Es gilt als eines der erfolgreichsten Musicals überhaupt. Frederick Loewes (Musik) und Alan Jay Lerners (Libretto und Songtexte) „My fair Lady“, das 1956 im Mark Hellinger Theatre in New York das Bühnenlicht der Welt erblickte, frei nach „Pygmalion“ von George Bernhard Shaw.
Das Musical spielt in London um 1912 und handelt vom Aufstieg der Blumenverkäuferin Eliza Doolittle, die nur Cockney spricht. Der Sprachforscher Professor Higgins trifft zufällig auf sie und wettet im weiteren Verlauf mit seinem Freund Oberst Pickering, dass er mit Hilfe seiner linguistischen Kenntnisse Eliza binnen weniger Monate in eine Dame verwandelt, die von höheren Kreisen anerkannt wird.
Die Idee zu diesem Musical stammte von Gabriel Pascal. Er hatte Mitte der 1930er Jahre die Rechte an einigen Shaw-Stücken erworben und 1938 den Film „Pygmalion – Der Roman eines Blumenmädchens“ produziert.
Das Musical ist eine Adaption der am 16. Oktober 1913 im Wiener Burgtheater (in deutscher Übersetzung) uraufgeführten Komödie Pygmalion von George Bernard Shaw, die ihrerseits die Geschichte des antiken Pygmalion-Mythos aus Ovids „Metamorphosen“ erzählt, in der sich der antike Bildhauer Pygmalion in eine von ihm geschaffene lebensechte Statue verliebt, die von der Liebesgöttin Venus zum Leben erweckt wird.

Die Handlung des prominent verfilmten Musicals ist allbekannt: Professor Higgins, ein angesehener Philologe und Phonetiker, trifft in London nach einem Opernbesuch in Covent Garden auf dem nahegelegenen Blumenmarkt auf die Blumenverkäuferin Eliza Doolittle. Ihre kraftvoll-vulgäre Sprache, die in der englischen Fassung mit starkem Cockney-Dialekt, in der deutschen Version oft mit Berlinerisch oder Wienerisch (in Dessau berlinert sie), durchsetzt ist, nimmt er als Beispiel für die Deformierung der Muttersprache. Higgins glaubt, dass der Mensch sich weder über Kleidung noch über nicht über soziale Herkunft, sondern vor allem über seine Sprache, seinen Sprachgebrauch definiere; selbst ein Blumenmädchen wie Eliza, so Higgins, könne ihren Stand verbessern und eine anerkannte Dame sein, sogar einen respektablen Blumenladen führen, sofern sie richtiges Englisch spräche. Dr. Higgins ist nicht gerade zimperlich in seiner Arroganz: er mokiert sich über Elizas „Rinnsteinjargon“, spricht gar von „Muttersprachenmord“. Das „entzückend ordinäre“ Mädchen, eine echte „Rinnsteinpflanze“ ist für ihn lediglich Studien- und Wettobjekt. Prof. Higgins und sein Freund Oberst Pickering wollen innerhalb von sechs Monaten aus ihr eine feine Dame machen – mittels kultiviertem Sprachtraining, das Eliza helfen soll, ihre dialektschwere Mundart in die Hochsprache zu überführen.
Eliza bekommt ein Zimmer in seinem Haus zugewiesen, und es beginnt eine schwere Lehrzeit bei dem eingefleischten Junggesellen. Eliza muss von morgens bis abends sprechen üben, wird von Higgins ruppig und herablassend behandelt, sodass der Unterricht eher einer Dressur gleicht. Sie fühlt sich von ihrem Lehrer degradiert, der in ihr nur sein eigenes Kunstwerk bewundert. Endlich gelingt Eliza der phonetische Durchbruch: Sie spricht „g“ statt „j“, „ei“ statt „e“ und nicht „i“, sondern „ü“ (Der bekannteste Song des Stück lautet denn auch „Es grünt so grün, wen Spaniens Blüten blühen“) Dies wird euphorisch gefeiert. Nun muss Eliza den Testlauf in der feinen Gesellschaft bestehen. Professor Higgins und Colonel Pickering wählen das Pferderennen in Ascot aus. Eliza erhält strenge Vorgaben für die Konversation; ihr wird erlaubt, über das Wetter und die Gesundheit zu sprechen. Doch auch diese scheinbar unverfänglichen Themen bergen ihre Tücken, so berichtet Eliza der feinen Gesellschaft im besten Englisch, dass ihre Tante „abgemurkst“ worden sei. Wenig später schockiert sie das Publikum, indem sie beim Rennen ihr Pferd mit dem Ausruf: „Lauf schneller, oder ich streu‘ dir Pfeffer in den Arsch!“ anfeuert.

Ihr unkonventionelles Auftreten in Ascot beschert ihr einen Verehrer aus besseren Kreisen: Freddy Eynsford-Hill ist sehr angetan von der hübschen und erfrischenden Eliza. Es ist zunächst das Pferderennen in Ascot und dann ein Diplomatenball im Buckingham Palace. Das Experiment glückt. Eliza lernt, dialektfrei zu sprechen und bewährt sich in der feinen Gesellschaft. Fällt sie zunächst durch ihr unkonventionelles Verhalten auf – was ihr nicht nur Spott, sondern auch einen jungen, gut situierten Verehrer namens Freddy Eynsford-Hill (er wird sie später heiraten) beschert, kann sie auf dem Diplomatenball ihr Können unter Beweis stellen. Erst als sie beschließt, wegzugehen, erkennt Higgins seine Zuneigung zu ihr und versucht, Eliza zurückzugewinnen.
Die ursprüngliche Orchestrierung von Robert Russell Bennett und Philip J. Lang ist für die Wiederaufführung am Royal National Theatre (London) vom Musicalproduzenten Cameron Mackintosh William David Brohn erweitert worden. Inzwischen Heute kommt einem die Musik, in welcher Fassung auch immer, harmlos, bieder und gefällig vor. Sie ist in die Jahre gekommen.
Die Uraufführung fand am 15. März 1956 mit Julie Andrews als Eliza und Rex Harrison als Professor Higgins im Mark Hellinger Theatre am Broadway in New York statt. Dort wurde es bis zum 29. September 1962 gespielt und brachte es dabei auf 2.717 Vorstellungen und umgerechnet über 80 Millionen Mark Einnahmen. Allein von den ersten zwei Jahren der Aufführung betrugen sie umgerechnet 1,9 Millionen Mark. Columbia Records veröffentlichte eine LP mit Liedern aus der Aufführung, von der sich bereits bis zum Start des Kinofilms über 3,5 Millionen Exemplare verkauften. Frederick Loewe wurde allein von den Tantiemen der Schallplattenaufnahmen Dollar-Millionär.
Heute ist der Erfolg des Stücks unverständlich, gibt es doch zahlreiche Musicals, die sowohl musikalisch wie auch textlich weit stärker sind. Es ist wohl die biedere, selbstgefällige Zeit des überwundenen Zweiten Weltkriegs, die das mäßig gesellschaftskritische Sujet mit dem Glauben an gesellschaftlichen Erfolg durch Spracherziehung goutierte, keine revolutionären Sprengsätze oder musikalische Aufregung brauchte. Man wollte sich amüsieren. In Deutschland (West) war die Zeit der Wirtschaftswunderjahre. Die Adenauer-Ära war alles andere als aufklärerisch oder fortschrittlich, in den USA wurde Kommunisten gejagt und die Rolle der Frau war damals auch nicht gerade emanzipiert.

Nichts sollte die vermeintliche Harmonie stören. Da kam „My fair Lady“ gerade recht. Freilich, ganz so harmonisch waren die Zeiten während der Uraufführungszeit, noch weniger der Zeit der Handlung nicht.
Man vergesse aber nicht den Hintergrund: Es geht um die Rolle er Frau. Das Stück ist ein Emanzipationsstück. In England war zur Zeit der Handlung des Stücks die hohe Zeit der Suffragetten. Die Gleichstellung der Frau und das Frauenwahlrecht existierten noch nicht. Auch die soziale Frage war angesichts der katastrophalen Lage der arbeitenden Klasse die gnadenlos ausgebeutet wurde, längst nicht gelöst, Armut war Alltag in breiten Gesellschaftsschichten. Großbritannien war eine starre und inhumane Klassengesellschaft mit festen Regeln, Kleiderordnungen und unverrückbaren Gesetzen war, als Autoren wie Oscar Wilde noch provokant waren und der Adel tatsächlich nur über das Wetter, Pferde und öffentliche Gesundheitsfragen plauderte.
Aber auch das Jahr der Uraufführung war in den USA wahrlich keine paradiesische Zeit. Die Mc-Carthy-Ära mit ihrem radikalen Antikommunismus zeigte noch ihre Nachwirkungen. Es war die Zeit des “Kalten Kriegs“. Das gilt es mitzubedenken bei jeder Neuinszenierung des Stücks.
Shaw hat nicht ohne Grund seine Pygmalion-Komödie als Gesellschaftssatire und Mythenparodie angelegt und die Gesellschaft der Zeit (1912) aufs Korn genommen, ironisiert und exemplarisch dargestellt, dass es so etwas wie gesellschaftlichen Aufstieg geben kann. Sein bzw. Dr. Higgins Glaube an gesellschaftliche Zivilisierung durch Bildung scheint uns heute geradezu naiv und zugleich wichtiger denn je.
Im Anhaltischen Theater Dessau hat man das Stück für ein amüsierungsbedürftiges, anspruchsloses Publikum (das die Inszenierung erwartungsgemäß heftig beklatschte) verharmlost und seiner gesellschaftskritischen Sprengkraft beraubt. In der hübsch harmlosen Inszenierung von Hausherr Johannes Weigand läuft das geschwätzige Stück (es wird viel zu viel geredet in den drei Stunden der Aufführung) an der Oberfläche entlang auf mittlerer Gefühlslage vor sich hin.

Moritz Nitsche hat realistische gemalte Kulissen entworfen, den Blumenstand, die Loge von Higgins Mutter auf dem Pferde-Rennplatz von Ascot, ein Bibliothekszimmer von Professor Higgins, einen Londoner Straßenprospekt und ein mit gerafften Stoffen ausgeschlagenen Ballsaal. Das alles ist biedermeierlich anmutend, konventionell und hausbacken: Wenn man es nett sagen wollte, würde man oldfashioned sagen. Die Kostüme von Judith Fischer sind weitgehend historisch korrekt und teilweise opulent.
Doch außer konventionellen Gängen und Gesten, Arrangements und stehenden Bildern sowie Revueanleihen in den Schrittfolgen besticht die Inszenierung nicht gerade durch sensationelle Vorkommnisse. Auch die Choreografie von Josef Eder lässt zu wünschen übrig. Der Opernchor (Sebastian Kennerknecht) hat schon bessere Abende gehabt.
Schließlich die Besetzung: Aus dem großen Ensemble ragten Bogna Bernagiewicz als opernhaft singende Eliza Doolittle, Bariș Yavus als Ihr (ebenfalls nicht gerade musicalhaft singender) Anbeter, Roman Weltzien als so agiler wie vitaler Henry Higgins, Stephan Korves als steifer, nobler Oberst Pickering, Christel Ortmann als seine exaltierte Mutter mit ungeheurem Hut, Ines Wilk-Ekim als komische Königin von Transsylvanien hervor.
Die musikalische Leitung von Wolfgang Kluge war enttäuschend, um es gelinde auszudrücken. Temperament und atmosphärisches Feingefühl, Sinn für Rhythmus und Klang fehlten ihm ebenso wie Drive, Tempo und Schmiss. Er verspielte alle Trümpfe der bescheidenen Musik mit ihren vielen Evergreens. Es plätscherte routiniert vor sich hin. Musical zu dirigieren ist halt nicht einfach!
Dieter David Scholz, 6. April 2025
My fair Lady
Musical von Frederick Loewe nach Bernhard Shaws Pygmalion und den Film von Gabriel Pascal
Anhaltisches Theater Dessau
Premiere am 4. April 2025
Inszenierung: Johannes Weigand
Musikalische Leitung: Wolfgang Kluge
Anhaltische Philharmonie
Die nächsten Vorstellungen: 6., 27., 28. April, 3. Mai