Es ist eine Tragödie, dass der französische Komponist Camille Saint-Saëns (1835-1921) ein Schattendasein in der Musikwelt fristet. Wie vielfältig waren seine Begabungen! Komponist, Organist, Musikwissenschaftler, Pianist und Dirigent, um nur seine wichtigsten Berufe zu nennen. Im Kindesalter veröffentlichte er seine ersten Kompositionen. Zahllose Werke für Klavier, Orgel, Violine, Cello und Orchester. Fünf außergewöhnliche Klavierkonzerte und fünf Sinfonien. Dazu viele Opern, von denen sich lediglich das Musikdrama „Samson et Dalila“ einen festen Platz auf den Bühnen sichern konnte. Bei all dem Schaffensreichtum blieb es bei drei Werken, die das Publikum mit seinem Namen verbindet. Neben „Samson et Dalila“ ist es die sog. „Orgelsinfonie (Sinfonie No. 3)“ und der berühmte „Karneval der Tiere“.
Das Label Naxos veröffentlicht dieser Tage bereits seine fünfte CD mit Werken des französischen Meisters. Diese enthält eine Auswahl aus Bühnenmusiken, Tänzen und Ballettmusiken. Zu hören sind Auszüge aus „Samson et Dalila“, das Ballett aus seiner Oper „Étienne Marcel“, Tänze, Ballettsequenzen und Divertissements aus „Henry VIII“. Besonders originell sind die „Airs de ballet“ aus „Parysatis“, in denen Crotales (antike Fingerzimbeln) zum Einsatz kommen.
Ausführende sind das traditionsreiche Residentie Orkest The Hague und dessen vielseitig erfahrener Dirigent Jun Märkl. Das Orchester wurde maßgeblich über viele Jahrzehnte von Willem van Otterloo geleitet. Ihm folgten prominente Kollegen nach, wie Jean Martinon, Neeme Järvi und Evgeni Svetlanov.
Jun Märkl ist gegenwärtiger Principal Guest Conductor des Residentie Orkest und blickt auf eine internationale Opernkarriere zurück, die ihn an nahezu alle Häuser geführt hat. Auch sein symphonisches Repertoire ist umfassend. Eine besondere Affinität hat Märkl zur französischen Musik, so hat er u.a. für Naxos alle Orchesterwerke von Claude Debussy eingespielt. Aktuell ist Jun Märkl zudem Chefdirigent des Taiwan National Symphony Orchestras.
Saint-SaënsOper„Étienne Marcel“, die am 8. Februar 1879 in Lyon uraufgeführt wurde, war kein Erfolg. Die Handlung befasst sich mit der heroischen Étienne Marcel, eine führende Figur in der Volksrebellion von 1358 während der Regentschaft des Dauphin Charles. Das Thema erlaubte ein großes Spektakel ebenso wie das übliche Ballett. Walzer, böhmische Tänze und allerlei Folkloristik prägen diese wirkungsvolle Musik.
Wenige Jahre später folgte dann die große royale Oper über das Leben von „Henry VIII“. Auch hier zeigte der französische Komponist sein besonderes Können in der melodischen Entwicklung und der musikalischen Farbgebung. Orientalische, exotische Klangeffekte wurden von ihm sehr geschätzt und sind auch hier anzutreffen.
Jahre später wandte sich Saint-Saëns einem weiteren umstrittenen Monarchen zu. Das Stück „Parysatis“, beschrieben als „ein spektakuläres Drama, das auf dem Leben der blutrünstigen Königin des alten Persiens basiert“, wurde am 17. August 1902 uraufgeführt im südfranzösischen Ferienort Béziers nahe der spanischen Grenze. Die Bühnenmusik zu Jane Dieulafoys Drama „Parysatis“ wurde mit stürmischem Beifall aufgenommen. Die melodischen „Airs de Ballet“, das aus einer kurzen Einführung und drei exotischen Tänzen besteht, wurde separat veröffentlicht und verwendet Harfen und Crotales, kleine Fingerzimbel.
Und damit zu dem zentralen Opernwerk aus dem Schaffen von Saint-Saëns, „Samson et Dalila“. Diese alttestamentliche Geschichte erzählt von Samson, der die Israeliten aus den Schlingen der Philister befreien will. Sehr bekannt und beliebt ist der orgiastische „Danse Bacchanale“. Benannt nach Bacchus, dem Gott des Weins und Fruchtbarkeit. Dieser Tanz beginnt mit einer verdrehten Melodie, die klingt, als ob eine Schlange aus einem Korb gezaubert würde. Das Ganze mündet in einer Orgie, die völlig aus dem Ruder läuft. Orchestral ist das Ganze eine außergewöhnliche Tonschöpfung mit größter Wirkung.
Jun Märkl nutzt gerade dieses „Bacchanale“ dazu, alle Möglichkeiten der musikalischen Exotik bestmöglich zu exponieren. Dies gelingt ihm vortrefflich. Dabei zeigt er sich als Meister des Details und rückt viele Aspekte der Musik in den Mittelpunkt, die häufig nicht zu hören sind.
Mit leichter Hand und auch festem Zugriff zeigt Jun Märkl ein gutes Gespür für die vielfältigen Anforderungen in den aufgezeichneten Auszügen. Er treibt die Musik nach vorne und hält sie immer lebendig. Stets um Transparenz bemüht, lässt er die Musik blühen und leuchten, so dass vor allem Dynamik und Rhythmus pointiert zum Einsatz kommen. In den Tänzen setzt er gekonnt feine Rubati ein und sorgt insgesamt für eine schlüssig abgeleitete Agogik. Jun Märkl lässt die Musik intensiv zum Zuhörer sprechen. Eine intensive Hörerfahrung, die immer spannend und genussvoll zu erleben ist.
Das Residentie Orkest The Hague gefällt mit satter Tongebung und ausgewogenem Spiel. Die Gruppe der Streicher musiziert mit klarer Artikulation und feiner Klarheit. Die Holzbläser sind in den einzelnen Auszügen intensiv gefordert und bewältigen ihre Aufgaben tadellos. Schlank und edel sorgen die Blechbläser für eine breite Grundierung. Die vielen Schlagzeugstellen werden mit viel Musizierfreude dargeboten. Besonders wohltönend sind die bezaubernden Soli der Harfen.
Eine CD, die kurzweilig ist und ob des musikalischen Reichtums in fein gelungener Umsetzung erfreut.
Dirk Schauß, 20. November 2022
Camille Saint- Saëns
Étienne Marcel – Act III: Ballet (1877–78)
Henry VIII (1881–82) (selection)
Henry VIII – Act II: Fête populaire,
Ballet-Divertissement (1881–82) Airs de ballet de Parysatis (1902)
Samson et Dalila, Op. 47 (1859–77) (selection)
Dirigat: Jun Märkl
Residentie Orkest The Hague
Naxos: 8574463