Bonn: „Die Meistersinger von Nürnberg“, Richard Wagner (Premieren-Kritik)

Wenn eine Zuschauerin bereits vor dem ersten gespielten Ton einer Opernsaufführung meint ein kleines „Buh!“ loslassen zu müssen, dann droht ein handfester Skandal oder die Dame präsentiert Ignoranz und schlechtes Benehmen. Zum Glück stellte sich heraus, dass die Dame zwei Plätze neben mir den zweiten Fall vertrat, denn mit der Premiere der „Meistersing von Nürnberg“ hat die Bonner Oper einen absolut soliden und kurzweiligen Opernabend zum Saisonstart auf die Bühne gebracht, der alles ist, aber kein Skandal. Aber was mag die Dame zu ihrem wenig qualifizierten Kommentar gebracht haben? Nun, öffnet sich der Vorhang so sehen wir eine Projektion der Zeppelin-Tribüne des Reichsparteitagsgeländes zu Nürnberg samt Hakenkreuz. Mit dem ersten Ton der Musik wird selbiges gesprengt und das Spiel nimmt seinen Lauf und man merkt sehr schnell, dass es hier weiß Gott nicht um eine Verlegung in die braunen Jahre Deutschlands geht, sondern Regisseur Aron Stiehl hier ein plakatives Zeichen setzt, um zu zeigen, dass genau diese Jahre überwunden sind und wir uns in der Nachkriegszeit befinden. Kostüme und Raum holen den Zuschauer ab und versetzen ihn in die späten 40er, vielleicht die 50er Jahre. Wir befinden uns dabei auch weder im pittoresken Nürnberg oder in der Schusterwerkstatt, vielmehr schaffen die Ausstatter Timo Dentler und Okarina Peter einen Raum, der etwa die Aula einer Berufsschule sein mag. Viel funktionale Architektur, eine Bühne und eine Möblierung, wie sie vielerorts im Nachkriegsdeutschland in öffentlichen Gebäuden zu finden gewesen sein mag, sowie eine sehr detailverliebte Zeichnung bei den Kostümen formulieren im ersten Akt ein klares historisch einzuordnendes Setting. Warum als das „Buh!“ vor dem ersten Ton der Musik? Man weiß es nicht.

© Bettina Stöß

Die Regie nimmt sich dem komödiantischen des Werks an und bedient dies umfassend. Immer wieder werden Impulse aus der Musik genommen, die Geschichte wird stringent erzählt, wobei das vermeintlich Lustige dabei aber auch immer wieder arg strapaziert wird und zeitweise sehr selbstverliebt daherkommt. Papierflieger, Briefchen, ein chargenhaft betrunkener Meister – das sind Kleinigkeiten, die auf die Länge des Werkes gesehen nach einer Zeit durchaus nerven. Aber der große Bogen, den die Regie erzählt, der funktioniert sehr gut. Denn Wagners Aufforderung Neues zu schaffen, wird zum Motor der Inszenierung. Junge Menschen, die etwas anders machen wollen, die das Vergangene hinter sich lassen, die Zukunft gestalten und sich nicht von den Geistern der Vergangenheit gefangen nehmen lassen wollen – das ist schon alles sehr stimmig und wird in einem Gänsehaut-Schlussbild auf den Punkt gebracht. Hatte sich die Festwiesenszene zu einer karnevalistischen Feier entwickelt sehen wir hier, wie schnell es gehen kann, dass der Spaß vorbei sein kann und die ideologischen Gespenster der Vergangenheit (auf der Bühne symbolisiert durch „Schwellköppe“ der heutigen Demagogen) wieder die Oberhand gewinnen. Der Chor singt dabei das Finale im Saal, erinnert an die guten Geister, die Kunst und die Kultur, die eine Gesellschaft formen und weiterentwickeln können und so geht Wagners Musik hier wirklich im besten Sinne unter die Haut.

© Bettina Stöß

Somit findet die Regie eine treffliche Aussage am Ende eines meistenteils kurzweiligen Abends, der trotz teils überstrapazierter Komik unterm Strich eine passende Lesart des Werkes ist. Schaut man auf die Solisten, so lassen sich auch hier solide Leistungen verbuchen. Aufgrund der Vielzahl der kleinen Rollen sei nur angemerkt, dass all diese ein stimmiges musikalisches Gesamtbild abgeben. Bei den größeren Rollen sind es vor allen Dingen zwei Darsteller, die beim Publikum besonderen Beifall bekommen: Dies ist zum einen der David von Manuel Günther, der mit Leichtigkeit und viel Agilität auf der Bühne agiert und die Sympathiewerte seiner Rolle klar auszuspielen weiß. Vielleicht Star des Abends ist aber Joachim Goltz als Beckmesser, der mit großem komödiantischen Talent szenisch zu punkten weiß, aber auch stimmlich und vor allen Dingen im Bereich Textverständlichkeit Beachtliches leistet. Anna Princeva als Eva bleibt etwas verhalten. Sie singt die Partie tadellos, bleibt aber im Szenischen kühl und vermag nicht so recht zu vermitteln, warum Stolzing sich ausgerechnet für sie interessiert.

© Bettina Stöß

Der Hans Sachs von Tobias Schabel ist in gewisser Weise ungewohnt, denn Schabel ist der Gegenentwurf zum gemütlichen Daddy-Typen, als den man den Sachs sonst oft sieht. Er ist eher eine Art einsamer Wolf, ein rauer Typ, der zwar das Herz am richtigen Fleck hat, aber auch sein Einzelgängertum zu pflegen weiß. Schabels Stimme ist dabei durchaus der Anlage der Figur dienlich, denn auch hier zeigt er sich stellenweise rau und mit vielen dunklen Farben in der Stimme. Sein Bass dröhnt nicht, hat aber einen doch durchdringenden Klang, der gerade in den parlierenden Momenten der Nahbarkeit der Figur weniger Kunst, denn Menschlichkeit zuteilwerden lässt.  

Mirko Roschkowski vermag in der Rolle des Stolzing sicherlich zu überzeugen, aber leider nicht zu begeistern. Wenig ritterlich zeichnet ihn die Regie als eine Art Vagabund, vielleicht Hippie, als Gegenentwurf seiner biederen Umwelt, der letztlich aber szenisch blass bleibt. Was dem Tenor wunderbar gelingt sind die zarten, die sanften Töne seiner Figur und so bleibt Roschkowski gerade im ersten Akt oftmals sehr dezent, sehr, ja zu zurückhaltend und vermag hier aber dennoch mehr zu punkten als in den großen strahlenden Momenten des Stolzings.

Der Chor meistert seinen üppigen Part nicht minder souverän, wirft sich mit viel Spielfreude in die von der Regie verordnete Komik und überzeugt mit einem kraftvollen und homogenen Klangbild.

Dirk Kaftan leitet das Beethoven-Orchester über weite Strecken souverän durch Wagners Partitur. In der Prügelfuge und zu Beginn der Festwiesenszene wackelt es zwar zwischen Bühne und Graben, aber das sind auch die einzigen, schwierigen Momente – ansonsten ist die Leistung absolut solide, kann gerade in den ruhigen Momenten wie im Vorspiel zum dritten Akt wahre Tiefe entfalten.

© Bettina Stöß

Die Bonner Produktion der Meistersinger ist eine rundum solide Angelegenheit. Das Regiekonzept ist stimmig und möchte nur gelegentlich lustiger sein, als es wirklich ist, vermag aber auch berührende und ergreifende Momente zu erzeugen. Das Sängerensemble vermag mit guten bis sehr guten Leistungen zu überzeugen und so ist der kräftige Premierenapplaus des Publikums absolut angebracht und lässt das alberne Buhen einzelner vom Anfang zurecht vergessen.

Sebastian Jacobs, 8. Oktober 2024


Die Meistersinger von Nürnberg
Richard Wagner

Theater Bonn

Premiere am 3. Oktober 2024

Inszenierung: Aron Stiehl
Musikalische Leitung: Dirk Kaftan
Beethoven Orchester Bonn

Trailer