martin Winkler ist hier als erster zu nennen. Wenn er sang, vergass man auf die Inszenierung – das war packendes Musiktheater. Eine ideale Besetzung!

Stephan Rügamer war ein glaubwürdiger Max mit dem richtigen Timbre für diese Rolle. Prächtig seine dramatischen Ausbrüche – an den lyrischen Pianophrasen und am Mezzavoce wird noch zu arbeiten sein.

Seine Agathe war die Irin Celine Byrne – schade, dass die hübsche junge Frau zu einer unvorteilhaften Perücke und zu steifer Pose verurteilt war. Sie verfügt über eine schön timbrierte Sopranstimme mit klaren Piano – und Fortetönen und der Fähigkeit zu großen Bögen. Der Registerausgleich wird noch zu verbessern sein – jedenfalls eine neue Stimme mit Zukunftshoffnungen. Als Ännchen kehrte die Kärtnerin Eva Liebau aus Zürich in ihre Heimat zurück und wurde vom Publikum umjubelt . Die Regie zwang sie zu einer völlig manirierten Darstellung, die von ihrer ausgezeichneten stimmlichen Leistung (speziell im dritten Akt) unnötig ablenkte.

Aus dem Ensemble fiel der 27- jährige David Frédéric Steffens als „Bruder/Eremit“ mit schönem und vielversprechendem Bass auf. Holger Ohlmann war ein kräftiger Kuno. Peter Mazalán (Ottokar) und Patrick Fabian Vogel (Kilian) sind neue junge Ensemblemitglieder, deren Entwicklung man interessiert beobachten wird.

Michael Kuglitsch war ein akrobatischer „Unaussprechlicher/Samiel“ mit leider technisch sehr verfremdeter und dadurch schwer verständlicher Stimme und die erfahrene und geschätzte Schauspielerin Hanne Rohrer gab sich zu der unnötigen Grossmutter-Rolle her.

Zusammenfassend: Klagenfurt hatte schon wesentlich überzeugenderes modernes Musiktheater erlebt – z.B. Torsten Fischers „Holländer“, mit dem vor einem Jahr die Spielzeit eröffnet wurde. Aber die neue Intendanz hat zumindest auf musikalischem Gebiet die Latte sich selbst hoch gelegt! Warten wir gespannt, wie die nächsten Musiktheaterproduktionen ausfallen werden (Das schlaue Füchslein, Idomeneo und Perlenfischer)

Hermann Becke

Copyright der Bilder: Stadtheater Klagenfurt

Video nach der Premiere:

http://www.kleinezeitung.at/allgemein/video/multimedia.do?action=showEntry_VideoDetail&project=462&id=241586

Solisten:

http://www.celinebyrne.com/

http://www.martinwinkler.net/