Mailand: „L’Orontea“, Antonio Cesti

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Der vom Intendanten Dominique Meyer mit Sachkenntnis organisierte Zyklus von Barockopern, in welchem bisher 2021 Cavallis „La Calisto“ und 2023 Vincis „Li zite ‚ngalera“ zu hören gewesen waren, endete kurz vor Meyers unfreiwilligem Abgang mit einem Werk von Antonio Cesti, uraufgeführt 1656 in Innsbruck am Hof des Habsburger Erzherzogs Ferdinand Karl. Dieser war der Musik und dem Theater sehr zugetan und hatte, verheiratet mit Anna aus dem Hause der Medici, Gelegenheit, sich in Italien umzusehen. Dabei lernte er Cesti kennen und engagierte ihn als Hofkapellmeister, dessen „L’Orontea“ nach „L’Argia“ die zweite Oper fűr Innsbruck war. Die höchste Stufe der Ruhmesleiter sollte der 1623 in Arezzo geborene Komponist mit „Il Pomo d’Oro“ am Wiener Hof von Leopold I. erklimmen. Leider starb er 1669 mit erst 46 Jahren und stand im Schatten des Ruhms von Francesco Cavalli (1602-1676), der zwar 20 Jahre früher geboren wurde, aber in einer längeren Lebenszeit sehr viel mehr Werke hatte komponieren können.

Dabei war Cestis Stil durchaus fortschrittlich, und er wird gar als „erster Komponist von Opernarien“ angesehen, weil er, auch in „L’Orontea“, zeitweise das recitar cantando Monteverdis verlässt und rasche Rezitative mit in ihrer Form Arien vorwegnehmenden Monologen vereint.

In Mailand gab es 1961 eine Produktion an der Piccola Scala mit Teresa Berganza in der Titelrolle. Im großen Haus war diese Aufführung somit ein Novum. Der Stoff wurde von verschiedenen anderen Komponisten der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts vertont, doch Cestis Arbeit war schon damals die erfolgreichste. Das Libretto von Giacinto Andrea Cicognini und Giovanni Filippo Apolloni erzählt von der ägyptischen Königin Orontea, die von Liebe nichts wissen will, obwohl sie von ihrem Erzieher, dem Philosophen Creonte, zu einer Heirat gedrängt wird, um dem Reich einen Nachfolger zu sichern. Als der Maler Alidoro an den Hof kommt, verliebt sie sich natürlich in ihn, aber ebenso ihre Hofdame Silandra und die Sklavin Giacinta. Nach den üblichen Verwicklungen, bei denen der schöne Maler auch mit den anderen Damen flirtet, kommt es zur Verlobung Oronteas mit ihm, stellt er sich doch als ein Prinz heraus, der als Kleinkind von Piraten geraubt wurde.

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Regisseur Robert Carsen verlegt die Handlung in eine heutige Großstadt, macht aus der ägyptischen Königin die Besitzerin einer Verkaufsgalerie fűr Gemälde und aus ihrem Hofstaat diverses Personal der Galerie. Der Einfall ist im 1. Akt recht unterhaltsam, bringt aber im zweiten und dritten nicht mehr sehr viel. Allerdings ist Carsen ein Meister auf dem Gebiet der Personenführung und gibt allen Sängern ausnahmslos die Möglichkeit, ihre Charaktere stark zu profilieren. (Allerdings kann ich ihm nicht verzeihen, dass er am Schluss des 1. bzw. 3. Akts lärmendes Partyvolk zur Vernissage hereindrängen lässt, wodurch die Musik übertönt wird).  Das Ambiente mit weiß getünchten Wänden, auf denen die zu verkaufenden Bilder hängen, und später mit Ausblick auf die Wolkenkratzer der Großstadt, wurde von Gideon Davey entworfen, ebenso wie die Kostüme, funktionell fűr das Personal, hochelegant fűr Orontea.

Das dramma per musica wird ohne den in Barockopern üblichen Prolog gegeben, in dem Amor und die Philosophie streiten und Amor schließlich recht behält. Der ausgewiesene Barockspezialist Giovanni Antonini dirigierte das auf historischen Instrumenten spielende Orchester des Hauses mit solcher Kenntnis und Subtilität, dass sich die Musiker hörbar wohlfühlten und ein auf solche Musik spezialisiertes Ensemble nicht vermissen ließen.

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Die temperamentvolle Stéphanie d‘Oustrac (Mezzo) verkörperte die Titelrolle mit nicht immer perfekter italienischer Aussprache, aber viel Charme und biegsamer Stimme. Silandra, hier ihre persönliche Sekretärin, fand in Francesca Pia Vitale (Sopran) eine szenisch wie stimmlich ausgezeichnete Interpretin. Der Countertenor Carlo Vistoli gab als Alidoro sein Rollendebut, das seinerzeit Covid zum Opfer gefallen war, und stellte den wankelmütigen Maler so überzeugend dar, wie ihm die Musik perlend von den Lippen floss. Ein weiterer Counter war Hugh Cutting als der von Silandra zugunsten Alidoros verlassene und die Reuige wieder aufnehmende Corindo, Mitarbeiter der Galerie. Auch er zeigte Agilität in Spiel und Gesang. Als lustige Figur im Sinne Shakespeares gibt es noch den Trunkenbold Gelone (= Frostbeule), den der Bass Luca Tittoto mit voller Stimme köstlich komisch gestaltete. Komisch auch die verliebte Alte Aristea, von Marcela Real mit profundem Mezzo gesungen. Beim Tibrino, einem weiteren Mitarbeiter, der Sara Blanch war zu bedauern, dass ihre Rolle nicht größer war. Die als Mann verkleidete Giacinta, Objekt von Aristeas Gelüsten, war Maria Nazarova und ihrem reinen Sopran anvertraut. Der Bass Mirco Palazzi als Creonte (Geschäftsführer?) brachte seine mahnenden, aber wirkungslosen Worte mit Eleganz ein.

Einsetzende Fluchtbewegungen des Touristenpublikums nach dem 1. und vor allem nach dem 2. Akt sind bei einem Werk dieser Art wohl unvermeidlich, aber der verbliebene Rest feierte die Sänger und vor allem Antonini nachhaltig.

Eva Pleus, 9. Oktober 2024


L’Orontea
Antonio Cesti

Teatro alla Scala

30. September 2024
Premiere 26. September 2024

Inszenierung: Robert Carsen
Musikalische Leitung: Giovanni Antonini
Orchestra del Teatro alla Scala auf historischen Instrumenten