Das Konzert in der Frankfurter Alten Oper am 8. Dezember 2023 war ein musikalisches Erlebnis der besonderen Art. Unter der Leitung von Alain Altinoglu, der auch als Pianist glänzte, präsentierte das hr-Sinfonieorchester ein abwechslungsreiches Programm, das von Johann Sebastian Bach über Fazil Say bis zu Sir Edward Elgar reichte. Die Solisten Gábor Boldoczki und Sergej Nakariakov begeisterten mit ihrem virtuosen Trompetenspiel, das sowohl technisch brillant als auch ausdrucksstark war. Fazil Say zeigte sich nicht nur als Komponist, sondern auch als einfühlsamer Klavierpartner von Altinoglu.
Das Konzert begann mit dem Konzert c-Moll für zwei Klaviere BWV 1062 von Johann Sebastian Bach, das ursprünglich für zwei Violinen geschrieben wurde. Er transkribierte sie aus seinen eigenen Violinkonzerten, die heute verloren sind. Das Werk ist ein typisches Beispiel für den italienischen Konzertstil, den Bach in seinen Weimarer Jahren studierte. Die Komposition gliedert sich in drei Sätzen: ein lebhaftes Vivace, ein lyrisches Largo und ein energisches Allegro. Die beiden Klaviere wechseln sich in der Führung ab und ergänzen sich in den Tutti-Passagen.
Bachs Meisterschaft in der Umwandlung eines simplen Themas zu einer vielschichtigen Musik kommt in diesem Werk eindrucksvoll zum Ausdruck. Fazil Say und Dirigent Alain Altinoglu, selbst ein vorzüglicher Pianist, waren als mitreißende Solisten aufgeboten. Die beiden Pianisten spielten mit großer Präzision und Harmonie, wobei sie die kontrapunktischen Linien klar herausarbeiteten und die dynamischen Kontraste betonten. Die Musizierfreude der beiden Solisten wirkte ansteckend und befruchtete das Orchesterspiel auf beste Weise. Ein schöner Beginn.
Ein herausragender Moment des Konzertabends entfaltete sich während der Aufführung des Konzerts für zwei Trompeten von Fazil Say, welches seine deutsche Erstaufführung als Ko-Auftragswerk des Hessischen Rundfunks erlebte. Dieses dreisätzige Werk wurde im Jahr 2022 geschaffen und schöpft u.a. aus der reichen Tradition der türkischen Musik, die Say bereits in seiner Kindheit kennenlernen durfte. Die Komposition offenbarte eine faszinierende Verschmelzung verschiedener musikalischer Elemente, darunter orientalische Skalen, ungerade Taktarten, perkussive Effekte und geschickt platzierte Zitate aus Volksliedern. Der erste Satz eröffnete mit einer tiefen Ruhe und einem Hauch von Mystik, auf welcher die Solisten mit ihrem fesselnden Spiel brillant aufbauten. Das Orchester trug mit kraftvollen rhythmischen Elementen zu deutlichen Kontrasten bei, während leichte Ostinati den melancholischen Charakter des zweiten Satzes unterstrichen. Say gelang es, im zweiten Satz sowohl kantable als auch jazzige Momente geschickt zu integrieren. Die Piccolo-Trompeten verliehen dem Mittelteil eine markante Jazznote, gefolgt von einem eleganten Wechsel zum Flügelhorn. Das Finale entfaltete sich mit kraftvoller Energie und wagemutiger rhythmischer Zuspitzung. Ein Moment der Klage durchdrang kurz das Getümmel, nur um sich wieder zu beruhigen. Mit dramatischem Schwung und überwältigender Energie fand das Konzert schließlich seinen beeindruckenden Abschluss. Die herausragenden Trompeter Gábor Boldoczki und Sergej Nakariakov beeindruckten das Publikum mit ihrer virtuosen Darbietung auf drei verschiedenen Instrumenten: der klassischen B-Trompete, der Piccolo-Trompete und dem Flügelhorn. Die Vielfalt an Klangfarben, präzisen Artikulationen und mitreißenden Emotionen zog die Zuhörer in ihren Bann. Mit beeindruckender Leidenschaft und technischer Perfektion meisterten sie die Herausforderungen des Werkes mit Leichtigkeit und vermittelten überzeugend die musikalischen Ideen des Komponisten.
Auch das hr-Sinfonieorchester wurde durch die stilvolle Leitung von Alain Altinoglu deutlich gefordert und bewältigte die Herausforderungen der Komposition gekonnt. Das Publikum zeigte sich begeistert und würdigte die Ausführenden sowie den Komponisten mit zahlreichen Bravo-Rufen. Eine kurze Mozart-Zugabe der beiden Trompeter unterstrich nochmals ihre herausragende Virtuosität und trug zur allgemeinen Begeisterung des Abends bei.
Nach der Pause folgte die Fantasie und Fuge c-Moll BWV 537 von Johann Sebastian Bach, die von Sir Edward Elgar für Orchester bearbeitet wurde. Die Fantasie und Fuge ist ein Orgelstück, das Bach vermutlich in seiner Leipziger Zeit komponierte. Ein vierstimmiger Satz, der mit einem Orgelpunkt beginnt und mit einem Halbschluss endet. Die Fuge ist eine dreiteilige Form, die ein Thema in c-Moll und ein Kontrathema in Es-Dur verwendet. Elgar plante eine gemeinsame Fassung in Zusammenarbeit mit Richard Strauss, der sich dann aber von dieser Idee distanzierte. So orchestrierte Elgar das Werk im Jahr 1921 allein und verlieh ihm einen üppigen, spätromantischen Klang, der die polyfone Struktur und die dramatische Wirkung des Originals respektiert. Er verwendete ein großes Orchester mit Holzbläsern, Blechbläsern, Streichern, Harfe und üppigem Schlagzeug, um die verschiedenen Stimmen und Motive des Werkes hervorzuheben. Beeindruckend, wie kreativ und treffsicher, die Orchesterfarben von Elgar an Bachs Urtext adaptiert wurden. Das hr-Sinfonieorchester spielte das Werk mit viel Klangschönheit, wobei es die verschiedenen Motive deutlich hervorhob und die dynamischen Spannungen gut zu steigern wusste. Alain Altinoglu gab dem Orchester freie Hand, sich klanglich ins beste Licht zu setzen, was hinreißend gelang.
Der glanzvolle Abschluss des Konzertabends bildete die Aufführung der Enigma-Variationen Op. 36 von Sir Edward Elgar, einem Meisterwerk, das zweifellos zu seinen bekanntesten zählt. Diese Variationen, ein Orchesterstück bestehend aus einem Thema und vierzehn Variationen, sind jedem der zahlreichen Freunde und Freundinnen Elgars gewidmet. Das Werk, eines der bedeutendsten in der englischen Musikgeschichte, zeugt von Elgars persönlichem Stil und seiner meisterhaften Orchestrierung. Das zentrale Thema, von Elgar selbst als „Enigma“ bezeichnet, bleibt ein ungelöstes Rätsel bis heute.
Jede Variation stellt ein musikalisches Porträt dar, das die Charaktere, Eigenheiten und Beziehungen der Menschen um Elgar herum einfängt. Besonders herausragend ist die neunte Variation, genannt „Nimrod“, die die tiefe Freundschaft zwischen Elgar und seinem Verleger August Jaeger beschreibt. Ein besonderer Zauber entsteht in der „Romanze“, der vorletzten Variation mit seinem elegischen Klarinetten-Solo. Dazu ertönt immer wieder ein leiser Paukenwirbel mit Holzschlegeln, was einen leisen Schiffsmotor imaginieren soll. Prachtvoll dann die finale vierzehnte Variation „E.D.U.“, die Elgars eigene musikalische Signatur enthält. In diesem grandiosen Finale fügte sich die prachtvolle Orgel der Alten Oper mit pompösen Akkorden hinzu, und die zahlreichen Zuhörer feierten einen triumphalen Vortrag des hr-Sinfonieorchesters. Das Orchester interpretierte das Werk mit beeindruckender Sensibilität und immenser Ausdruckskraft, wobei es die Vielfalt der Stimmungen und Stile der einzelnen Variationen einfing und gleichzeitig die musikalische Einheit des Gesamtwerks bewahrte. Die gelungenen Solobeiträge, sei es von der Viola, dem Cello oder der Klarinette, zeugten von präziser Vorbereitung und wurden von kraftvollen Tutti-Passagen des gesamten Orchesters kontrastiert. Die Schlagzeuger, fabelhaft einmal mehr Lars Rapp an der Pauke und insbesondere Konrad Graf an den Becken, sorgten für spektakuläre Momente. Graf demonstrierte eine meisterhafte Beherrschung dieses oft unterschätzten Instruments. Dirigent Alain Altinoglu gestaltete Elgars Werk mit spürbarem Engagement und innerer Beteiligung. Die Tempi erschienen ausgewogen, die Dynamik und Farbgebung waren optimal dosiert. Mit deutlicher Bildhaftigkeit verlieh er den einzelnen Charakteren der Variationen klare Konturen. Das hr-Sinfonieorchester präsentierte sich mit königlicher, klanglicher Noblesse, erinnerte an die Qualität bedeutender englischer Orchester und lieferte unter der Leitung von Altinoglu eine der besten Leistungen bisher. Das Konzert war ein großer Erfolg, der mit langanhaltendem Applaus und endlosen Bravo-Rufen belohnt wurde.
Dirk Schauß, 9. Dezember 2023
Besuchtes Konzert in der Alten Oper Frankfurt
am 8. Dezember 2023
Gábor Boldoczki und Sergej Nakariakov, Trompete
Fazil Say und Alain Altinoglu, Klavier
hr-Sinfonieorchester
Alain Altinoglu, Leitung