Bonn: „Der Liebestrank“, Gaetano Donizetti

Der Regieeinfall, Donizettis Liebestrank als Comic zu zeigen und in eine Rahmenhandlung mit Reflektionen des Gottes Amor über das Wesen der Liebe einzufügen, ist in Bonn voll aufgegangen. Mit den bewegten Cartoons von Joshua Held, die das Bühnenbild ersetzten und Gedanken und Gefühle der Protagonisten mit Sprechblasen illustrierten entfaltete Kapellmeister Hermes Helfricht ein Belcanto-Feuerwerk. Katerina von Bennigsen als Adina und Santiago Sánchez als Nemorino überzeugten auf der ganzen Linie als Liebespaar. Das Premierenpublikum sparte nicht mit Applaus und langanhaltenden Beifall.

© Bettina Stöß

L’elisir d’amore – komische Oper von Gaetano Donizetti, am 12. Mai 1832 im Teatro della Conobbiana in Mailand uraufgeführt – ist wohl Donizettis erfolgreichstes Bühnenwerk, das zu den zwölf meistgespielten Opern überhaupt gehört. Inszenierungen dieser Oper halten sich erstaunlich lange auf dem Spielplan der großen Häuser und werden immer wieder mit neuer Starbesetzung aufgelegt. Es ist mehr als eine Komödie, es ist eine Parabel über den Mythos der Liebe, die gesellschaftliche Barrieren überwindet. Die mittelalterliche Sage von Tristan und Isolde des Gottfried von Straßburg hat Richard Wagner zu seiner 1859 uraufgeführten Oper Tristan und Isolde inspiriert, in der ein Liebestrank das Paar zu einer alles vergessen machenden Liebe bis in den Tod führt.

Die junge Regisseurin Maren Schäfer holt die Handlung kurzerhand in die Welt des Cartoons. Dadurch abstrahiert sie von Ort und Zeit. Soziale Unterschiede werden nivelliert, aber Adina ist zweifellos eine nüchterne Intellektuelle, die sich über die Liebe zwischen Tristan und Isolde lustig macht, während Nemorino ein naiver Romantiker ist, der sein Herz längst an Adina verloren hat und an die wahre Liebe glaubt. Vergeblich betet er Adina an und schwärmt von ihren Reizen, aber sie nimmt ihn einfach nicht wahr. Bühnenbild und Kostüme von Sebastian Ellrich sind denkbar einfach: Die Bühne wird beherrscht von einem weißen Zeichenblatt, auf dem durch bewegte Federzeichnungen wesentliche Attribute der Handlung dargestellt werden, zum Beispiel die riesige Hochzeitstorte, die symbolisiert, dass Adina den Reizen des forschen Offiziers Belcore sehr schnell erlegen ist und ihn heiraten will. Die Tuschezeichnungen werden durch Videotechnik von Clemens Malinowski animiert und zeigen zum Beispiel, wie der Luftwaffenoffizier Belcore mit einem Fallschirm einschwebt.

Nemorino sucht in seiner Verzweiflung den Rat des durchreisenden Quacksalbers Dulcamara, der den Dorfbewohnern Mittelchen aller Art gegen Ungeziefer, Falten, Zipperlein, Unfruchtbarkeit und Impotenz verkauft. Als Nemorino nach einem Liebestrank fragt, verkauft Dulcamara ihm eine Flasche Bordeaux als Trank, der erst in 24 Stunden wirkt. Belcore bekommt per Telefon den Befehl, am nächsten Morgen schon weiterzuziehen. Daher wird die Hochzeit für denselben Abend angesetzt. In seiner Verzweiflung lässt sich Nemorino von Belcore als Soldat anwerben, um einen sofort wirkenden Liebestrank bezahlen zu können. Seine Liebe ist ihm so wichtig, dass er seine Freiheit opfert und als Soldat sein Leben dafür riskiert. Adina verschiebt die Hochzeit, weil Nemorino nicht da ist.

Am anderen Morgen sind die Frauen wie ausgewechselt: Adinas Freundin Giannetta hat erzählt, Nemorinos reicher Onkel sei gestorben und habe ihm ein unermessliches Vermögen hinterlassen. Plötzlich wird der hübsche Junge zum begehrten Junggesellen, dem alle Mädchen schöne Augen machen. Nemorino führt das auf den Liebestrank zurück. Adina, die vom Erbe noch nichts weiß, merkt auf einmal, dass sie nur eine unter vielen ist. Dulcamara gießt Öl ins Feuer – er will auch ihr einen Liebestrank verkaufen – aber Adina ist sich sicher, dass sie Nemorinos Herz allein mit ihren Verführungskünsten für sich gewinnen kann. Sie durchschaut als einzige Dulcamaras Spiel.

Nemorino ist für Santiago Sánchez eine ideale Partie, denn mit seiner jugendlichen Erscheinung meisterte er mit wunderbarem Legato und berückendem Schmelz als Mozart-erfahrener lyrischer Tenor die Klippen seiner Partie als naiver in Liebe entflammter junger Mann. Der Allzeit-Hit „Una furtiva Lacrima“, in dem Nemorinos Bereitschaft, für einen Moment der Zuwendung Adinas sein Leben zu lassen, mit der Hoffnung, dass sie ihn tatsächlich jetzt liebt, zusammentrifft, war reine Magie vor dem Hintergrund des Sternenhimmels.

© Bettina Stöß

Adina hat von Anfang an mehr formale Bildung, aber weniger Herz. Sie glaubt nicht an Liebestränke und legt Wert auf ihre Unabhängigkeit. Katerina von Bennigsen war eine anfangs sehr emanzipierte, nüchterne, dann aber später umso heftiger entflammte Adina, die mit äußerst flexiblem lyrischem Koloratursopran die Wandlung von der eiskalten Flirterin zur ehrlich liebenden Frau glaubhaft machte. Sie ahnt, dass Nemorino eine Art von Liebe empfindet, die sie nicht kannte, die aber Gottfried von Straßburg bereits Tristan und Isolde zugeschrieben hat. Sie kauft Belcore den Werbevertrag Nemorinos zur Armee, quasi einen Selbstmordvertrag, ab, und ihre Arie „Prendi, per me sei libero“ kann als Schlüsselstelle des Werks gesehen werden. Ihre Liebe zu Nemorino äußert sie in überbordenden Koloraturen, die sich im Duett mit Nemorino noch steigern. Mit den beiden perfekt harmonierenden Stimmen offenbarte sich der Höhenflug einer glücklichen Liebe, es entstand Opernglück. So deutet Donizetti hier den Mythos der bedingungslosen Liebe an, den Wagner später in Tristan und Isolde unsterblich machen sollte.

Giorgos Kanaris gab mit flexiblem, volltönendem Bariton und mit Augenzwinkern den forschen Belcore, den er bereits 2010 in der Inszenierung von Vera Nemirova in der Bonner Oper als schneidigen, eitlen Offizier und Womanizer verkörpert hatte. Am Ende ist er ein lässiger Verlierer und hat schon ein Auge auf Giannetta (Carolyn Holt), Adinas Freundin, geworfen.

Als Dulcamara hat man Enrico Marabelli als Gast verpflichtet, der der attraktiven Buffo-Partie nichts schuldig blieb. Mit großer Spielfreude und hinreißender Italianità pries er seine Spezialitäten an: „Udite, udite, o rustici“ und beschrieb im Duett mit Adina „Io son rico, e tu sei bella“ den Lauf der Welt, wenn es um Vernunftehen geht. Dulcamara ist als Amor Katalysator der Handlung, der seine Pfeile nach dem Zufallsprinzip, aber hier im Sinne Nemorinos verschießt.

Der von André Kellinghaus perfekt einstudierte Chor, der viele Arien und Ensembles kommentierte, konnte als Dorfbewohner und Hochzeitsgäste glänzen, und Hermes Helfricht leitete das mit das mit den Cartoons synchron aufspielende Beethoven Orchester. Das Premierenpublikum bedachte die quirlige und spritzige Komödie mit stehenden Ovationen.

Es begann mit einem bühnenfüllenden Film: Der Schauspieler Alois Reinhardt in Nahaufnahme als Amor vor einer Bücherwand, der sich zum Zeichnen eine Feder aus den Flügeln zieht, begann mit Reflektionen über die Liebe mit einer neuen Zeichengeschichte, die in das Vorspiel überging. Die gezeichneten Personen, gestylt wie Cartoon-Figuren, singen nicht nur, sondern werden auch mit Sprechblasen, die in Bildern und Worten die Gedanken der Personen visualisieren, charakterisiert. Am Anfang sah es aus, als sei es etwas textlastig, aber vor dem Hintergrund der Story der Frau zwischen zwei Männern, die gerade noch rechtzeitig ihrem Herzen folgt, war man von der Handlung gefesselt. Mit dem scharfen Auge eines Karikaturisten und mit Donizettis Musik schafften es Maren Schäfer und Joshua Held, das Wesen der Liebe zu anzudeuten.

Das Stück ist aufgrund des Mediums „Cartoon mit Musik“ für Menschen aller Altersgruppen bedingungslos geeignet und ohne Vorkenntnisse verständlich!

Ursula Hartlapp-Lindemeyer, 20. März 2025

Dank an unsere Freunde vom OPERNMAGAZIN


Der Liebestrank
Gaetano Donizetti

Oper Bonn

Premiere am 16. März 2025

Regie: Maren Schäfer 
Dirigat: Hermes Helfricht
Beethoven Orchester Bonn