Frankfurt: „Lady Macbeth von Mzensk“, Dmitri Schostakowitsch

Peinlich, peinlich: Die Kollegen von der Zeitschrift Opernwelt haben sich verzählt. Unter den 43 von ihnen befragten Kritikern haben jeweils sechs das Frankfurter Opernorchester und das Orchester der Bayerischen Staatsoper München zum besten der zurückliegenden Spielzeit erklärt. Den Meistertitel erhielten aber nur die Münchener Musiker. Irgendwie hatte man eine Stimme für die Frankfurter übersehen. Natürlich sind und bleiben diese Auszeichnungen fragwürdig (auf jedes der Orchester entfielen lediglich knapp 14 Prozent der Stimmen – da kommt derzeit selbst die gebeutelte SPD in aktuellen Meinungsumfragen auf bessere Ergebnisse). Warum das „Opernhaus des Jahres“ sich aber wohlverdient damit schmücken kann, neben dem „Chor des Jahres“ auch das „Orchester des Jahres“ zu besitzen, ist bei der aktuellen Wiederaufnahme der Lady Macbeth von Mzensk zu erleben. Die Partitur ist in mehrfacher Hinsicht heikel. Zum einen kann sie stellenweise dröhnend laut sein. Josef Stalin hatte bei einer Aufführung im Jahr 1936 von dem Lärm auf der Bühne offenbar derart der Schädel gebrummt, daß er den Komponisten mit einem wütenden Verriß in der Parteizeitung Prawda in Todesangst versetzte. Zum anderen ist sie aber stellenweise auch sehr leise, regelrecht ausgedünnt. Der vormalige Frankfurter Generalmusikdirektor Sebastian Weigle hatte das in der Premiere vor fünf Jahren meisterhaft ausbalanciert. Nun präsentiert sich das Orchester unter seinem Nachfolger Thomas Guggeis auf dem selben exzellenten Niveau. Die Lobeshymnen auf die Premierenleistung treffen unverändert und exakt auf die Darbietung in der aktuellen Wiederaufnahme zu: Die berüchtigten lauten Passagen werden durchaus lustvoll ausmusiziert. Der „Lärm“ dröhnt aber nicht, er bleibt Musik, bleibt in seiner Form, seiner Struktur, vor allem seiner Klangfarbe erlebbar. Das Derbe wird plastisch ausgespielt, die vielen grotesken Wendungen haben Biß und Schärfe. Daneben gelingen die zurückgenommenen, leisen Passagen in schlichter Klarheit. Gerade hier zeigt sich die große Gestaltungskunst des Dirigenten, der selbst im leisesten Piano und im zurückgenommensten Tempo nie den Spannungsfaden abreißen läßt. Man kann nur hoffen, daß Guggeis demnächst auch in den Museumskonzerten einmal eine Schostakowitsch-Symphonie aufführt.

Aile Asszonyi (Katerina Ismailowa), im Hintergrund der Herrenchor / © Barbara Aumüller

Ein Wermutstropfen bleibt, daß die Lautstärke auch deswegen nicht in Extreme getrieben wird, weil Regisseur Anselm Weber sich dazu entschlossen hat, die eigentlich vorgesehene Bühnenmusik einer durchschlagskräftigen Blaskapelle in das Off zu verbannen. Wenn der Dirigent nicht im Schlußapplaus auf zwei Klappen in den Wänden links und rechts des Orchestergrabens gedeutet hätte, wäre den meisten Zuschauern verborgen geblieben, daß sich dahinter Musiker befinden, die während der Aufführung immer wieder ihren knackigen Blechbläsersound beigemischt hatten.

Beim Wiedersehen fällt nicht mehr so stark ins Gewicht, daß Weber den Charakter des Stückes als „tragische Satire“ (so die Bezeichnung durch den Komponisten selbst) nahezu vollständig eliminiert hat. All das Groteske, Komische, Schrille, Parodistische, was da in größter Farbigkeit auf den Punkt genau aus dem Orchestergraben tönt, findet auf der Bühne kaum eine Entsprechung. Dafür zeigt die Regie einen abgrundtief bösen Krimi und arbeitet die immer wieder in Brutalität umkippende Trostlosigkeit des Stoffes plastisch heraus. Das Einheitsbühnenbild von Kaspar Glaner zeigt das Innere eines fensterlosen, bunkerartigen Rundbaus in tristem Grau. In der Mitte wird zu passenden Gelegenheiten eine Art Kapsel heruntergelassen, welche als Schlafzimmer dient. Die Titelfigur entflieht dieser Ödnis immer wieder mit Hilfe einer Virtual-Reality-Brille. Was sie dort sieht, wird an die Wände des Bunkers projiziert. Es sind bunte Blüten, die in psychedelischen Farbexplosionen sekundenschnell aufblühen und wieder vergehen – Flucht aus einem deprimierenden Alltag.

Aile Asszonyi (Katerina Ismailowa), Andreas Bauer Kanabas (Boris Ismailow) und Gerard Schneider (Sinowi Ismailow) / © Barbara Aumüller

Wie schon in der Premiere bietet auch die Wiederaufnahme exzellente Sängerdarsteller in den Hauptpartien auf. Aile Asszonyi, die zuletzt in Frankfurt als Elektra auf sich aufmerksam gemacht hat, debütiert als Katerina, die titelgebende „Lady Macbeth“. Wie ihre Rollenvorgängerin ist sie eine phänomenale Stimmschauspielerin. Von der gelangweilten Ehefrau über die skrupellose Mörderin bis zur gebrochenen Betrogenen am Ende beglaubigt sie jede Wendung mit ihrem hochdramatischen Sopran musikalisch genau und emotional eindringlich. In der zweiten Hauptrolle ihres Schwiegervaters Boris präsentiert Andreas Bauer Kanabas ein ebenso überzeugendes Rollendebüt. Herrisch und brutal gibt er ihn mit seinem dunkel abgetönten Baßbariton und wirkt in seiner bösartigen Grobheit dabei derart glaubwürdig, daß man ihm den qualvollen Tod durch Rattengift beinahe gönnen möchte. Umso anrührender gestaltet er im letzten Akt dann den Alten Zwangsarbeiter. Neu ist auch Gerard Schneider in der Rolle des gehörnten Ehemannes Sinowi. Die Regie zeichnet ihn als asthmatischen Schlappschwanz, was Schneider gekonnt ausspielt. Gesanglich denunziert er seine Figur jedoch nicht und gönnt ihr geschmeidige Tenortöne.

oben: Anthony Robin Schneider (Pope), unten: Aile Asszonyi (Katerina Ismailowa; stehend) und Dmitry Golovnin (Sergei; rechts davon sitzend) / © Barbara Aumüller

Dmitry Golovnin zeichnet wie in der Premiere den Verführer Sergei viril und breitbeinig. Iain McNeil begeistert erneut als zynisch-brutaler Polizeichef mit seinem kernigen, saftigen Bariton. Zanda Švēde gibt wieder Katerinas Nebenbuhlerin Sonjetka mit ihrem satten Mezzosopran die passende Prise Verruchtheit. Peter Marsh kann als betrunkener Landstreicher einmal mehr seine Buffo-Qualitäten ausspielen und sorgt für die wenigen komödiantischen Momente der Inszenierung. Ein Gewinn für die Aufführung ist Anthony Robin Schneiders Debüt als Pope. Sein schwarzer Baß klingt mit profunder Tiefe „echt russisch“.

Die szenisch eindringliche Produktion bietet musikalisch die Intensität einer Premiere mit bemerkenswerten Rollendebüts und einem Orchester in Hochform. Das Publikum zeigt sich begeistert.

Michael Demel, 1. Oktober 2024


Lady Macbeth von Mzensk
Dmitri Schostakowitsch

Oper Frankfurt

Wiederaufnahme am 29. September 2024
Premiere am 3. November 2019

Inszenierung: Anselm Weber
Musikalische Leitung: Thomas Guggeis

Frankfurter Opern- und Museumsorchester