Philharmonie am 1.4. 2014
Jonas Kaufmann singt Schuberts „WINTERREISE“
Die Philharmonie ist so gut wie ausverkauft, denn alle wollen Jonas Kaufmann live erleben. Hinterher prasselt erwartungsgemäß der Beifall. Doch was ist los? Das frage ich mich nach den Erlebnissen am 17.02.2012, als das total begeisterte Publikum dem Startenor nach Liedern von Franz Liszt, Gustav Mahler, Henri Duparc und Richard Strauss rekordverdächtige sieben Zugaben abtrotzte. Diesmal gibt es keine einzige.
Ist einer von beiden nicht ganz gesund, oder passen irgendwelche Zugaben nicht zu der überaus wehmütigen „Winterreise D 911“ von Franz Schubert? Dem Gesang von Jonas Kaufmann und dem kongenialen Klavierspiel von Helmut Deutsch ist jedenfalls kein Unwohlsein anzumerken. Kaufmann singt diesen 24-teiligen Zyklus, der in seiner abgrundtiefen Melancholie keinen Raum für hoffnungsfrohe Aufschwünge lässt, sehr verhalten und setzt insbesondere die hohen Töne zumeist ganz leise. Mit gebändigten Locken – ganz anders als auf dem Programm – passt er sich dieser Trauerarbeit auch optisch an.
„Ich werde euch einen Zyklus schauerlicher Lieder vorsingen,“ so hatte Schubert seinerzeit den Freunden den Vortrag der „Winterreise“ angekündigt. „Sie haben mich mehr angegriffen, als dieses je bei anderen Liedern der Fall war,“ fügte er hinzu und trug sie mit bewegter Stimme vor. Doch die Freunde waren verstört und reagierten mit Kritik, was Schubert empörte. „Mir gefallen diese Lieder mehr als alle, und sie werden euch auch noch gefallen,“ konterte er. Inzwischen gehören sie zum geschätzten Repertoire aller namhaften Sänger.
Jonas Kaufmann, der die Liedgestaltung als „die heiligste Kunst und gleichzeitig nicht die leichteste Form des Musizierens“ bezeichnet, trägt mit einer schlicht gehaltenen Interpretation dem volksliedhaften Charakter dieser Sammlung nach Texten von Wilhelm Müller Rechnung.
Schon das erste Lied („Gute Nacht“) mit dem Eingangsvers „Fremd bin ich eingezogen“ gibt die Richtung vor. Hier versinkt einer in Schwermut und findet sich ohne Gegenwehr mit dem Schicksal ab. Fast flüsternd der Satz: „Sollst meinen Tritt nicht hören…“. Nur der Schluss „An dich hab’ ich gedacht“ kommt pointierter.Dagegen hört man „Die Wetterfahne“ wirklich im Wind wehen und anschließend die „Gefrorenen Tränen“ auf den gefrorenen Winterboden fallen, von Helmut Deutsch tupfend begleitet. Stark betont Kaufmann die Schlusszeile „Des ganzen Winters Eis!“ Hier also doch ein kurzer Protest gegen das Alleinsein.
Solch ein Aufbegehren bleibt aber selten, ist auch bei diesem Zyklus kaum vorgesehen. Also leidet Kaufmann weiterhin verhalten, selbst beim allseits bekannten, aber schon von Todessehnsucht umrauschten „Lindenbaum“. Eine Stimmung, die Deutsch durch sein Spiel wunderbar unterstützt. Changierend dann die „Wasserflut“, die Kaufmann auch mal kräftiger darbietet, um zuletzt, beim Gedanken an „meiner Liebsten Haus“, dem bohrenden Schmerz energischen Ausdruck zu verleihen.Doch insgesamt regiert das Sich-Abfinden mit dem Schicksal, Aufbegehren bleibt die Ausnahme. Das „Irrlicht“ ist also wirklich ein solches, während der „Frühlingstraum“ eine sehnsuchtsvolle Erinnerung bleibt.
Etwas von Kaufmanns sonstigem Strahltenor ist bei den mehrfach wiederholten Worten „Mein Herz“ (in „Die Post“) als Labsal zu vernehmen. Auch das Lied „Letzte Hoffnung“ mit seiner anfänglichen Aufgeregtheit gibt dem Geschehen mehr Farbe, mündet dann aber in „Wein’ auf meiner Hoffnung Grab“. Hier ist wirklich das Weinen herauszuhören. Erst „Der stürmische Morgen“ erlaubt Kaufmann mehr an Möglichkeiten, die er temperamentvoll nutzt. Das Lied „Mut“ mit seiner trotzigen Keckheit überwindet ebenfalls die Wehmut des einsamen Winterwanderers, dem selbst der Tod die kalte Schulter zeigt. Das letzte, allseits bekannte „Der Leiermann“ schließen Kaufmann und Deutsch nahtlos ans vorherige Lied („Die Nebensonnen“) an, bringen es als Abschluss dieser einfühlsam gestalteten Miniaturen sehr leise und sehr berührend.
Die Zuhörer, offenbar ergriffen, warten ein Weilchen ab, ehe sich der Beifall entlädt, von der anwesenden Jugend auf ihre Art geäußert. Alle jubeln Kaufmann zu, ungeachtet des depressiven Gehalts dieser „Winterreise“, in der sich ein noch junger Mann einen greisen Kopf wünscht und todessüchtig äußert: „Wie weit noch bis zur Bahre.“ Und das in unserer Zeit, wo doch Unternehmungslust weitgehend Trumpf ist, sich Grauhaarige lieber blond färben und manche die Falten mit Botox-Injektionen bekämpfen. Schon sonderbar, aber den beiden großartigen Interpreten der „Winterreise“ zu verdanken.
Sichtlich vom anhaltend starken Applaus erfreut, verbeugen sich Kaufmann und Deutsch immer wieder. Doch dabei, wie gesagt, bleibt es an diesem Abend, und draußen wartet zum Glück schon der Frühling.
Ursula Wiegand 3.4.14