Am Ende lebte Hoffmann seinen Wahn mit allen Figuren seiner drei Geschichten aus, und die Muse, die in dieser Inszenierung als Therapeutin einer offenbar psychiatrischen Klinik die medizinisch-therapeutischen Fäden in der Hand hatte, nahm schlussendlich selbst entnervt eine Handvoll Pillen. Das war dann auch ihr zu viel.
Aber der Reihe nach: Regisseur Robert Lehmeier verlegte die Erzählungen von Hoffmann in ein etwas in die Jahre gekommenes Krankenhausumfeld. Die Patienten, zu denen Hoffmann auch zählte, waren allesamt Protagonisten seiner Erzählungen. Stets auf der Bühne, und im Habitus einer Psychoanalytikerin, verfolgte die Muse (glänzend: Lotte Kortenhaus) Hoffmanns (mit vollem Körpereinsatz agierender Stephen Chambers) fantastischen Erzählungen. Das Regiekonzept ist dahingehend nachvollziehbar, da Hoffmanns Erzählungen schon wahre Schauerstorys sind, die durchaus auch einer behandlungsbedürftigen Psychose entsprungen sein könnten. Aber das Gefühlvolle, das Elegische, das diese Oper auch ausmacht, ging dabei weitestgehend verloren.
So gab es beim Schlussapplaus für das Regieteam vereinzelte Missfallens Bekundungen, die aber im allgemeinen Publikumszuspruch für das Regieteam nicht dominierend waren. Beim gesamten musikalisch-sängerischen Ensemble, unter der Leitung von Detmolds GMD Per-Otto Johansson war der Jubel hingegen groß und einhellig. Wobei Stephen Chambers als Hoffmann, explizit Lotte Kortenhaus als seine therapeutische Muse und Seungweon Lee mit stimmstarkem Einsatz die Bösewichte darstellend, besonders herausragten in der bestens besuchten Premiere am Detmolder Landestheater.
Opernhandlungen in Klinikähnliche Umgebungen zu verlegen ist nicht neu. Und ich gebe zu, es ist auch nicht immer nachvollziehbar, dass Opernstoffe, die oftmals weit über 100 Jahre zurückliegen, durch die Brille eines im heute lebenden Mediziners, meist der Fachrichtung Psychiatrie entstammend, zu sehen. Die Geschichten, die vielen Opern zugrunde liegen, sind oft getragen von menschlichen Abgründen, Fehlverhalten und nach heutigem Verständnis nicht zu begreifenden sozialen Zuständen und unmenschlichem Miteinander. Die Psychiatriereform, ebenso wie die gesamte Krankenhausreform, auf die die Regie von Robert Lehmeier auch richtigerweise hinweist, sind absolut zu lösende Probleme unserer Zeit. Zu Lebzeiten eines Jaques Offenbach, also im 19. Jahrhundert, war insbesondere die Psychiatrie ein mehr oder weniger kümmerlicher Zweig der Medizin. Verwahrung statt Behandlung war bis ins 20. Jahrhundert hinein die gemeinhin übliche „Therapie“ psychisch erkrankter Menschen. Man wusste es seinerzeit nicht besser. Heute sind wir da erfreulicherweise viel weiter. Und auch, wenn ich mehr oder weniger kritisch hinterfrage, ob eine Oper unter „medizinisch-therapeutischen Gesichtspunkten“ aufgeführt werden soll, stellt gerade HOFFMANNS ERZÄHLUNGEN ein Beispiel dar, wo dies gelingen könnte. Dann müsste es konsequent als ein krankhafter Wahn des Hoffmanns dargestellt werden mit all den menschlichen Gefühlen von Liebe, Angst, Hoffnung, Freude, Sehnsüchte und Verzweiflung. All das verwebt in ein psychotisches Netz von Wahnvorstellungen, die die Psyche eines, wie in diesem Falle, Hoffmann besetzt haben. Aber wäre das dann noch Offenbachs wunderbare Oper?
Aber nun sitzen wir in einem Opernhaus und nicht in einem Hörsaal einer medizinischen Fakultät. Und in einem Theater, einem Opernhaus, ist die künstlerische Freiheit beheimatet. Diese lebt Robert Lehmeier mit seinem Regieteam (Bühne: Robert Lehmeier und Jule Dohrn-Van Rossum, Kostüme: Marie-Luise Otto) in Offenbachs „HOFFMANNS ERZÄHLUNGEN“ genüsslich aus. Neben dem Blick auf Hoffmanns skurrile Geschichten verarbeitet Lehmeier sehr gekonnt auch den einen oder anderen Slapstick, der, zugegebenermaßen, stets gut in Offenbachs Werke passt. Im Giulietta-Akt, der eigentlich in der Lagunenstadt Venedig spielt, lässt er beispielsweise die sanften Wellen des Lagunenwassers durch Paddelbewegungen des im Rollstuhl sitzenden Dapertutto andeuten und lässt ein Ballett aus Krankenschwestern (beiden Geschlechts) dazu hingebungsvoll über die Bühne gleiten. Alles zu den Klängen der wohl bekanntesten Melodie der Oper „Schöne Nacht, du Liebesnacht“/ „Belle nuit, ô nuit d’amour„. Das hatte schon was Komisches an dem auch sicher Offenbach seine Freude gehabt hätte. Lehmeier lässt alle Akte in der gleichen Umgebung in einem einheitlichen Bühnenbild spielen. So singt Hoffmann sein Lied vom „Klein-Zack“ zu Anfang der Oper im gleichen Ambiente wie die Apotheose des Schlussbildes.
Olympia (gesungen mit sicherer Höhe von Penelope Kendros) wird mit Sauerstoff am Leben – und singen ihrer Arie – erhalten, die dem Gesang entsagende Antonia (leidenschaftlich darstellend: Emily Dorn) liegt schon passenderweise in einem Krankenhausbett und die bereits erwähnte Giulietta schwebt nicht lasziv über Venedigs Lagunenwellen, sondern kommt als taffe und knallharte Geschäftsfrau (souverän: Adréana Kraschewski) über die maroden Krankenhausflure daher.
In den weiteren kleineren Partien durchweg beste Ensembleleistung. Ks. Brigitta Bauma als Antonias Mutter in großer Robe, divenhaft und sphärenhaft einsingend auf die sterbende Tochter, Jaime Mondaca Galaz als imponierender Vater der Antonia, Benjamin Werth als Spalanzani (der auch den gesanglichen Part des Pitichinaccio des indisponierten aber szenisch spielenden Felix Schmidt übernahm), Franco Oportus Vergara als Nathanael, und Nando Zickgraf als Cochenille (hier auch Gesang, auf der Bühne Felix Schmidt).
Der Opernchor des Landestheater Detmold wie gewohnt bestens einstudiert von Chorchef Francesco Damiani.
Als Bösewicht (Lindorf/Coppelius/Miracle/Dapertutto) lieferte der Bass Seungweon Lee eine großartige Leistung ab. Mit kräftiger Stimme und in der Darstellung prägnant glänzte er in seinen verschiedenen Rollen dieses Abends!
Stephen Chambers als Hoffmann überzeugte das Publikum mit großer Spielfreude und sicher sitzenden Spitzentönen und lebte in dieser anspruchsvollen Tenorpartie förmlich auf. Verdienter Jubel des Publikums für diesen Hoffmann nach Maß!
Sie war von der ersten bis zur letzten Minute auf der Bühne als Muse präsent: Die Mezzosopranistin Lotte Kortenhaus überzeugte stimmlich wie darstellerisch in dieser Inszenierung. Mit warmer Stimme, angenehm tiefer Lage und in den entsprechenden Passagen voller gesanglicher Strahlkraft, zeigte sie eine Muse/Nicklausse, die schlichtweg beeindruckend war. Bravo für diese großartige Leistung in dieser anspruchsvollen Opernpartie! Den großen Jubel des Publikums erhielt sie absolut zu Recht.
GMD Per-Otto Johannsson am Pult des Symphonischen Orchesters Detmold, führte seine Musiker mit flottem Tempo, aber auch mit viel Gefühl durch Offenbachs Opernpartitur. Großer Applaus auch für ihn und sein Orchester.
Detlef Obens, 23. Februar 2024
Besonderer Dank an unsere Freunde vom OPERNMAGAZIN
Hoffmanns Erzählungen
Jacques Offenbach
Landestheater Detmold
Rezension der Premiere vom 26. Januar 2024
Regisseur: Robert Lehmeier
Inszenierung: Otto Johannsson
Symphonischen Orchesters Detmold