Lieber Opernfreund-Freund,
wer gestern Abend durch Annaberg-Buchholz spazierte, konnte das Eduard-von-Winterstein-Theater, eines der kleinsten Theater unseres Landes, in den italienischen Nationalfarben angestrahlt sehen. Denn eben dort fand just die Uraufführung einer Oper des Puccini-Zeitgenossen Alberto Franchetti statt. Das zu diesem Anlass natürlich voll besetzte Haus bejubelte dabei am Ende ein außergewöhnlich spielfreudiges Ensemble.
Alberto Franchetti gehörte unter anderem neben Pietro Mascagni, Umberto Giordano, Ruggero Leoncavallo und eben Giacomo Puccini zur Giovane Scuola, einer Gruppe junger Komponisten, die ab den 1880er Jahren nach einem neuen Opernstil suchten, der sich von dem Verdis ebenso abheben, wie einen Gegenpol zu Richard Wagner darstellen sollte. Franchetti schrieb mehr als ein Dutzend Opern, die aber – auch in Folge des Aufführungsverbots, das ihn ab Ende der 1930er Jahre in Deutschland und Italien als Musiker jüdischer Abstammung traf – nach dem Zweiten Weltkrieg in Vergessenheit gerieten. Erst mit der Ausgrabung seines Cristofero Colombo in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts erinnerte man sich an ihn, spielte Germania 2006 an der Deutschen Oper Berlin und seinen Erstling Asrael in der vergangenen Spielzeit mit großem Erfolg an der Oper Bonn. Seine Ende der 1930er Jahre entstandene komische Oper Don Buonaparte kam aufgrund der da bereits geltenden „Rassengesetze“ trotz der Fürsprache seiner Komponistenkollegen Mascagni und Giordano 1939 gar nicht mehr zur Aufführung. Umso ehrenwerter ist es nun für das Theater in Annaberg-Buchholz, sich des vergessenen Werkes anzunehmen und fast 85 Jahre nach seiner Fertigstellung zur Uraufführung zu bringen.
Don Buonaparte erzählt die Geschichte vom toskanischen Dorfpriester Don Geronimo, dessen Neffe Napoleon Bonaparte sich 1804 in Paris zum Kaiser gekrönt hatte. Nun soll Geronimo zum Kardinal ernannt werden und mit eigenem kleinen Hofstaat nach Paris kommen. Da entbrennen im kleinen Dorf natürlich die Begehrlichkeiten. Ganz nebenbei liebt der Dorftölpel Maso die schöne Mattea. Die aber hat sich in einen französischen Korporal verliebt. Nach allerlei Irrungen und Wirrungen vermählt der Priester die beiden Liebenden und beschließt, dem Ruf nach Paris nicht zu folgen, sondern bescheiden bei seinen Schäfchen in der Toskana zu bleiben.
Musikalisch beginnt der Abend wie ein Feuerwerk mit einer beschwingten Ouvertüre. Leider hält die Komposition diesen musikalischen Esprit jedoch nicht durch. Zwar gelingen Franchetti wunderbare, ins Ohr gehende musikalische Einfälle, der musikalische Schwung einer Komödie fehlt aber über weite Strecken. Es mag auch am eher amüsanten als unbedingt urkomischen Libretto liegen, dass der tatsächliche Funke nicht so richtig zünden mag. Don Buonaparte ist also eher ein braves Alterswerk (Franchetti war zum Zeitpunkt der Komposition schon beinahe 80 Jahre alt) als vor musikalischem Witz sprühende Komödie – und doch ist sie eine ebenso hörens- wie aufführenswerte Oper, auch wenn die Komposition kaum die musikalische Dichte des Cristofero Colombo oder des Azrael erreicht.
In Bonn hatte man ja den Azrael dermaßen psychologisch überfrachtet, dass ich die Produktion sogar bei meinem individuellen Spielzeitrückblick negativ erwähnen musste. Im Erzgebirge nun wird Don Buonaparte gezeigt, wie sie wohl auch zu Franchettis Lebzeiten uraufgeführt worden wäre. Der italienische Regisseur Lev Pugliese beschränkt sich bei seiner Inszenierung also auf die Möglichkeiten, die man Ende der 1930er Jahren an einem italienischen Theater gehabt hätte. Herausgekommen ist ein unterhaltsamer Musiktheaterabend, der sich durch ein hohes Maß an liebenswerten kleinen Details ebenso auszeichnet, wie durch eine stringente Erzählweise – und das ist bei dem verworrenen Plot gar nicht so einfach. Die ebenfalls in Ressort von Pugliese fallenden Kostüme sind ein buntes Kaleidoskop bäuerlicher Kleidung Anfang des 19. Jahrhunderts, seine Kulissen schaffen Tiefe. Dass es bei den ausladenden Chorszenen im kleinen Bühnenraum schon einmal eng wird, ist dabei geschenkt. Zur Belebung der Szene lässt er deshalb gar den Zuschauerraum bespielen.
In der Titelrolle brilliert Ensemblemitglied László Varga mit geschmeidigem Bariton, macht aus der Figur ein echtes Original. Sein warmer Bariton verströmt Güte und Fürsorge, wie ein guter Vater zeigt er seinen Schutzbefohlenen aber durchaus auch energisch Grenzen auf. Maria Rüssel als seine Haushälterin Agnese setzt mit ihrem satten Mezzo einen klanglichen Gegenpol zur mit feiner Höhe ausgestatteten Mattea von Sophia Keiler, die mit einem hohen Maß an Beweglichkeit zu überzeugen weiß. Den verschmähten Maso gestaltet der Franzose Corentin Backés mit schlankem Tenor und einem tollen Gespür für Komik und Timing, Karem Kurk mischt seinem Tenor als Korporal dagegen beinahe etwas Heldenhaftes bei, während der General von Jinsei Park mit seinem raumfüllenden Bass Eindruck auf mich macht. Auch die kleineren Rollen wissen durch die Bank ebenso zu überzeigen wie der bestens aufgelegte, auch darstellerisch packende, von Daniele Pilate betreute Chor.
Im Graben hält GMD Jens Georg Bachmann die Fäden fest zusammen, kitzelt mit den Musikerinnen und Musikern der Erzgebirgischen Philharmonie Aue die zahlreichen Nuancen aus Franchettis Partitur. Und auch wenn der Komponist das eine oder andre musikalisch recht breit angelegt hat, gelingt es Bachmann, den musikalischen Spannungsbogen aufrecht zu halten und den Abend so zu einem Erfolg zu machen. Lev Puglieses behutsame Inszenierung macht diesen Don Buonaparte zudem auch „für die Augen schön“, wie ich im Vorbeigehen bei einem Pausengespräch aufgeschnappt habe – und lohnt in jedem Fall den Weg ins Erzgebirge.
Ihr
Jochen Rüth
Don Buonaparte
Oper von Alberto Franchetti
Eduard-von-Winterstein-Theater Annaberg-Buchholz
Welturaufführung: 14. Oktober 2023
Inszenierung: Lev Pugliese
Musikalische Leitung: GMD Jens Georg Bachmann
Erzgebirgische Philharmonie Aue