Stuttgart: „Salome“, Richard Strauss

© Martin Sigmund

Seit einiger Zeit steht an der Staatsoper Stuttgart wieder Strauss‘ Oper Salome auf dem Spielplan. Die Regie und die Kostüme besorgte Kirill Serebrennikov, für das gelungene Bühnenbild zeichnete Pierre Jorge Gonzales verantwortlich. Die Aufführung geriet zu einem spannungsgeladenen Opernabend, der von einem gut durchdachten modernen Konzept und einer stringenten Personenregie geprägt war.

In Serebrennikovs gelungener Inszenierung sind zahlreiche Fäden geschickt miteinander verwoben. Dem Publikum erschließen sich mannigfaltige Eindrücke. Offenkundig wird die Vorliebe des Regisseurs für das Medium Film, das er fast ständig bemüht. Gekonnt setzt er auf einen knallharten Realismus und verortet das dramatische Geschehen in das Umfeld des islamischen Staates. Der Vorhang ist von Anfang an offen. Noch während die Besucher ihre Plätze einnehmen, flimmern über eine im hinteren Teil der Bühne angebrachte Leinwand Videos von blankem Terror und nackter Gewalt. Radikal hält die Welt des islamischen Schreckens Einzug in das herrschaftliche, kühl und nüchtern anmutende Domizil der Familie Herodes. Das war zur Zeit der Premiere im Jahre 2015 hoch aktuell und atmet auch heute noch zeitgenössische Relevanz. Nachhaltig wird das Auditorium mit Originalaufnahmen von Nachrichtensendungen konfrontiert, die diese Gräuel in alle Welt tragen. Auch die derartige böse Umtriebe rigoros anprangernde deutsche Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel ist zu sehen. Der frisch gewählte, designierte US-Präsident Donald Trump fehlt ebenfalls nicht. Zudem erblickt man ein Boot voller Flüchtlinge. Den Höhepunkt dieser Bilder stellt eine Massenhinrichtung dar. Der Terror ist uns nahe. Er berührt uns unmittelbar. Er geht uns alle an. Man kann sich ihm nicht entziehen. Nicht einmal das eigene Haus bietet Sicherheit.

Dessen ist sich auch der in einem schicken Anzug auftretende Herodes bewusst. Sein herrschaftliches Anwesen ließ er zuvor vorsichtshalber in einen Hochsicherheitstrakt umbauen. Überall erblickt man Überwachungskameras, die keinen Winkel der Villa unbeaufsichtigt lassen und den Gästen des Tetrarchen nachspüren. Herodes und seine dekadentem Wohlstand huldigende Familie – zu seiner Ehefrau Herodias befindet er sich in einer Beziehung bewussten Nichtverstehens – leben in ständiger Angst vor Anschlägen. Immer wieder dringen über die aufgestellten Monitore aktuelle Schreckensmeldungen herein. Die Furcht vor dem IS hat durchaus seine Berechtigung. Narraboth und der Page der Herodias sind Angehörige eines zeitgenössischen Sicherheitsdienstes, der gänzlich mit Arbeit ausgelastet ist. Ihm obliegt die Aufgabe, über Bildschirme die ganze Villa im Auge zu behalten und für deren Sicherheit Sorge zu tragen. Narraboth begeht bei Serebrennikov nicht Selbstmord, sondern wird von einem seiner Untergebenen erschossen. Und dass erst lange nach der von Strauss vorgesehenen Stelle. An der rechten Wand ist ein riesiger Ring angebracht, der von den Handlungsträgern immer nur Mond genannt wird. Die von Serebrennikov als Bodyguards vorgeführten Soldaten haben ebenfalls die Aufgabe, den Schutz des Hauses zu garantieren. Die beiden Nazarener fungieren als Kellner bei Herodes‘ Festmahl.

© Martin Sigmund

Den Zuschauern offenbart sich ein von Gewalttätigkeiten beherrschtes Ambiente, das den beteiligten Personen sicher nicht unbekannt ist. Herodes‘ Herrschaft wird gleichfalls von grausamer Härte dominiert. Die sprichwörtliche Knute benutzt er anscheinend recht oft. Da verwundert es nicht weiter, dass Salome mit Tod und Gewalt vertraut ist. Man kann nachvollziehen, dass das Geheimnis der Liebe für sie größer ist als das Geheimnis des Todes. Letzterem ist sie ständig ausgesetzt. In ihrem schwarzen Kapuzenpulli wirkt sie alles andere als erotisch. Der Schleiertanz, in dem sich in dieser Produktion nicht die Tochter des Hauses auszieht, sondern einige der Gäste sich bis auf die Unterwäsche entkleiden und ein ausgelassenes Tänzchen aufführen,  bezieht der Regisseur nicht auf Salome, sondern vielmehr auf Herodes. Derart zeigt er die Sehnsüchte und Wünsche des jüdischen Tetrarchen auf. In seiner Vorstellung bringt dieser sogar seine Gattin Herodias um. Salome erscheint ihm als Gestalt mit Engelsflügeln, die er am Endes ihres Tanzes heftig küsst. Diese Szene ist mithin nicht real zu deuten, sondern stellt einen Ausfluss seiner nach Liebe und Sexorgien gierenden Phantasie dar. Innerhalb dieses ganz aus dem Inneren heraus entwickelten Bildes kommt der Psychoanalyse zentrale Relevanz zu. Sigmund Freud lässt grüßen.

Herodes‘ Kopfgeburten bleiben indes Luftschlösser. Die von ihm herbeigesehnte Harmonie tritt nicht ein. Das ist schon mit Blick auf den prominenten Gefangenen nicht möglich. Klar ersichtlich wird, dass er mit der Verhaftung Jochanaans ein Eigentor geschossen hat, das der Etablierung von friedlichen Verhältnissen diametral entgegengesetzt ist. Bei Serebrennikov stellt der Prophet einen fanatischen moslemischen Prediger dar. Mit Blick auf den Fakt, dass Salome ihn total auf seine Körperlichkeit reduziert, spaltet er ihn zudem noch in eine Stimme und einen Körper auf. Die von Jochannan mit imposanter Stimme in die Welt hinausgeschrienen Hasstiraden sind einem Schauspieler anvertraut, den Gesang besorgt natürlich ein Sänger. Der Text erscheint sowohl in deutscher als auch in hebräischer Sprache auf einer Hinterwand. Der Schluss des Ganzen, wo Herodes befiehlt, Salome zu töten, entspringt womöglich ebenfalls nur dem Hirn des Tetrarchen. Ob der mit einer Pistole versehene Sicherheitsbeamte Salome töten wird, bleibt jedenfalls offen. Was Serebrennikov hier auf die Bühne gebracht hat, war ein wahres Meisterstück in Sachen hochspannenden Musiktheaters. Daran hatte auch die szenische Leiterin der Wiederaufnahme Sophia Binder regen Anteil. Das ist eine der besten Salome-Inszenierungen, die es derzeit auf den deutschen Bühnen gibt.

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Im Orchestergraben badete Dirigent Tomás Hanus genüsslich in den gewaltigen Klangwogen, die er dem bestens disponierten und sehr intensiv aufspielenden Staatsorchester Stuttgart entlockte. Die Strukturen von Strauss‘ genialer Partitur wurden von ihm mit großer Akribie offen gelegt und die zahlreichen Leitmotive gekonnt herausgestellt. Dabei deckte er die Sänger nie zu.

Eine phantastische Leistung erbrachte Simone Schneider als Salome. Mit wunderbar strahlkräftigem, hervorragend italienisch geschultem und immer mehr ins hochdramatische Fach hineinwachsenden Sopran, der sowohl über eine durchschlagskräftige Höhe als auch eine profunde Tiefe verfügt, zog sie alle Facetten ihrer schwierigen Partie, der sie auch darstellerisch voll und ganz entsprach. Jetzt würde man sich von ihr auch die Isolde sowie die Walküren– und die Götterdämmerung-Brünnhilde wünschen. Mit der Stimme von Jochannan unternahm der Bassist David Steffens einen ersten Schritt in das Fach des Heldenbaritons. Und der war sehr gelungen. Mit ebenfalls vorbildlich italienisch fundierter, sonorer und ausdrucksstarker Stimme, die er geradlinig und ebenmäßig zu führen verstand, zeichnete er ein eindrucksvolles Rollenportrait des Propheten. Als Jochanaans Körper war der Schauspieler Luis Hergón zu erleben. Kraftvoll und schön im Körper sang Gerhard Siegel einen ansprechenden Herodes. Sophie Koch machte aus der Herodias nicht die konventionelle keifende Zicke, sondern lieh ihr schöne, tiefgründige Mezzo-Töne. Dem Narraboth von Moritz Kallenberg mangelte es erheblich an der erforderlichen Körperstütze seines dünnen Tenors. Ein angenehm intonierender Page war Lana Maletic. Mit phantastischem, sonorem und farbenreichem Bass verkündete der Erste Nazarener von Michael Nagl die Wundertaten Christi. Nicht zu gefallen vermochte Jacobo Ochoas sehr halsig klingender Zweiter Nazarener. Jasper Leever und Aleksander Myrling waren die solide singenden beiden Soldaten. Gutes und weniger Gutes vernahm man bei dem aus Torsten Hofmann, Heinz Göhrig, Leopold Bier, Eleazar Rodriguez und Andrew Bogard bestehenden Juden-Quintett. Einen ordentlichen Kappadozier gab Marius-Sebastian Aron. Dem Sklaven lieh Elena Salvatori ihren Sopran.

Ludwig Steinbach, 11. November 2024


Salome
Richard Strauss

Staatsoper Stuttgart

Premiere: 22. November 2015
Besuchte Aufführung: 9. November 2024

Inszenierung: Krill Serebrennikov
Musikalische Leitung: Tomás Hanus
Staatsorchester Stuttgart