Berlin: Berg | Bruckner

Alban Berg
Konzert für Violine und Orchester (Dem Andenken eines Engels)

Anton Bruckner
Sinfonie Nr. 6 in A-Dur

Sicher bin ich mir ja nicht, ob bei der Würdigung der Wiedergabe eines Werks der „Wiener Schule“ Adjektive wie berührend, zart, innig, ätherisch etc. überhaupt gestattet sind. Aber ich werde sie trotzdem verwenden. Denn diese Interpretation des Violinkonzerts von Alban Berg „Dem Andenken eines Engels“ durch den Geiger Christian Tetzlaff und das Konzerthausorchester Berlin unter der Leitung des Westschweizer Dirigenten Michel Tabachnik war ein zutiefst berührendes Erlebnis. Tetzlaffs ganz nach innen gewandter Ton, die berückende Zartheit seines Spiels, die evozierte Gesanglichkeit und die bis zum Rande der Fragilität ausgereizte Dynamik weckten beim Zuhören eine Konzentration und ein Beschäftigen mit einer komplexen Komposition, welche eben bei all ihrer mathematisch ausgeklügelten Fraktur doch direkt zum Herzen dringen kann. Und so verwundert es nicht, dass gerade Alban Bergs Werke den Einzug ins Standardrepertoire geschafft haben. Berg mischt immer wieder ungewohnte instrumentale Farben zur Solovioline, diese „Dialoge“ sind hoch spannend. Zum Beispiel die gestopfte Trompete mit der Violine, oder Violine und Bassklarinette. Immer wieder führte Tetzlaff den Klang zurück an die Grenze der Hörbarkeit – welch ein verinnerlichtes und eben berührendes Spiel, dabei blitzsauber intonierend bis in die höchsten Lagen, ein Klang von geradezu celestialer Reinheit.

Bewegend auch die Körperlichkeit, mit welcher Christian Tetzlaff diese Musik auszudrücken vermochte, wie er im zweiten Teil Schritt für Schritt zurück ins Orchester ging, wenn die Violine erstmals zusammen mit den Streichern spielte, sich integrierte in den großen Apparat, den Alban Berg vorgesehen hat. Michel Tabachnik dirigierte mit ruhiger Hand, erzielte einen bezwingend fließenden Klang mit fantastischer Transparenz. Da war jeder Triangelschlag präzise hörbar, jedes feine Pizzicato, die Einwürfe der Flöte, der Oboe und ganz toll auch die Posaune. Mit zarten Bogenstrichen über die leeren Saiten hatte das Konzert begonnen, mit ebenso zartem, verinnerlichtem und zutiefst traurigem Klang (mit dem so kunstvoll in die Komposition verwobenen Bachchoral „Es ist genug“) endete es. Bei der Zugabe, welche Christian Tetzlaff dem Publikum schenkte, hätte man die berühmte Stecknadel fallen hören können. Eine solch konzentrierte Ruhe im Saal erlebt man selten. Die Musik von Johann Sebastian Bach passte natürlich wunderbar zum Konzert von Alban Berg – man hätte dem verinnerlichten, tief empfundenen Spiel des Geigers noch stundenlang zuhören können.

Nach der Pause erklang dann die sechste Sinfonie von Anton Bruckner, eher seltener in den Konzertprogrammen anzutreffen als etwa die Nummern 4, 5, 7, 8 oder 9. Trotzdem dirigierte Michel Tabachnik sie auswendig. Die sechste beginnt ja nicht wie andere Sinfonien Bruckners mit einer nebulösen Ursuppe, sondern steigt federnd ein. Ganz wunderbar klang das Hornquartett des Konzerthausorchesters Berlin an diesem Abend. Tabachnik zog vorwärtsdrängend durch das „keckste“ Werk, wie Bruckner seine Sechste selbst bezeichnet hatte. Klug disponierte Tabachnik die Steigerungen im ersten Satz, welche oft vorne an den Pulten der Streicher beginnen und sich dann in Klangwogen über das Holz ins Blech fortsetzen. Wunderbar das Adagio, welches mit sattem, dunkel gefärbtem Streicherklang begann. Prominent hob der Dirigent die klagend spielenden Oboen heraus, betonte aber immer wieder die eigentlich positive Stimmung dieses langsamen Satzes, den er vom Orchester berührend fein verklingen ließ. Mal tänzerisch, mal handfest zupackend dann wieder luftig verspielt war das Scherzo, das nichts Diabolisches oder Verzerrtes hatte, wie in anderen Sinfonien des Meisters.

Dem Dirigenten Michel Tabachnik (Bild oben) schien diese Musik regelrecht durch die Glieder zu fließen, denn der 74jährige Tabachnik, der immer ruhig und mit unaufgeregter Schlagtechnik dirigierte, begann hier auf dem Podium zu tänzeln und brachte den Satz zu einem fulminanten Abschluss. Nichts Zelebrierendes hatte auch der nach vorne und zielstrebig dirigierte Finalsatz – gut so, denn die Musik Bruckners ist schon bombastisch genug, die braucht keine übertriebenen Generalpausen und zusätzliches Dehnen. Mit wuchtigen, wellenartigen Crescendi kam der Satz zu einem schnellen Abschluss und löste zu Recht einen begeisterten Applaus aus.

Weitere Bilder (c)

www.konzerthaus.de/de/konzerthausorchester-berlin

www.tabachnik.org/index.php/fr/