In der laufenden Spielzeit feiert das Harztheater mit den Stammhäusern in Halberstadt und Quedlinburg ein kleines Jubiläum, war doch das Theatergebäude in Halberstadt – 1948 aus Ziegelsteinen zerbombter Häuser errichtet – der erste Theaterneubau in Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg. Das kleine Drei-Sparten-Haus hat eine wichtige Aufgabe, indem es Kultur in seine Stammhäuser und in viele andere Orte des östlichen Harzvorlands und darüberhinaus bringt. Nun hat sich das Harztheater zum Jubiläum an Richard Wagners „Vorspiel“ zum „Der Ring des Nibelungen“ gewagt, ein Werk, das für ein so kleines Haus nun wirklich gewaltige Herausforderungen enthält. Diese haben die Harzer Sinfoniker mit beachtlicher Klangentwicklung und instrumentaler Ausgewogenheit trotz einiger Blechschäden gut bewältigt. Am Pult stand Musikdirektor Johannes Rieger, der den insgesamt großen Apparat souverän durch alle Klippen und Gefahren steuerte.
Gerade das handlungsintensive „Rheingold“ bereitet der Darstellung der verschiedenen Handlungsorte vom Rhein über die Götterwelt bis in das unterirdische Machtzentrum des Nibelungen Alberich so manche Schwierigkeiten. Hausregisseur Marco Misgaiski undsein Ausstatter Tom Grasshof haben eine im Ganzen annehmbare Lösung gefunden. Sie ließen alles in einem weißen, mit vielen Tür-Zugängen versehenen Einheitsraum spielen. Am Anfang blickt man im hinteren Teil des Raumes auf eine Flusslandschaft, bei den Göttern ist wohl die Burg Walhall noch verhängt, während bei den Nibelungen dunkle Wolkengebilde zu sehen sind. Ganz am Schluss wird der Vorhang gelüftet und der Blick nicht auf eine Burg, sondern auf das Friedrich-Barbarossa-Denkmal im Kyffhäuser freigegeben, vor dem sich schließlich die Götterfamilie postiert. Das Rheingold ist kein Juwelenschatz oder Ähnliches; überraschenderweise sind es acht junge Frauen im goldenen Ganzkörperanzug, die zunächst von einem großen goldenen Tuch verdeckt aus einem vom Rhein gespeisten Brunnen aufsteigen, wie am Anfang übrigens auch die Rheintöchter, die Alberich nicht mit Wellengeplätscher, sondern mit grünen Straußenfeder-Fächern bezirzen. Witzig ist ja noch, dass diese Alberich im erotischen Geplänkel bis auf die Unterwäsche ausziehen, befremdlich ist allerdings, dass sich Wotan auf offener Bühne umziehen muss, nachdem er die merkwürdige Arbeitskleidung abgelegt und Fricka im kleinen Schwarzen ihn von struppigen Haaren und Bart befreit hatte (Pendant zu Alberichs und Mimes Rübezahl-Haarwuchs?). Überaus positiv ist die kluge Personenführung zu bewerten, die durchgehend lebendige glaubwürdige Gestaltung bewirkte, wenn man von den Szenen mit dem herbeigezauberten Lindwurm und der Kröte absieht; anstelle des mit dem Tarnhelm bedeckten Alberich hätte ein bisschen mehr Theaterzauber schon gutgetan.
Schließlich beeindruckte das sehr spielfreudige Opernensemble mit nur wenigen Gästen durch stimmlich und darstellerisch erfreuliche Leistungen. An erster Stelle ist Juha Koskela zu nennen, der mit seinem durchschlagskräftigen, in allen Lagen abgerundeten Bariton ein keineswegs herrischer, sondern nach Erdas Auftritt nachdenklicher Wotan war. Regina Pätzer als elegante Fricka führte ihren charaktervollen Mezzosopran sicher und bruchlos durch die Partie. Froh (Max An mit tenoralen Glanzpunkten) durfte sich nach deren Befreiung mit Freia (Jessey-Joy Spronk mit schön aufjubelndem Sopran) vergnügen. Als stimmgewaltiger Donner war für den erkrankten Michael Rapke Hinrich Horn von der Staatsoperette Dresden eingesprungen.
Der füllige, oft dramatisch auftrumpfende Bariton von Samuel Berlad passte gutzur Partie des Alberich, dessen Ring-Verfluchung tief beeindruckte. Der Loge von Tobias Amadeus Schöner tratalsverfremdeteCharly-Chaplin-Karikatur im knallroten Anzug mit kleinem Schnauzbärtchen, rotem Hut und Spazierstock auf. Wie von ihm gewohnt spielte er den zwielichtigen Halbgott des Feuers ausgesprochen lebhaft. Sein Charaktertenor fand leider nur selten sanfte, lyrische Töne (z.B. „Weibes Wonne und Wert“), meist sang er reichlich undifferenziert mit allzu aufdringlich schneidender Stimme. Die in Zimmermannskluft auftretenden Riesen Fasolt und Fafner waren mit jeweils dunklen, klangmächtigen Bässen der russische Gast Valentin Anikin und aus dem Hausensemble Gijs Nijkamp,währendFrancesco Huerta prägnant den geschundenen Mime gab. Lange Zeit war Gerlind Schröder der Mezzosopran im Harztheater; jetzt gefiel sie mit eindringlicher Tongebung als mahnende Erda. Schönklang verbreiteten die ansehnlichen Rheintöchter Bénédicte Hilbert, die junge russische Mezzosopranistin Anna Matrenina und Bettina Pierags.
Das zu Recht begeisterte Publikum dankte allen Mitwirkenden und dem Regieteam mit lang anhaltendem und mit vielen Bravo-Rufen durchsetztem Beifall.
Gerhard Eckels, 11. März 2024
Das Rheingold
Oper von Richard Wagner
Harztheater Halberstadt
Premiere am 9. März 2024
Inszenierung: Marco Misgaiski
Musikalische Leitung: Johannes Rieger
Harzer Sinfoniker