Bayreuth: „Klimakonzert: Die vier Jahreszeiten – durcheinander“

Frage an Radio Bayreuth: Gibt es etwas Schöneres als den langsamen Satz in Vivaldis Concerto „Il Gardellino“ RV 428? Antwort: Im Prinzip nein…

Wenn Sophia Schambeck an einer ihrer Blockflöten das Larghetto cantabile seeeehr sanglich spielt, wissen wir, dass wir in einer idealen Musik zuhaus sind. Gespielt in einem auch akustisch idealen Raum, dem Barockraum der Ordenskirche in St. Georgen, offenbart sich die Musik auf eine Weise, wie sie kaum in einem modernen Konzertsaal erreichbar wäre. Das Klima ist gerade, wir wissen es alle, nicht ideal, aber vielleicht war es das schon zur Vivaldi-Zeit nicht; der bellende Hund mag davon wissen. Er klingt schon in Johannes X. Schachtners Prolog hinein, dem Isabel Grübl mit einer Vertonung des Primavera-Sonetts antwortet. Die vier Gedichte, die Vivaldi seinem Jahreszeiten-Zyklus einschrieb, wurden bis jetzt nicht vertont. Man fragt sich, wieso erst Schachtner, der seine Kompositionen am Abend dirigiert, auf die Idee kam, sich an die Arbeit zu machen. So entstand ein Zyklus, der in Einzelteilen zwischen die separaten Teile der Vivaldi-Concerti erklingt: nicht als Unterbrechungen, sondern stets mit sanften wie passenden Übergängen versehen. Da wird originales Material zitiert – Melodien und Klangflächen –, da singt die Sängerin einmal ein paar Zeilen auf die originale Musik des dazugehörigen Vivaldi-Stücks, da setzt der Neutöner die Vorlage um einige Noten nach unten und verlangsamt sie gleichzeitig. Dem Klima, hört man, geht’s nicht gut. Zwischeneingelegt: Das Gardellino-Konzert, das „La notte“-Concerto RV 439 und ein „Sonetto senza parole für Bassblockflöte und Barock-Ensemble“, eine Uraufführung für’s Festival. Angefangen aber hat es nicht mit Musik – oder doch, ein bisschen –, sondern mit der kleinen Intro „Wo Himmel und Erde sich küssen…“ Diesmal standen Johanna Park und Antonia Seidl am Mikro, um über den Zusammenhang zwischen Raum und Musik zu sprechen: „Da kommt alles zusammen: der Geist und die Materie. Das Gefühl und die Geigen. Die Trompeter, die Pauker, das Licht und die Sehnsucht.“ Die erste Geige hörte man schon dort, Martin Schneider zitiert, auf der Orgelempore stehend, an der Violine schon mal eine kurze Passage des Konzerts, bevor die barfüßige Sophia Schambeck gleichsam unbesohlt mit ihrem Solo beginnt. Die Bearbeitung des Allegro non molto aus dem Winter-Konzert in der Bearbeitung J.X. Schachtners: da begegnen sich bereits das „Alte“ (das nicht alt ist) und das „Neue“ (das zuweilen vertraut klang). Am Ende wird in einem Epilogo die kleine Flöte, an der Südtür stehend, einen letzten, kurzen Einwurf machen. Schambeck hat sechs Flöten im Gepäck: von der kleinsten Piccolo- zur größten Bassblockflöte, die sie im Sonett ohne Worte spielt, als gälte es, über dem eisigen Grundrhythmus des Winter-Konzerts einen Bolero zu improvisieren, bevor Isabel Grübl in der Inverno-Vertonung darauf reagiert, indem sie einzelne Silben ausstößt.

© Festival Junger Künstler

Überhaupt die Instrumente! Während Schneider auf einer Geige des frühen 19. Jahrhunderts spielt, haben die anderen Musiker und Musikerinnen Nachbauten alter Instrumente in den Händen: bezogen mit Schafdarm („Vegan sind sie nicht. Aber sie klingen gut“), gespielt mit historisch geformten Bögen. Das Cembalo kommt aus der Werkstatt Bernhard Tuchers („Schloss Leitheim“), Nürnberg ist plötzlich ganz nah, doch auch hier stößt die Frühzeit auf die Moderne. Der Instrumentenbauer hat das Vorbild aus der Instrumentensammlung des Germanischen Nationalmuseums um ein weiteres tiefes „g“ ergänzt, dessen Taste sich witzigerweise auf derselben Ebene befindet wie der des benachbarten höheren Tons. Der Nachteil der Instrumente besteht nur darin, dass oft nachgestimmt werden muss. Der Beifall aber ist, nach dem ersten Teil und dem Schluss, gewaltig – also auch hier: Gute Stimmung. Die sechs Kammermusiker produzieren einen mal betörend rauen, mal weichen, manchmal scharfen und immer durchsichtigen Klang, der sehr fragil scheint – fragil wie das Klima. Und wieder bleibt es erstaunlich, was man und frau aus simplen Dreiklangsbrechungen und Sequenzierungen an Ausdruck herauszuholen vermag: vorausgesetzt, es geschieht, wie am Abend, mit echter Verve.

Der Rest ist eine Mischung aus Expressionismus und Impressionismus. Mag auch das Klima im Moment das Problem der Menschheit sein – ein Klimakonzert dieser dramaturgischen und musikalischen Güte lässt eben dieses Problem für einen glücklichen Moment vergessen.

Frank Piontek, 9. August 2024


Klimakonzert: Die vier Jahreszeiten – durcheinander

Festival Junger Künstler
Bayreuth, Ordenskirche St. Georgen

Aufführung am 8. August 2024

Streichensemble Thalia