Bunter Bilderbogen – musikalisch solid
Das Slowenische Nationaltheater kündigte die Aufführung zwar als Premiere an – aber eigentlich war es die Wiederaufnahme einer Marburger Produktion des Jahres 2011, die seither über die internationalen Bühnen gewandert ist und nun nach Marburg zurückkehrt. Man zeigte sie bisher in Lüttich, im Teatro Filarmonica von Verona, in Salerno, in Sofia und zuletzt auch in Tel Aviv. Den italienischen Regisseur Pier Francesco Maestrini kennt man schon aus einer ganzen Reihe von Marburger Inszenierungen. Offensichtlich ist er geradezu ein Meister der Vernetzung von Opernhäusern – seine Inszenierungen werden immer auf sehr vielen Bühnen gezeigt. In einem Interview für Sofia schilderte er das Grundprinzip seiner Inszenierung: „The sets are light and very comfortable for a travelling production…..During the work with the set designer Juan Guillermo Nova we set us a task the set to be easy for adaptation and cinematographic. This creates the feeling for 3D with the projecting in front and from behind at the same time. The action is played in the middle.“
Also: es ist eine praktikable Reiseproduktion mit Filmprojektionen – . Maestrini arbeitet mit seinem gewohnten Team zusammen: Juan Guillermo Nova (Bühne und – gemeinsam mit Gregor Mendas – Video), Luca Dall’Alpi (Kostüme) und Pascal Mérat (Licht).
Und wie wird in dieser Szenerie Regie geführt? Über die Aufführung in Lüttich liest man in der Kritik u.a.:
An dieser ziemlich wirren Handlung ist schon mancher Regisseur gescheitert. Das kann man Francesco Maestrini nun nicht dezidiert vorwerfen. Nein, er erzählt ganz einfach die Geschichte, ziemlich schnörkellos aber damit auch recht banal. Da dürfen die Hauptdarsteller am Ende einer Arie auch mal mit ausgebreiteten Armen an der Rampe stehen und den Applaus des begeisterten Publikums in Empfang nehmen. Großes Regietheater ist das nicht, aber sehr sängerfreundlich.
Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen – es ist tatsächlich ein ästhetisch schöner Bilderbogen in warmen Farben, der die Vorgaben des Librettos mit heutigen Mitteln getreulich umsetzt – nicht mehr, aber auch nicht weniger!
Dazu noch ein Zitat aus dem oben erwähnten Gespräch mit dem Regisseur: „For me it is important to present the narrative so, that no matter what my interpretation is, it should sound before all like a comprehensible story, one has to feel the drama in it.“
Dem szenischen Team ist jedenfalls eine konventionell-gediegene Wiedergabe des Werkes gelungen, die die von Verdi gewünschten raschen Szenenwechsel ideal ermöglicht, die handwerklich sauber gearbeitet ist und die nicht von der Musik ablenkt.
Im Mittelpunkt stand für das Premierenpublikum zweifellos die Marburger Sopranistin Rebeka Lokar , die gerade von einer erfolgreichen Turandot-Premiere aus Turin an ihr Stammhaus zurückkam. Lokar hat ein großes und warmes Stimmmaterial, das diesmal allerdings vor allem zu Beginn allzu breit und damit zu wenig zentriert geführt wurde. Dadurch litt zunächst auch die Intonation. Aber bereits am Ende des 1. Akts hatte sie sich hörbar gesteigert (und vielleicht die Premierennervosität abgelegt) – da sang sie in wunderbarem Piano mit warmer, schlank geführter Stimme geradezu ideal die Gebetsphrase La vergine degli angeli. Ihr galt am Ende der Vorstellung eindeutig der größte Beifall.
Die beiden männlichen Hauptfiguren kommen aus zwei unterschiedlichen Sängergenerationen. Der Venezianer Renzo Zulian ist seit mehr als 25 Jahren auf großen und mittleren Bühnen präsent. In Maribor ist er Stammgast – man kennt ihn hier als Radames, als Dick Johnson, als Calaf, als Manrico und zuletzt als Rodolfo. In seiner behäbigen Bühnenerscheinung ist er nicht gerade der Inbegriff des feurigen jungen Liebhabers, aber Zulian versteht es als Routinier wirklich sehr gut, die großen Verdi-Kantilenen kraftvoll und mit originärem Belcanto-Instinkt zu spannen und die stimmlichen Akzente überzeugend zu setzen. Wenn er auch so manchen zusätzlichen Atemeinschnitt in seine Phrasen einbauen muss und sich mit den lyrischen Sextensprüngen in der heiklen Romanze im 3. Akt Oh, tu che in seno agli angeli ein wenig müht: er verfügt über eine typisch italienische Stimme mit den offenen Vokalen und der – auch heute noch – frei strahlenden Höhe. Obwohl er sich vor seinen letzten Szenen im 4. Akt als indisponiert ansagen ließ, gelang ihm das exponierte Duett mit Carlo ebenso überzeugend wie das Schlussterzett. Musikalisch war es eine gültige und durchaus eindrucksvolle Leistung. Der erst 33-jährige slowenische Bariton Jure Počkaj hat ein großes und dunkel-schönes Stimmmaterial, aber es fehlen ihm noch das nötige dramatische Zupacken und die große Belcanto-Phrase. Sowohl stimmlich als auch darstellerisch wirkte er an diesem Abend noch recht steif.
Aus dem übrigen Ensemble ist diesmal vor allem der Melitone von Jaki Jurgec hervorzuheben – er war (ebenso wie Renzo Zulian) schon 2011 bei dieser Produktion dabei. In dieser Rolle war er mit seinem Charakterbariton am rechten Platz und gestaltete seine Szenen gebührend drastisch, aber ohne Übertreibung. Zwei weitere wichtige Rollen waren leider nicht ausreichend besetzt: Irena Petkova war eine stimmlich deutlich überforderte Preziosilla und dem kurzfristig eingesprungenen bulgarischen Bass Svetozar Rangelov fehlte es für den Pater Guardian stimmlich und darstellerisch am nötigen Gewicht.
Positiv erwähnt seien noch die langjährigen Ensemblemitglieder Valentina Čuden als stimmsichere Curra im 1. Bild, Dušan Topolovec als markanter Trabuco und Alfonz Kodrič als zunächst im Piano sehr diszipliniert singender Marchese, der dann im Forte leider wieder recht ungehobelt klang. Wie schon in vielen Produktionen war auch diesmal der großbesetzte, stimmkräftige und spielfreudige Chor (Leitung: Zsusza Budavari-Novak) ein wichtiger Pluspunkt der Aufführung.
Gianluca Martinenghi leitete das Sinfonie-Orchester SNG Maribor mit sicherer Hand. Das war kräftiger, wenn auch nicht allzu subtiler Verdi-Klang. Dramaturgisch durchaus überzeugend war es, die (von Verdi erst nach der Uraufführung in St. Petersburg komponierte große) Ouvertüre nicht zu Beginn, sondern nach dem 1. Bild zu spielen – ein Kunstgriff, den schon Dimitri Mitropoulos im Jahre 1960 an der Wiener Staatsoper erfolgreich gewählt hatte.
Am Ende gab es viel Beifall für alle Ausführenden, in den auch der Regisseur einbezogen wurde, der die Wiederaufnahme mit dem größtenteils neuen Ensemble erarbeitet hatte. Insgesamt war es wiederum eine solide Leistung des Marburger Hauses – es ist durchaus eindrucksvoll, dass ein Haus dieser Größenordnung in einer Saison folgende sieben große Opern im Repertoire hat: La Bohème, Forza del Destino, La Sonnambula, Turandot, Il Trovatore, Aida und La Traviata. Man versteht, dass auch immer viele Gäste aus Österreich nach Marburg kommen.
Hermann Becke, 3. 2. 2018
Szenenfotos: SNG Maribor, © Tiberiu Marta
Hinweise:
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Die im Bericht erwähnte Live-Aufnahme aus der Wiener Staatsoper des Jahres 1960 (in der Prachtbesetzung Antonietta Stella, Ettore Bastianini, Giuseppe di Stefano und Giulietta Simionato) ist hier nach wie vor erhältlich.
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Und für Literatur-Liebhaber ein Hinweis auf einen Roman:
Lea Singer – Verdis letzte Versuchung
Klappentext: Der große Komponist zwischen zwei Frauen. Giuseppe Verdi und seine Frau Giuseppina galten als ein glückliches Ehepaar, als er die Sopranistin Teresa Stolz kennenlernte – ausgerechnet bei Proben zu "Die Macht des Schicksals".
Diese Teresa Stolz war übrigens die Tante des Operettenmeisters Robert Stolz, der 1898 mit 18 Jahren Korrepetitor und 2. Kapellmeister in Maribor/Marburg war, wo auch sein erstes Bühnenwerk, die Singspielposse „Studentenulke“ uraufgeführt wurde.