Reisebilanz II: Tops und Flops der „Saison 2023/24“

Nachdem die erste Reisebilanz ihren Schwerpunkt im Westen der Republik mit Ausflügen nach Belgien hatte, blickt die zweite Reisebilanz nach Mitteldeutschland und unternimmt Ausfüge an den Main, den Bodensee und an die Seine.


Beste Produktion (Gesamtleistung):
Die Zauberflöte in Brandenburg an der Havel wurde unkonventionell abstrakt, aber überzeugend inszeniert (von Alexander Busche), gut getimt, mitreißend schlank und vital dirigiert (von Andreas Spering) und insgesamt sehr überzeugend gesungen.

Der Bregenzer Freischütz von Phillipp Stölzl ist der letzte Coup de théâtre der scheidenden Intendantin Elisabeth Sobotka: Eine opulente Inszenierung einer eigenwilligen Neufassung (zugegeben) auf spektakulärer Bühne, mitreißend dirigiert von Enrique Mazzola, in allen Partien hervorragend gesungen. Chapeau!

Größte Enttäuschung:
Kornél Mundruczós plakativ aktualisierende, alle Romantik des Stücks zerstörende Rusalka-Inszenierung an der Staatsoper Unter den Linden als plattes Berliner Roof-Top- und Kellerstück.

Ausgrabung des Jahres:
Der selten gespielte König Roger von Karol Szymanowski am Anhaltischen Theater Dessau. Die beeindruckende Inszenierung von Stefano Giannetti, die glutvolle wie sensible musikalische Leitung von Elisa Gogou und die alles in allem überzeugenden Gesangsleistungen beglaubigten das außergewöhnliche Stück und sein Recht auf Aufführung.

Beste Wiederaufnahme:
Offenbachs selten gespielte Opéra-comique Fantasio an der Pariser Opéra Comique (in der Inszenierung von Thomas Jolly) war in jeder Hinsicht eine Sternstunde des Theaters

Beste Gesangsleistung (Hauptpartie):
Christina Nilsson singt eine faszinierende Elisabeth im Frankfurter Tannhäuser mit lupenrein intonierender, trompetenhaft unangestrengter Sopranstimme, warm strahlend und anrührend trotz der modernistisch psychologisierenden wie mythologisierenden Inszenierung von Matthew Wild, die eine Spiegelung Tannhäusers in einer modernen Umbettung des romantische Schriftstellers Heinrich von Ofterdingens als homosexueller Figur an der katholischen Maris Stella University in Kalifornien zeigte.

Beste Gesangsleistung (Nebenrolle):
Doris Soffel als alte Gräfin in der der Pique Dame-Neuinszenierung (von Graham Vick) an der Deutschen Oper Berlin.

Nachwuchssängerin des Jahres:
Die in Berlin geborenen tschechische Mezzosopranistin Štĕpánka Pučálková als Rosenkavalier/Oktavian. Eine wahrhaft „schöne Stimme“ im Leipziger Rosenkavalier.

Bestes Dirigat:
Thomas Guggeis lieferte in Frankfurt am Main ein klangopulentes, mitreißend strukturiertes Dirigat von Wagners Tannhäuser. So differenziert und überwältigend hat man ihn lange nicht gehört!

Beste Regie:
Johannes Weigand, Hausherr des Anhaltischen Theaters Dessau zeigte in seiner Neuinszenierung des Don Giovanni das Stück klug und publikumsfreundlich gekürzt auf drei Stunden inklusive einer Pause, als quirlig abschnurrende Opera buffa. Seine Inszenierungsidee: „Menschen im Hotel“.  Das mag befremdlich klingen, gab aber dem vergnüglichen, wahrhaft buffonesken Abend seinen Sinn.

Bestes Bühnenbild:
Man mag zu der neuen Fassung von Philipp Stölzl stehen, wie man mag: sein Bühnenbild eines vom 30-jährigen Krieg zerstörten, halb versunken Dorfes im Bregenzer Freischütz ist ein spektakuläres Theaterwunder an Technik, Beleuchtung und Showeffekten.

Flops der Saison:
Die Aida an der Berliner Staatsoper: Die Inszenierung von Calixto Bieto ist ein Patchwork der Absichten, Zeiten, Stile und Regieeinfälle, plakativ, langweilig, völlig spannungslos. 

Die an sich begrüßenswerte Ausgrabung des Hans Sachs an der Musikalische Komödie Leipzig in karnevalbunter Kinderzimmer-Spaßigkeit war eine Verharmlosung des Stücks, die musikalische Einbeziehung von Musiken aus Wagners Meistersingern ein Eigentor, eine Desavouierung Lortzings.


Es reiste für Sie Dieter David Scholz.