Annaberg-Buchholz: „Satanella oder Die Macht der Liebe“, Michael William Balfe

Lieber Opernfreund-Freund,

am Eduard-von-Winterstein-Theater in Annaberg-Buchholz werden seit einigen Jahren Ausgrabungen präsentiert, die die Reise ins Erzgebirge noch lohnender machen. Nach der Welturaufführung von Alberto Franchettis Alterssünde Don Buonaparte im vergangenen Jahr, präsentiert die ETO heuer ein Werk eines zumindest in Annaberg-Buchholz alten Bekannten: den Falstaff des irischen Komponisten Michael William Balfe hatte man dem Publikum schon vorletztes Jahr als deutsche Erstaufführung präsentiert, nun ist Satanella dran. Das 1858 in nur sieben Wochen entstandene Werk ist ebenfalls erstmals in Deutschland zu erleben.
Balfe ist mit seinen rund 30 Opernkompositionen wahrscheinlich der wichtigste britische Opernkomponist neben Purcell und Britten und doch außerhalb des Commonwealth nahezu unbekannt. Während Falstaff, ein Werk des bei Entstehung noch blutjungen Komponisten darstellt, noch sehr nach Donizetti klingt, ist die 20 Jahre später entstandene Satanella von einem eigenen Stil geprägt. Hier können Sie britischen Belcanto erleben, der in unglaublichem Melodienreichtum und teils liedhaften Arien in gewisser Weise Gilbert & Sullivan vorwegnimmt und stellenweise auch wie eine Operette englischer Machart klingt. Ausgefeilte Harmonik und üppige Orchestrierung machen diese Oper zusammen mit den intensiven Chorszenen zu einem Ohrenschmaus. Kein Wunder also, dass es nach seiner Entstehung über 50 Jahre lang auf den Spielplänen in Covent Garden, Sydney und New York zu finden war. Dass man in Annaberg-Buchholz das Werk dem Vergessen entreißt, ist deshalb nicht hoch genug zu loben.

© ETO GmbH/Dirk Rückschloß

Worum es in der Oper geht, ist kurz kaum zusammen zu fassen. Ich probiere es trotzdem: Der adelige Rupert ist spielsüchtig und wie sein Diener Carl in Lelia verliebt. Als er all sein Geld verloren hat, ruft er den Dämonenkönig Arimanes um Hilfe an, der jedoch will ihn ruinieren. Seine Gehilfin Satanella verliebt sich in Rupert, ist aber nach zweieinhalb Akten voller Irrungen und Wirrungen von Ruperts Liebe zu Lelia so berührt, dass sie Rupert aus dem Pakt entlässt, dem Paar ihren Segen gibt und geläutert in den Himmel aufsteigt.
Bei der Uraufführung 1848 war das Werk mit ausufernden gesprochenen Dialogen noch rund vier Stunden lang. Regisseur Christian von Götz verkürzt die Spieldauer auf gut drei, ersetzt die spröden Dialoge durch eigene und dreht die Oper auch sonst auf links: Carl wird bei ihm zum Alter Ego Ruperts, ist über den Mord an Lelia wahnsinnig geworden und erlebt die Geschehnisse um Satanella als bizarr-wahnhafte Rückblenden. Im Laufe des Abends werden die bewusst wirr komponierten Bilder immer alptraumhafter, so dass in der Pause der eine oder andere Zuschauer hektisch zum Programmheft greift, um zu verstehen, was er da gerade gesehen hat. Wer sich aber darauf einlässt, erlebt auf der dunklen Bühne, wie Geschlechtergrenzen gesprengt werden, ohne dabei schrill zu sein, wie Liebe in all ihren Formen zelebriert wird, ohne dabei anstößig zu wirken. Am Ende kommt Satanellas Erlösung für Carl trotz veritablem Exorzismus in bester Linda-Blair-Manier zu spät – er hat sich im Wahn selbst getötet.

© ETO GmbH/Dirk Rückschloß

Auf der Bühne herrscht in der düsteren Szenerie ein beachtliches künstlerische Niveau: Die Südkoreanerin Sarah Chae ist eine Koloratura erster Güte, vereint Leichtigkeit mit beeindruckender Höhe und stimmlicher Beweglichkeit und imponiert mir zudem mit ihrer überragenden Bühnenpräsenz. Die kann Martin Mairinger als Rupert umständehalber leider gar nicht zeigen. Eine Schulterverletzung hat ihn in der Bewegung eingeschränkt, so dass eine Anpassung der Regie ihn ganz in Schwarz gehüllt die Rolle singen lässt, während Martha Tham seine Figur auf der Bühne in kongenialer Weise darstellt. Martin Mairinger verfügt über einen kraftvollen, höhensicheren Tenor und zeigt am gestrigen Abend so viele verschiedene Facetten, dass ich richtig neugierig bin, ihn einmal agierend auf der Bühne zu erleben. Dass Richard Glöckner Sänger ist und kein Schauspieler, mag man bei der Intensität der Verkörperung des Carl kaum glauben, so sehr geht sie mir unter die Haut. Dazu verfügt das junge Ensemblemitglied über eine klangschöne Stimme, die er in seiner einzigen Arie zeigen darf. Wenzheng Tong singt den Arimanes mit beeindruckend-dämonischer Tiefe zu den atemberaubenden Verrenkungen seines „Bühnenzwillings“ Verena Hierholzer, Jakob Hoffmann – von von Götz vom Piraten zum Pater gemacht – ist ein ausdrucksstarker Braccacio, während die Süße in der Stimme von Maria Rüssel als Lelia schlicht betörend ist.

© ETO GmbH/Dirk Rückschloß

Bestens disponiert zeigen sich auch die Damen und Herren des Opernchors des Eduard-von-Winterstein-Theaters, die unter der Leitung von Kristina Pernat Ščančar zu Höchstform auflaufen. Jens Georg Bachmann musiziert zusammen mit den Musikerinnen und Musikern der Erzgebirgischen Philharmonie Aue leidenschaftlich, schafft den Spagat zwischen romantischem Belcanto und liedhaften Passagen und präsentiert so ein Dirigat aus einem Guss.
Für künftige Produktionen empfehle ich deutliche Striche in der Musik und ein bisschen weniger Exorzismus im Regieansatz – Ihnen, lieber Opernfreundfreund, kann ich diese Rarität aber auch in dieser Form – als Traum im Traum – mit ruhigem Gewissen empfehlen.

Ihr
Jochen Rüth
20. Oktober 2024


Satanella oder Die Macht der Liebe
Oper von Michael William Balfe

Eduard-von-Winterstein-Theater Annaberg-Buchholz

Premiere: 19. Oktober 2024

Inszenierung und Ausstattung: Christian von Götz
Musikalische Leitung: Jens Georg Bachmann
Erzgebirgische Philharmonie Aue

Weiter Vorstellungen: 23. Oktober, 3., 17. und 30. November sowie 20. Dezember 2024