Meiningen: „Hexe Hillary geht in die Oper“, Peter Lund

© Christina Iberl

Hilfe, es ist passiert! Die Schreckvision aller Theater: Kurz vor der Premiere erkrankt die Hauptperson, Hexe Hillary. Was tun? Absage der Vorstellung? Nein – Meiningen kann einfach alles, auch zaubern. So schlüpft spontan Regisseurin Freya Gölitz in deren Rolle. Es ist ihre erste eigenständige Regie und nun darf sie zeigen, was sie drauf hat. Singen wird sie nicht, aber sprechen und hinreißend spielen, so dass sie die kleinen Besucher sofort fasziniert.

Man könnte diese Oper auch im großen Haus auf großer Bühne vor 300 Kindern spielen. Aber was ginge durch Distanz und Masse alles verloren? Stattdessen zog es Freya Gölitz und ihr Team ins Foyer des dritten Rangs. In gemütlicher Dachbodenatmosphäre sitzen die Kleinen (4-6+) auf Kissen fast mitten im quietschbunten Zuhause der Hexe Hillary. Die hängt gerade Wäsche auf und wippt zum neuesten Hexentanz, als sie aus dem Radio erfährt, dass sie zwei Karten für die Oper gewonnen hat. Zusammen mit Hausmaus Wülly, einem fiependen Plüschtier, rätselt sie, was Oper sein könnte. Auch das Publikum weiß nichts Genaues, nur dass das im Theater stattfände und „etwas für Opa und Oma sei…“ Doch in ihrem Zauberbuch findet sie den Hinweis auf die staatlich geprüfte Opernhexe Maria Bellacanta, die sie sich in Nullkommanix herzaubert. Anfänglich entrüstet über die „Herhexaktion“ nimmt diese sich jedoch souverän und temperamentvoll des unwissenden Grünschnabels an und erklärt, dass es keineswegs bescheuert sei, wenn Leute auf der Bühne nur singen und sie auch nicht ihre Sprache wegen eines „Singfluchs“ verloren hätten. Marianne Schechtel (Mezzosopran) ist als Expertin eine Autorität, der man abnimmt, was sie vermitteln will. So ködert sie Hillary zunächst mit dem Inhalt der „Zauberflöte“ und beweist ihr dann, dass Musik und Gesang Emotionen wie Freude, Wut, Trauer oder Sehnsucht transportieren können. Kaum ein Laut dringt aus dem Publikum, wenn sie Händels Klagelied aus der Oper „Rinaldo“ vorträgt und jeder sieht, wie ergriffen unsere junge Hexe ist. Ganz still ist es, wenn Wülly, die sich nicht wohl fühlt, am Abend mit dem Schlaflied aus „Hänsel und Gretel“ liebevoll zu Bett gebracht wird. Das Licht verändert sich, am blauen Nachthimmel leuchten Sterne, nichts wirkt verkitscht, sondern einfach nur tröstlich und geborgen.

© Christina Iberl

Dramaturgin Julia Terwald zeigt hier ein hohes Maß an Sensibilität, sie weiß um die feinen Antennen der Kinder für Gefühle und trifft eine kluge Auswahl an Arien aus verschiedenen Opern. So nebenbei wird Hillary auf ihren ersten Opernbesuch vorbereitet, wenn Maria Bellacanta ihr die verschiedenen Gesangsstimmen vorführt oder erklärt, was ein Komponist ist, was Noten sind. Dass man sich für einen Opernbesuch fein macht, ist die letzte Lektion: Ein bisschen Glitzer, ein bisschen Schmuck und dann wird es für die beiden höchste Zeit, denn aus der Ferne hört man schon, wie das Orchester sich einstimmt und die Ouvertüre der Zauberflöte. Voller Vorfreude eilen die beiden Hexen ins Theater.

Statt billiger Bespaßung erlebt man hier „große Kultur für kleine Ohren“ und trifft damit auch das Anliegen dieser Inszenierung. Nichts wirkt albern oder aufgesetzt, nichts banal oder oberlehrerhaft, sondern völlig natürlich, witzig und verblüffend einfach.  Es gibt keine Längen, niemand muss sich in diesen 45 Minuten langweilen und ist am Ende überrascht, wie schnell die Zeit vergangen ist. Man möchte jede Wette eingehen, dass viele Kinder jetzt liebend gern mit Hexe Hillary die „Zauberflöte“ besuchen würden.

Dies ist auch ein Verdienst der Pianistin Virginia Breitenstein, die gleich zu Beginn mit Schwung eine ganz besondere Ouvertüre hinlegt, Wüllys Fieppart übernimmt und die Arien begleitet. Dass Helge Ullmann Hillary in einer herrlich bunt zusammengewürfelten süßen Unordnung wohnen lässt, verleiht dem Stück ganz besonderen Charme. Und das gilt auch für die Kostüme. Zoé Wagner hat beide Damen entsprechend ihrem „Rang“ und Temperament ausstaffiert. Während die eine durchaus als kuriose Operndiva in dunklem Samt auftritt, trägt die andere einen von Kopf bis Fuß total ausgefallenen Mix, natürlich überwiegend in Rot, wie es sich für junge Hexen gehört.

© Christina Iberl

Maria Bellacanta führt alle mit so einer Begeisterung in die Welt der Oper ein, die ansteckend wirkt und bestimmt Neugier und Lust auf mehr weckt. Solche Schlüsselerlebnisse prägen und werden nachhaltig wirken.

Peter Lunds Stück für Kinder wurde 1997 in Berlin uraufgeführt und erlaubt viel Freiraum in der Inszenierung. Dass Freya Gölitz sich hier ganz bewusst auf zwei Personen in beschaulicher Atmosphäre konzentriert, schützt vor Reizüberflutung und Ablenkung. Begriffe und Inhalte sind gut austariert und werden spielerisch ins Publikum geworfen.

Mit der ersten Kinderoper ist dem Jungen Theater – Junge Musik ein kleines Juwel gelungen, das nicht nur die Kinder begeistert.

Schade, dass es nur wenige Vorstellungen gibt. Vielleicht lässt sich da noch etwas machen!

Inge Kutsche, 20. Oktober 2024


Hexe Hillary geht in die Oper
Kinderoper von Peter Lund

Staatstheater Meiningen

Besuchte Premiere am 17. Oktober 2024

Regie: Freya Gölitz
Dramaturgie: Julia Terwald, Henning Bakker
Klavier: Virginia Breitenstein

Weitere Vorstellungen: 24. Oktober 2024 | 4., 9. und 10. Januar 2025