Die noch von (nunmehr Ex-)Intendant Dominique Meyer eingeführte Schiene zur Vorstellung weniger bekannter Barockopern fand nun ihren Abschluss mit der Produktion dieses Werks von Florian Leopold Gassmann. Über Kindheit und Jugend des 1729 im böhmischen Most (deutsch: Brüx) geborenen Komponisten ist wenig bekannt, auch weil sich die betreffenden Quellen teilweise widersprechen. Jedenfalls soll er noch jung nach Italien aufgebrochen sein, um dort zu studieren und seinen Lebensunterhalt auf der Reise durch Konzerte bestritten haben, bei denen er mit seiner Harfe auftrat. Eine Erzählung besagt, er habe in Bologna beim berühmten Padre Martini studiert, eine andere behauptet, er sei direkt nach Venedig gegangen, wo ihn der Mäzen Leonardo Venier unterstützte. Gassmann machte rasch Karriere und brachte in der Lagunenstadt bald jährlich eine Oper heraus, die je nachdem zum ernsten oder zum Buffagenre gehörten. 1763 wurde er an den Wiener Hof berufen, wo er zunächst als Kammercompositor tätig war, bald aber auch Opern jeglichen Genres schrieb. Auf dem Höhepunkt seiner Popularität verstarb der Komponist allzu früh 1774. Seine Stellung wurde von seinem Schüler Antonio Salieri übernommen, den er als Hochbegabten aus Venedig mitgebracht hatte.
Das 1769 am Wiener Burgtheater uraufgeführte vorliegende Werk (italienische Erstaufführung 1771 in Florenz) reiht sich in eine Serie von Opern ein, die die Auswüchse sinnloser Koloraturen und übertrieben erhabene Texte aufs Korn nahmen, weil deren Autoren auf der Seite Willibald Glucks und seiner tiefgreifenden Reform standen. Es ist also nicht weiter verwunderlich, dass das Libretto von Ranieri de‘ Calzabigi stammt, dem Autor von Glucks großer Reformoper „Orpheus und Eurydike“. Die Arientexte persiflieren denn auch auf geniale Weise die poetischen Höhenflüge etwa eines Metastasio. Die erwähnten Werke haben gemeinsam, dass sich die (an sich spärliche) Handlung über das Bühnenvölckchen, seine Hierarchien und Spleens lustig macht, was sich schon in den Namen der Beteiligten niederschlägt (zu Vollendung und Abschluss dieser Form der Opernsatire brachte es Gaetano Donizetti mit seinen „Convenienze ed inconvenienze teatrali“).

Bei Gassmann wird für die Abendvorstellung eine opera seria vorbereitet bzw. geprobt, und die Namen der Protagonisten sagen schon alles: Der Impresario heißt Fallito (=Versager), der Textdichter Delirio (keine Übersetzung nötig), der Komponist Sospiro (=Seufzer), der Tenor Ritornello (=Refrain), die Primadonna Stonatrilla (eine Kreuzung aus „falsch singen“ und „Triller“), ihre Rivalinnen tragen den Namen Smorfiosa (= ungefähr „alberne Gans“) und Porporina (=purpurrot), der Tanzmeister Passagallo (angelehnt an Passacaglia). Auch die erst am Ende der Oper auftretenden keifenden und streitenden Mütter der Soprane tragen bizarre Namen. Wir sehen also die Szenen mit allen Eifersüchteleien und Versuchen der Beteiligten, sich ins beste Licht zu setzen, aber die Aufführung der opera seria „Oranzebbe“ wird zum Desaster. Das Publikum johlt und zischt, die Oper muss abgebrochen werden, und schließlich stellt sich heraus, dass Fallito in seiner Verzweiflung geflohen ist. Die Mitwirkenden, aber auch Textdichter und Komponist, schwören, sich an sämtlichen zukünftigen Impresari rächen zu wollen.
Florian Leopold Gassmann machte zwar das Umfeld von Bühne und Oper lächerlich, aber für die drei Soprane und den Tenor verlangte er dennoch ein Maximum an Virtuosität, die von den InterpretInnen auch geliefert wurde. Die Französin Julie Fuchs (Stonatrilla, die eingebildete Diva) brillierte in einer besonders schwierigen Arie im 2. Akt, aber weder Andrea Carroll (Smorfiosa, immer seufzend und leidend), noch Serena Gamberoni (die in jeder Hinsicht schlagkräftige Porporina) standen ihr an Virtuosität nach. Josh Lovell hat vielleicht nicht die schönste Stimme, aber den langen Atem und das nötige Stilgefühl für den Ritornello. Als zwischen den Fronten stehender Impresario Fallito glänzte Pietro Spagnoli in seinen Verzweiflungsausbrüchen, hervorgerufen nicht nur von den Solisten, sondern auch von den köstlich charakterisierenden Mattia Olivieri (Delirio) und Giovanni Sala (Sospiro), die kein Wort bzw. keine Note ihrer Arbeit streichen lassen wollten. Als Passagallo war Alessio Arduini bemüht, seiner Tanztruppe die nötige Präsenz zu verschaffen. Die in alter Buffotradition mit Männern besetzten Mütterrollen wurden von Alberto Allegrezza (Tenor) und den Countertenören Lawrence Zazzo und Filippo Mineccia umwerfend komisch karikiert. An der Spitze seines Ensembles Les Talens Lyriques, das um Musiker des Scalaorchesters auf historischen Instrumenten (Trompeten, Hörner, Kontrabässe) ergänzt wurde, stand Christophe Rousset, dessen Spezialistentum nie akademisch wirkte, wodurch Gassmanns Position als Glied der Entwicklung zwischen Gluck und Mozart sehr schön und deutlich herauskam. Die Rezitative wurden am Cembalo von Valeria Montanari und am Cello von Emmanuel Jacques vorzüglich begleitet.

Als Regisseur ist es Laurent Pelly im schlichten Bühnenbild von Massimo Troncanetti gelungen, die Handlung als eine Art Alptraum des Impresarios zu inszenieren und damit der im Grunde fehlenden dramatischen Struktur einen gelungenen Rhythmus zu verleihen. Im 3. Akt wich er von der Textvorlage ab, und anstatt der Unterbrechung durch empörte Zuschauer wurde die Aufführung zum Opfer technischer Fehler, sodass das Bühnenbild schließlich zusammenbrach, während die Solisten verzweifelt versuchten, weiterzusingen. Eine sehr unterhaltsame Lösung, zu der auch das Ballett in der Choreographie von Lionel Hoche beitrug, das versuchte, unbeirrt einen pas de huit im Stil „weiße Schwäne“ zu tanzen. Auch die gleichfalls von Pelly stammenden Kostüme in einem das 18. Jahrhundert ironisierenden Stil trugen zur Unterhaltsamkeit des Abends bei, auf den sich auch die Besucher des Theaters an der Wien freuen können, da es sich um eine Koproduktion handelt.
Trotz zahlreicher gestrichener Rezitative betrug die Aufführungsdauer (mit Pause) über drei Stunden, aber das Publikum zeigte mit langem Applaus, dass es von dieser Ausgrabung durchaus angetan war.
Eva Pleus, 21. April 2025
L’Opera seria
Florian Leopold Gassmann
Teatro alla Scala
3. April 2025
Inszenierung: Laurent Pelly
Musikalische Leitung: Christophe Rousset
Les Talens Lyriques