Mozart und Mann? Also Erika Mann? Doch, doch, die Kombination funktioniert, auch wenn man einen Moment vergessen hat, dass die Tochter des „Zauberers“ zusammen mit dem Musiker Karl Schleifer 1932 eine deutschsprachige Bearbeitung des Jugendstücks Apollo et Hyacinthus herausbrachte, das unter dem Titel Apollo und Hyazinth im Cherubini-Saal des Münchner Hotels Vier Jahreszeiten einige Abende erlebte. Mit einer weiteren, erst neunzig Jahre später ermöglichten Aufführung im mittelfränkischen Weißenburg macht nun ein kleines, aber sorgfältiges Büchlein bekannt, das parallel zur Uraufführung einer neuen, nach dem damaligen Aufführungsmaterial erstellten Produktion bei den Weißenburger Bergwaldfestspielen erschien. Im Juni 2022 wurde der Fall Erika Mann rekonstruiert und als Spiel im Spiel der kleinen Oper eingelegt; das Buch beleuchtet, soweit es nach den Quellen noch möglich ist, die Umstände, denen 1932 die Aufführung der Oper und – was ebenso wichtig ist – das Engagement der Schauspielerin Erika Mann, der die Nazis „pazifistische Agitation“ vorwarfen, zum Opfer fielen. Verhinderten die desolaten Finanzen drei Jahre nach Gründung der Sommerfestspiele eine Aufführung, so war es der nazistische Kampfbund für deutsche Kultur, der ohne allzu großen Widerstand der Festspielveranstalter dafür sorgte, dass Erika Mann einseitig aus ihrem Schauspielvertrag entlassen wurde. Sie wehrte sich, behielt vor Gericht Recht – und musste schon bald, wie viele ihrer Freunde und Freundinnen, das Land verlassen, für das sie in erster Linie die Mozart-Oper in eine neue sprachliche Fassung gebracht hatte.
Wie es dabei zuging: dies wird von Martin Weichmann präzis geschildert. Er verlässt sich nicht auf Erika Manns Eigenaussagen, die so romantisch anmuten, dass daraus eher Dichtung als Wahrheit spricht. In Wahrheit hatte Erika Mann das Manuskript des Salzburger Schulstücks nicht in einer verstaubten Salzburger Archivecke gefunden, sondern eine erste Textfassung vom musikalischen Bearbeiter erhalten, der das längst im Druck vorliegende Opus für wert befand, dass es – nach einer Aufführung im Rostock des Jahres 1922 – in einer konzisen, in den Rezitativen gekürzten Fassung von Neuem auf eine Bühne kommen könnte. Als die Weißenburger 2022 daran gingen, die Oper in der Schleifer/Mann-Fassung (wenn auch ohne die Rezitative, die durch die neuen Spielszenen ersetzt wurden) zu stemmen, stellten sie fest, dass es zwischen den Mannschen Versen und der authentischen Mozartschen Musik oft klappert. Da keine Partitur und keine Stimmen der Bearbeitung vorlagen, benutzen sie eine Nachkriegseinspielung der Schleifer-Fassung, um Text und Musik übereinander zu bringen – und so wurde Apollo und Hyazinth am ursprünglich dafür vorgesehenen Ort, auf der Freilichtbühne mitten in der Stadt Am Hof, nicht auf der Waldbühne, in die Gegenwart gebracht: als Rehabilitation der Arbeit der Bearbeiter wie der beiden Persönlichkeiten, die sich 1932 um das selten gespielte wie köstliche Frühwerk verdient gemacht hatten.
Die Publikation erzählt uns auch etwas von den Beziehungen, die Weißenburg damals mit Bayreuth verband, wo Schleifer fünf Jahre zuvor als Kantor in St. Georgen beschäftigt war: zwar wurde die Oper nicht, wie geplant (um das finanzielle Defizit einer Weißenburger Produktion auszugleichen), im Römischen Theater der Eremitage gespielt, sie kam jedoch im September 1932 im Markgräflichen Opernhaus zur Aufführung, wo sechs Jahrzehnte später ein Gastspiel des Bayerischen Nationaltheaters das Original von Mozart und Rufinus Widl auf die Bühne brachte. Das Foto auf S. 32 zeigt übrigens nicht das Theater in der Eremitage, sondern das Ruinentheater in Sanspareil, aber dies nur nebenbei. Denn wichtiger ist die Tatsache, dass das Bändchen nicht allein den kulturpolitischen und dramaturgischen Fall mit vielen raren Bildern erläutert, sondern auch Erika Manns Arien- und Accompagnato-Texte nach einem letzten Druck in den 50er Jahren wieder zugänglich macht. Der Vergleich mit der wörtlichen Übersetzung von Walther Kraus (in der Gesamtausgabe aller Mozart-Opern-Texte im Reclam-Verlag, 1990) zeigt, dass sich die Textbearbeiterin alle Mühe gegeben hatte, das ursprünglich lateinische Libretto auf der Grundlage einer bereits vorliegenden deutschen Fassung so poetisch wie möglich auszustaffieren. Es in Zusammenhang mit den Aufführungsfotos und einem Bühnenbildentwurf (von keinem Geringeren als Emil Preetorius) zu lesen macht Freude. Die ganze Geschichte zu studieren, die die frühe und unkompliziierte Gleichschaltung des Bergwaldtheaters am Fall Mann so gut wie möglich nacherzählt, ist eher traurig – aber spannend ist die Kombination Mann/Mozart/Weißenburg allemal.
Frank Piontek 7. Dezember 2022
Martin Weichmann: W.A. Mozart – Erika Mann
Apollo und Hyazinth
Weißenburg 1932-2022
Publikation des Frankenbunds, Gruppe Weißenburg
Heft 8. 2022. 52 Seiten. 7 Euro.