Wuppertal: „Salome“, Richard Strauss

Was ist eigentlich Frauenliebe? Schon bei Robert Schumann ein Thema („Frauenliebe und Leben“), bei Richard Wagners Brünhilde noch nahezu konventionell und harmlos: „Selig in Lust und Leid läßt die Liebe nur sein“.

© Bettina Stöß

Salome zeitigte als Stummfilm 1923 einen grandiosen Mißerfolg. Da fehlte die hinreißende Musik von Richard Strauss. Bei ihm wird die Musik zu einem großartigen und erfolgreichen Gegenentwurf einer entsetzlichen Geschlechterbeziehung. Das Libretto entspricht dem Text vonn Oscar Wilde weitgehend. In der Oper singt der Prophet Jochanaan, der es wissen muß: „Durch das Weib kam das Übel in die Welt“, (und Eva war nicht die Schlimmste!) und durch diese Oper die „Konfusion in die Musik“, wie Felix Draeseke geschrieben hat, der es nicht mochte „am Ende seines Lebens diesen sich Musik nennenden Kot um sich herum aufquellen zu sehen“ bzw. zu hören. Auch der Literaturnobelpreisträger Romain Rolland nannte Salome ein „gräßliches Musikwerk mit einer zur jüdischen Prostituierten gewordenen Isolde“. Dabei markiert diese Musik in ihrer freien Tonalität, ihrer Mischung von zwei oder mehr unterschiedlichen Tonarten (Bi- bzw. Polytonalität) ohne Zwölftontechnik und Atonalität den Beginn der modernen Oper, und der Zuhörer ist froh, wenn er einzelne Leitmotive heraushört. Bis zum Jahre 2000 ist das Stück mehr als 10.000-mal in 43 Ländern der Welt gespielt worden, jetzt mal wieder im Barmer Opernhaus.

© Bettina Stöß

Der Inhalt ist schnell erzählt: die junge Schöne bezirzt alle, auch ihren moralisch alles andere als standfesten Stiefvater. Er will, daß sie für ihn tanzt und alles dafür geben. Jochanaan, der dem Stiefvater öffentlich dessen Lasterleben vorgeworfen hatte, sitzt deswegen hinter Gittern. Seine Düsternis und Moral faszinierten die Prinzessin und sie will ihn gegen seinen Willen küssen. Sein Widerstand gegen ihr Begehr bringt sie dazu, für den Stiefvater Herodes den Schleiertanz, ursprünglich wohl eher Striptease, zu tanzen und so das Versprechen des stiefväterlichen Lüstlings einzulösen, ihr dafür alle Juwelen und Edelsteine, das halbe Königreich zu geben. Salome aber will nur den Kußmund. Jochanaan wird enthauptet, und der Kopf ihr auf den dunklen Bühnenboden gelegt. Gut 20 Minuten liebkost sie den abgeschlagenen Kopf Jochanaans, küßt ihn endlich und wirft ihn dann gelangweilt in den Kerker hinab. Welch ein Kuß, igitt. Immerhin, in dieser wahrhaft modernen, perversen Patchwork-Familie hat sich das Töchterchen mit ihren sexuellen Vorstellungen durchgesetzt. Das Monsterhafte der Oper griff Britta Leonhardt auf, in dem sie sich für Gesichter der Darsteller und Darstellerinnen an Deformationen an den Bildern von Francis Bacon orientierte, heißt es im Programm.

Unvermittelt beginnt das musikalische Drama. Einer Ouvertüre bedarf es nicht. Mit aufsteigendem Klarinettensolo war der Vorhang aufgezogen worden. Auf der leicht ansteigenden linken Hälfte des Bühnenbodens sitzt die weiß gekleidete Salome ihn der Nähe des Kerkereingangs. Ein großes Messer in ihrer Hand läßt nichts Gutes ahnen. Schräge dunkle Seitenwände und einige Stufen links im Hintergrund bilden den Raum für das Drama. Um es gleich zu sagen stimmlich wie spielerisch überzeugt die international seit Jahren erfolgreiche Finnin Helena Juntunen in dieser Rolle vollständig von Anfang bis Ende. Es ist dunkle Nacht. Narraboth, der Hauptmann der Palastwache, verliebt sich in Salome, wird aber trotz seines strahlenden, wie lyrischen Tenors abgewiesen (Sangmin Jeon), bevor er sich aus Liebeskummer das Messer in die Brust stößt. Bei seinem deformierten Gesicht wird die Nähe der Masken zu Francis Bacon besonders deutlich. Auf seinem Blut wird Herodes später ausrutschen. Der dunkle, noch am Boden liegende Mond wird aufgehängt, schwebt an der dunklen Hinterwand in die Höhe. Fünf Juden streiten seitlich stimmlich sauber und souverän um religiöse Fragen, etwas kämpfend gegen das gewaltige Orchester. Diese Judenkarikatur Oscar Wildes überrascht, charakterisiert offensichtlich den damaligen Antisemitismus.

Eindrucksvoll und mit großer Stimme mahnt Michael Kupfer-Radecky als Jochanaan aus der Tiefe zu Moral und Gottgefälligkeit, bevor er von der Palastwache aus dem Kerker gebracht wird und unter chromatischen Trillern die Sünden der Mutter Salomes aufzählt. Seine Stimmgewalt hatte jüngst in Bayreuth beeindruckt (Wotan in der « Walküre »), er benötigte sie aber auch hier gegen das mächtige Orchester. Salome, in seinen Leib verliebt, macht sich an ihn ran. Er aber verflucht sie mit herrlichem Kontrafagott Solo aus dem Orchestergraben, der für die schon von Strauss reduzierte Fassung hier im Gegensatz zur Uraufführung 1905 in Dresden nur mit rund 80 Musikern gefüllt war (damals 102!).

© Bettina Stöß

Gundula Hintz gibt die lasterhafte, ältliche Ehefrau Herodias herrlich und stimmlich souverän ebenso wie Matthias Wohlbrecht den Herodes als lüsternen, alten Mann, der aus Angst vor Gottesstrafen Jochanaan nicht köpfen lassen will. Musikalisch wunderbar ist die grauenhafte Stille aus dem Kerker zu hören, wenn der Scharfrichter seines Amtes waltet: sehr leises Pianissimo nur der Kontrabässe mit einzelnen Flageolett-Anrissen darüber.

In den letzten rund 20 Minuten war Helena Juntunen besonders gefordert, alleine gegen das Orchester singend, spielte sie, grandios dramatisch-theatralisch, manipulativ interagierend, ihre Sexualität mit dem abgeschlagenen Kopf des Begehrten aus, entsetzlich und ekelhaft. Psychiater würden hier wohl von histrionischer Persönlichkeitsstörung sprechen. Selbst der Mond mochte nicht mehr zuschauen und wurde abgehängt. Erstaunlich, daß der Stiefvater von ihrem merkwürdig ungelenken und stockenden Schleiertanz in Lederstiefeln und monströsem Kleid, bei dem keine Schleier fielen, so angetan war. Wer wen am Ende tötet, bleibt unklar. Beide greifen zum Schwert als der Vorhang fällt. Selbst Opernenthusiasten hatten ihre Schwierigkeiten psychischen Bewältigung dieser schlimmen Bilder.

Die Lösung des Stückes aus der Zeitgebundenheit des fin de siècle und die Übertragung in die Zeitlosigkeit ist der Regie (inkl. Bühnenbild’ Kostüme und Choreografie) eindrucksvoll gelungen. Nur im Orchester klangen unter Clustern gelegentlich Seele, Liebe, menschliche Gefühle an. Unter der Leitung des GMD Patrick Hahn kam die raffinierte und komplexe Musik stets durchsichtig aus dem Orchestergraben bzw. über die Rampe, nur gelegentlich für die großen Sängerinnen und Sänger zu laut. Insgesamt eine modern inszenierte Produktion mit einer Riege bemerkenswerter Gäste für die großen Rollen und sehr guter Leistung des eigenen Ensembles. Frenetischen langen Applaus gab es am Ende für alle, ein fulminanter Erfolg für die Intendantin Rebekah Rota zu Beginn ihrer zweiten Spielzeit.

Johannes Vesper, 20. September 2024

Besonderer Dank an unsere Freunde von den Musenblättern (Wuppertal)


Salome
Richard Strauss

Wuppertaler Bühnen

Premiere: 15. September 2024

Inszenierung: Andrea Schwalbach
Musikalische Leitung: Patrick Hahn

weitere Termine: Samstag, 21. September; Sonntag, 13. Oktober 2024; Freitag, 7. Februar; Freitag, 14. Februar 2025