Eine Überraschung ist es nicht, dass es nach zehn Jahren in Hannover wieder eine Neuinszenierung von Leoncavallos „Pagliacci“ gibt; überraschend ist dann aber doch, dass die Oper allein aufgeführt wird, ohne den „Zwilling“, Mascagnis „Cavalleria rusticana“, oder eine andere Kurzoper. Das mag wohl auch daran liegen, dass die Staatsoper den gerademal 75 Minuten langen „Bajazzo“ während der Spielzeit öfter in der neuen After-Work-Reihe aufführen will, wenn die Anfangszeit früher als üblich ist, so dass auch noch nach der Aufführung Zeit zur Reflektion bleibt.
Das Regieteam um Dirk Schmeding sowie Bühnen- und Kostümbildner Ralf Käselau und Pascal Seibicke haben mit ihrer turbulenten Neuinszenierung den Titel „Pagliacci“ insofern ernst genommen, als man ihn auch mit „Clowns“ übersetzen kann. So findet alles in einem schäbigen, heruntergekommenen Zirkus statt, bei dem die in Schieflage geratene Manege in der Mitte ein breites Loch aufweist, in dem ein rot gestrichenes Klavier abgesackt ist. Die Zirkuswelt wird auch dadurch verdeutlicht, dass zweimal die Artisten Alexander Bohnhorst und Zipporah Raskop gekonnt ihre Kunststücke vorführen (Choreografie: Annika Dickel). Die männlichen Protagonisten außer Silvio tragen von Beginn an ihr Clownskostüm, sodass jedenfalls Canio nicht mehr zwischen Spiel und Realität unterscheiden kann. So recht kann das nicht einleuchten, denn die Realität bricht ja gerade erst später brutal in das Commedia-dell-Arte-Spiel ein. Dazu soll wohl auch passen, dass Tonio zu seinem Prolog mit Perücke und Frauen-Kittel bekleidet ist. So manches ist überflüssig oder übertreibt zusätzlich die Turbulenz des Geschehens wie beispielsweise die Szene, wenn Nedda grüne Clownskittel auf die Lichterschnur hängt, die später von einigen Choristen übergezogen werden; oder wenn zweimal auf ein großes mit Luftballons gefülltes Netz ein grimassierendes Clownsgesicht projiziert wird, das italienische Gedanken über das Bühnengeschehen spricht (Videoprojektionen: Philipp Contag-Lada). Ebenso ist unverständlich, dass Canio nach seinem großen Monolog mit einem Beil den Bühnenboden aufschlägt und aus der Erde einen Totenschädel ausgräbt und betrachtet. Insgesamt hat man außerdem den Eindruck, dass die echten Gefühle der handelnden Personen nicht ganz ernst genommen werden, wenn z. B. das schöne Duett Nedda/Silvio in kitschiges rotes Licht getaucht wird oder Canio ganz am Schluss nach der Tötung des Liebespaars dem Publikum auf der Bühne mit einem kleinen Fähnchen beruhigend zuwinkt, als ob auch das alles nur Spiel war.
Die musikalische Verwirklichung konnte insgesamt gut gefallen; vor allem überzeugte das Niedersächsische Staatsorchester Hannover mit ausgezeichneten Leistungen in allen Instrumenten-Gruppen. Die Gesamtleitung hatte der neue 1. Kapellmester des Hauses Mario Hartmuth, der mit deutlicher Zeichengebung für die erforderliche Dramatik und vorwärtsdrängenden Schwung sorgte. Dabei hätte er allerdings ein wenig mehr darauf achten müssen, dass die lyrischen Szenen angemessen ausgedeutet werden. Denn vieles war schlicht zu laut, was vielleicht auch daran lag, dass die stimmkräftigen Sängerinnen und Sänger nicht hinreichend dynamisch differenzierten. Mit durchgehend lebhaftem Spiel und seinem in allen Lagen starken Tenor füllte der russisch-amerikanische Gast-Sänger Viktor Antipenko die Partie des betrogenen Canio aus. Von besonderer Güte war wieder aus dem hannoverschen Ensemble Barno Ismatulllaeva, die mit intonationsreinen Spitzentönen und in bestem Legato ausgesungenen Passagen aufwartete. Dazu passte gut der abgerundete Bariton von Darwin Prakash als Silvio. Der amerikanische Bariton Daniel Scofield gestaltete als Gast den intriganten Tonio glaubhaft; mit permanent starker Stimmkraft präsentierte er den Prolog. Klarstimmig gab Pawel Brozek einen munteren Peppe; die Chorsolisten Henri Tikkanen und Eungdae Han ergänzten ohne Fehl. Trotz des wirbeligen Spiels als aufgeregtes Publikum gefiel der von Lorenzo da Rio einstudierte Staatsopernchor durch ausgewogenen, machtvollen Chorklang.
Die Begeisterung des Publikums wollte kein Ende nehmen und entlud sich in starkem Beifall für alle Mitwirkenden und das Regieteam.
Gerhard Eckels, 26. Oktober 2024
Der Bajazzo
Ruggero Leoncavallo
Staatsoper Hannover
Premiere am 25. Oktober 2024
Inszenierung: Dirk Schmeding
Musikalische Leitung: Mario Hartmuth
Niedersächsisches Staatsorchester Hannover
Weitere Vorstellungen: 1., 3., 13., 29. November + 7., 10., 14., 29. Dezember 2024 und öfter im Jahr 2025