Großes Festspielhaus – am 30.8.16 (Premiere am 27.8.)
Prachtvolle Wiederentdeckung
Otto Nicolai: Wer denkt bei Nennung dieses 1810 in Königsberg geborenen und 1849 in Berlin allzu früh verstorbenen Komponistennamens nicht an „Die lustigen Weiber von Windsor“ und die deutsche Spieloper? Dabei hat Nicolai in der ersten Hälfte seiner Karriere mit italienischen Opern Erfolg gehabt und Ruhm erworben. Nach seinem Studium der Kirchenmusik bei Friedrich Zelter in Berlin ging er 1833 nach Rom, wo die Preußische Gesandtschaft im Vatikan einen Organisten suchte. Gemäß seiner Ausbildung sah er in der italienischen Oper zunächst nur eine Art Trivialmusik, was sich aber rasch änderte, als er erste Opernaufführungen sah und daraufhin beschloss, in Italien zu bleiben und Opern zu komponieren.
Nach „La figlia abbandonata“ (Bologna, 1837) und „Enrico II.“ (Triest, 1839) schrieb er als Dirigent der Karnevalssaison 1839/40 in Turin für Mercadantes „I briganti“ eine Einlagenarie, die solchen Erfolg hatte, dass er den Auftrag für die Komposition einer Oper bekam, die Sir Walter Scotts „Ivanhoe“ (1820) zur Grundlage haben sollte. Nicolai erstellte selbst die Dramatisierung des Romans, während der Hobbydichter Girolamo Maria Marini die entsprechenden Verse schuf. Die Premiere von „Il templario“ in Turin am 11. Februar 1840 wurde ein veritabler Triumph, und das Werk wurde noch im selben Jahr in Genua, Mailand und Triest nachgespielt, 1841 in Wien und Barcelona gegeben; weitere bedeutende Stationen waren u.a. Madrid, Kopenhagen, Lissabon und Buenos Aires. Die letzte Aufführung im 19. Jahrhundert ist 1879 in Livorno belegt, dann musste die Oper bis zum 21. Jahrhundert warten, bis sie 2008 in Chemnitz wieder ausgegraben wurde und nun in Salzburg zu Festspielehren kam.
Bevor wir näher auf sie eingehen, sei noch darauf verwiesen, dass Nicolai nach dem Misserfolg von „Il proscritto“ an der Mailänder Scala Italien verließ und in Wien die Nachfolge Conradin Kreutzers als Hofkapellmeister antrat (was uns bekanntlich die Gründung der Wiener Philharmoniker beschert hat). Ab 1848 in Berlin, schrieb Nicolai den „Proscritto“ um, der die italienischen Erfahrungen des Komponisten zwar nicht verleugnet, aber stilistisch doch die Brücke zu den so erfolgreichen „Lustigen Weibern“ darstellt, deren Uraufführung der Komponist noch erlebte, ehe er zwei Monate später einer Gehirnblutung erlag.
Doch nun zum „Templario“: „Ivanhoe“ war bereits 1829 von Heinrich Marschner unter dem Titel „Der Templer und die Jüdin“ vertont worden und entsprach dem Scott’schen Original mit einem halbwegs glücklichen Ende (Rebecca rettet sich mit ihrem Vater nach Granada). Nicolai bevorzugte ein tragisches Ende: Die Jüdin Rebecca, die den Kreuzritter Vilfredo d’Ivanhoe laut Libretto „mehr liebte als ihren Gott“ stirbt an ihrer unerwiderten Liebe, die bei Vilfredo auf Unverständnis stößt. Dieses „Unhappyend“ krönt eine genuine Belcantooper, die an melodischem Einfallsreichtum den zu jener Zeit auf dem Höhepunkt seines Ruhms stehenden Saverio Mercadante bei weitem übertrifft (vom mit diesem gleichaltrigen Giovanni Pacini ganz zu schweigen) und hinsichtlich Tonsatz und Harmonik sowie Farbigkeit und Instrumentation jederzeit die deutsche Ausbildung erkennen lässt. Die Figuren sind musikalisch klar charakterisiert, was vor allem der Titelfigur, dem Templer namens Briano di Bois-Guilbert zugute kommt, denn dieser ist ein Edelmann, der durch seine Liebe zu Rebecca auch unehrenhafter Handlungen fähig wird (eine Art Vorläufer von Verdis Luna). Diese kraftvolle, dramatische Baritonrolle lässt denn auch immer wieder an Verdi denken. Dieser war ja nur drei Jahre jünger als Nicolai und hatte 1839 seinen Erstling „Oberto“ zur Uraufführung gebracht. Auch die Rolle der Rebecca verlangt einen dramatischen Mezzosopran, wie er später etwa von Meyerbeer für seine Fidès im „Propheten“ vorgesehen wurde. Ivanhoe (Tenor) steht dramaturgisch ein wenig im Schatten von Briano, aber gesanglich wird ihm mit hoher Tessitura und zahlreichen sovracuti einiges abverlangt. Der Sopran ist hier die „seconda donna“ mit viel Mitwirkung in den Ensembles, aber auch einer großen, gar nicht leicht zu bewältigenden Arie. Die Figur trägt den Namen Rovena und wird am Schluss mit Ivanhoe zum glücklich liebenden Paar.
Die konzertante Realisierung in Salzburg war vorbildlich. Da müssen zunächst der Dirigent Andrés Orozco-Estrada und die Wiener Philharmoniker genannt werden, die die Partitur mit einem Feuer und Schwung umsetzten, dass man das Werk am liebsten gleich nochmals von Anfang an gehört hätte. Einen entscheidenden Beitrag leistete auch der von Alois Glassner hervorragend einstudierte Salzburger Bachchor, der seinen mannigfaltigen Aufgaben so kraftvoll wie nuanciert nachkam.
Das Werk war den Festspielen von Juan Diego Flórez vorgeschlagen worden und wurde für ihn und Joyce DiDonato angesetzt. Angesichts der Tessitura und Dramatik der Rolle der Rebecca wundert es nicht, dass DiDonato sie zurückgelegt hat, denn ihr lyrischer Mezzo ist denkbar ungeeignet für die Partie. Die aufstrebende Clémentine Margaine bewies, dass sie die geeigneten stimmlichen Mittel für die Rolle hat, denn ihr umfangreicher, interessant timbrierter Mezzo bewältigte die musikalischen Klippen ausgezeichnet. Außerdem kann man der jungen Französin Charisma und interpretatorische Fähigkeiten bescheinigen. Technisch wäre allerdings einiges zu verbessern, um vorzeitigem Stimmverschleiß vorzubeugen. Flórez begeisterte mit wohldosierter stimmlicher Süße und seinen bekannt brillanten Spitzentönen, die ihn einen Hauch mehr Anstrengung als üblich zu kosten schienen, was aber natürlich seine Leistung keineswegs schmälert und nur der Ordnung halber vermerkt sei. Einen persönlichen Triumph feierte Luca Salsi als Titelheld, dem er eine unglaubliche Palette von Farbnuancen schenkte und der hoch notierten Partie furchtlos begegnete. Er ließ jederzeit vergessen, dass man einer konzertanten Aufführung beiwohnte, so mitreißend war seine Interpretation. Kristiane Kaiser lieh der Rovena einen wohltönenden Sopran, der gut zu der sanften Figur passte und sang ihre schwierige Arie sehr gut. Als Sachse Cedrico, der seinem Sohn Ivanhoe, der Richard Löwenherz gefolgt war, schließlich vergibt, stellte der Bass Adrian Sâmpetrean seinen Mann, ebenso wie der Bariton Armando Piña als Luca di Beaumanoir, der unerbittliche Chef der Templer, der Rebecca unbedingt auf den Scheiterhaufen schicken will. Als Rebeccas Vater Isacco ergänzte Franz Supper unauffällig.
Das Publikum war vor Begeisterung ganz aus dem Häuschen und feierte Sänger, Chor, Orchester und den Dirigenten ausdauernd mit Bravogeschrei, Getrampel und schließlich standing ovations. Einmal mehr zeigte sich, was Oper ausmacht, nämlich Stimmen und nicht die Inszenierung. Es wäre schön, wenn sich das Werk zumindest am Rande des Repertoires etablieren könnte.
Eva Pleus 2.9.16
Bilder: Salzburger Festspiele / Marco Borrelli