Wuppertal, Konzert: „Ives, Strauss, Rott“, Sinfonieorchester Wuppertal unter Patrick Hahn

Charles Ives hat sich für seine Komposition eine Zeile aus dem Gedicht Die Sphinx von Ralph Waldo Emerson als Programm gewählt. Die Sphinx beherrscht die Kunst der unbeantworteten Frage. Vier Jahre, nachdem er als Kirchenmusiker seine Tätigkeit beendet hatte und schon als Versicherungskaufmann sein Geld verdiente, hat er das kurze Stück (6 Minuten) komponiert, welches eines seiner bekanntesten werden und auch als Filmmusik (Lola rennt) weite Verbreitung finden sollte. Die ungewöhnliche Originalbesetzung (4 Flöten, Trompete und Streichquartett) wurde hier eindrucksvoll geändert, weil statt Streichquartett das riesige Sinfonieorchester schon für Zarathustra auf der Bühne saß. Die tiefen Streicher begannen, fast unhörbar, obwohl bald ergänzt von allen Violinen, eine sehr, sehr leisen Klangteppich auszurollen, bis sich makellos die Solo-Trompete vernehmen ließ, zunächst ruhig, dann ausgiebiger, später auch drängender. Auf diese Einwürfe antworteten die vier Flöten, hoch oben auf der Chorempore stehend, Dissonanzen in ihrer Antwort nicht nicht vermeidend, und im Verlauf aufgeregter, bis am Ende das musikalische All kaum hörbar übrigblieb.

Nach letzter Frage gab es hier leider keine Stille in ungestörter Einsamkeit, wie vom Komponisten vorgesehen, sondern ohne Pause startete übergangslos der Sonnenaufgang Zarathustras von Richard Strauss. Er wurde später Präsident der Reichsmusikkammer und laut Thomas Mann Hitlerkomponist schrieb Zarathustra 1896, also 40 Jahre vor seiner Hymne für die Berliner Olympischen Spiel. Seiner Rezeption hat das alles nicht geschadet.  Trotz alledem komponierte er bei Zarathustra Es werde Licht und heute beim Konzert wurde es, als sich über leisen tremolierenden Kontrabässen mehrfach getrieben von engagierter Pauke das gewaltige, große Crescendo goldenen Blechs auftürmte zuletzt gekrönt in strahlendem C-Dur von der mächtigen Orgel. Klanglich gelang dieser lauteste Sonnenaufgang der Musikgeschichte aber eher matt.

Vor Jahrzehnten haben wir, damals junge Musikenthusiasten, die Qualität der Boxen der ersten Stereoanlage damit getestet. Auch diese Musik diente als Filmmusik, passend zu Stanley Kubricks 2001 Odyssee im Weltraum.  In den neun Episoden (im Programm ausgedruckt) werden Zarathustras Leidenschaften, Sehnsüchte, sein Tanzlied und vieles andere musikalisch ausgebreitet und ausgedeutet. Um Musikphilosophie handelt es sich dabei eher nicht, aber um ein sehr lebendiges Fest der Sinne. Bei der hochkomplexen Partitur (oft geteilte Streicher, viele solistische Episoden) spielte das Orchester mit großer Spielfreude, walzte klangreich, stets durchsichtig, hoch musikalisch unter der exakten Stabführung von Patrick Hahn bis zum verhaltenen Schluss unter hohen Holzbläsern. Jetzt breitete sich ergriffene Stille aus vor großem Applaus.

Von Johannes Brahms gehasst, von Gustav Mahler bewundert, von Anton Bruckner geliebt, war im Programm zu lesen. Mit Gustav Mahler zusammen hatte er Kompositionsunterricht bei Anton Bruckner. Johannes Brahms fand viel Triviales oder Unsinniges in der Komposition. Auf dem Weg nach Mühlhausen im Elsass hinderte Hans Rott 1880 einen Mitreisenden mit gezogener Pistole am Rauchen, war überzeugt, Brahms habe den Waggon mit Dynamit gefüllt. Er wurde eingewiesen in die Psychiatrische Klinik des Wiener Allgemeinen Krankenhaus, wo er rund 6 Wochen später versucht hat, sich zu erhängen. Die Diagnose lautete Verrücktheit, halluzinatorischer Verfolgungswahn. Am 23 Juni 1884 verstarb der sicherlich begabte Komponist mit 27 Jahren an Tuberkulose. Sein Werk hatte er zum Teil vernichtet. Die Sinfonie wurde erst 1989 in Cincinnati uraufgeführt. Leider war der Konzertblog des Sinfonieorchesters, in dem mehr über diese Tragödie der Musikgeschichte im zu erfahren gewesen wäre über den QR-Code im Abendprogramm nicht zu erreichen.

© Johannes Vesper

Seine Sinfonie begann mit großem Trompetenruf zu dezentem Holzbläserchor über hingeworfenem Pizzicato der Streicher. Steigerungen erfolgten kompositorisch eher einfach klingend über Orgelpunkten, die anscheinend als kompositorisches Prinzip immer und immer wieder auch in den Folgesätzen auftauchten. Im sehr langsamen 2. Satz belebte ein schönes Bratschensolo das musikalische Geschehen. Vom Schwung des ¾ Takts und den Quarten des Blechs im 3. Satz hat sich Gustav Mahler dann einige Jahre später inspirieren lassen. Trotz langen, wie prächtigen Violinsolos (Nikolai Mindchev) zum Pizzicato tiefer Streicher, trotz vieler Töne, trotz Orchesterfuge und Wanderung durch Tonarten mochte der Eindruck von Banalität und Flachheit dieser Musik im Gefolge von Wagner und Bruckner nicht verfliegen. Immerhin endete der Satz schwungvoll. Der belebte letzte Satz lies nach sehr langsamer Einleitung die Holzbläser (Fagott und Horn Ruf) erschallen. Immer wieder bestimmten vage Choralklänge über Orgelpunkten den Eindruck. Trotz Themen- und Szenenwechsel, trotz erneuter kontrapunktisch daherkommender Fuge ließ auch der letzte Satz jeden Eindruck von Gänsehautmusik missen. Immerhin schien die sinfonische Orchestersprache das Publikum zu beeindrucken. Nach verhaltenem Schluss gab es frenetischen, jubelnden Applaus für Patrick Hahn. Seinetwegen ist ja auch ein Teil des Publikums abonniert. Unter Blumen und Bravi für den Dirigenten ging dieses denkwürdige Konzert mit seinem interessanten Programm zu Ende.

Johannes Vesper 19. März 2025

Lieben Dank an unsere Freunde von den Musenblättern


Charles Ives (1874-1954)„The Unanswered Question“
Richard Strauss (1864-1949): „Also sprach Zarathustra“
Hans Rott(1858-1884): Sinfonie Nr. 1 E-Dur.

7. Sinfoniekonzert der 162. Saison
Stadthalle Wuppertal

16. März 2025

Leitung: Patrick Hahn.
Sinfonieorchester Wuppertal