Zu Beginn wünscht der Pressereferent in seiner Anmoderation „viel Vergnügen!“. Intendant Bernd Loebe zieht die Augenbrauen hoch und merkt trocken an, daß er nicht sicher sei, ob es ein Vergnügen werde. Tatsächlich wirkt seine Präsentation des neuen Spielplans ungewohnt beiläufig. Hatte er die versammelten Zuhörer in den vergangenen Jahren auf den Spielzeitpressekonferenzen mit teils launigen, teils galligen Bemerkungen über die unzureichende finanzielle Ausstattung seines Hauses und die Unsicherheiten zur Planung eines neuen Opernhauses unterhalten, so konzentriert er sich heuer tatsächlich auf den Spielplan. Die einzige bittere Bemerkung gilt einer Personalie. Der zur New Yorker MET eigentlich nur für ein Jahr beurlaubte Chordirektor Tilman Michael komme nun doch nicht zurück. „Ach was!“ möchte man ausrufen. Loebe beteuert, er habe „zu 95 Prozent“ damit gerechnet, daß Michael nicht in New York bleibe. Zu Weihnachten habe dieser dann die Planänderung per E-Mail kommuniziert („Das hat mich irritiert.“). Mit dem derzeitigen Stuttgarter Chordirektor Manuel Pujol habe man aber bereits einen adäquaten Ersatz gefunden. Der müsse in Stuttgart noch Die Meistersinger betreuen und komme dann schnellstmöglich nach Frankfurt, wo er ohnehin seinen Wohnsitz habe.

In diesem Jahr fehlen auch die Hervorhebung einzelner Künstler aus dem Ensemble und der demonstrative Stolz über die Gewinnung dieses und jenes Sängertalents, welche in den vergangenen Pressekonferenzen einigen Raum eingenommen hatten. Es gibt lediglich die Anmerkung, daß man inzwischen 90 bis 95 Prozent der Besetzungen aus dem Ensemble heraus leisten könne und dieses Besetzungen recht ordentlich seien. So viel Understatement hört man von dem neben Loebe sitzenden Generalmusikdirektor Thomas Guggeis nicht, der im Gegenteil hervorhebt, daß Frankfurt da mit anderen großen Häusern locker mithalten könne, ja oft insgesamt stimmigere Gesamtlösungen biete, durch längere gemeinsame Probephasen auch zu geschlosseneren Leistungen gelange. Demgemäß kommt der Spielplan wieder fast vollständig ohne die großen Namen des Star-Jet-Sets aus. Allenfalls könnte man hier Joseph Calleja nennen, der als Don José in Carmen zurückkehrt, John Osborne, der seinen bewährten Werther geben wird, Bo Skovhus als Protector in Written on skin oder das ehemalige Ensemblemitglied Elza van den Heever, die als Turandot debütieren wird, schließlich den Einsatz der Schauspielerin Dagmar Manzel als Tod in der Bluthochzeit.
Überhaupt scheint es dieses Mal die Rolle des jungen Dirigenten zu sein, für den nötigen Enthusiasmus zu sorgen. Er lobt die Qualität seines Orchesters über alle Maßen. Bereits der erste Lesedurchgang durch die Partitur des Parsifal zur bevorstehenden Premiere habe hervorragend geklungen. Nach seinen Gastiertätigkeiten komme er immer gerne „nach Hause“ zurück. Die Expertise seines Orchesters in Sachen historisch informierte Spielweise hält er sogar anderen (bedeutenderen) Klangkörpern gegenüber für überlegen (hier nennt er die Staatskapelle Berlin, deren Kapellmeister er zuvor war). Voller Begeisterung spricht er von den unter seiner musikalischen Leitung geplanten Neuproduktionen. Così fan tutte solle kürzer und humorvoller werden als die „staatstragende“ und „sehr lange“ alte Inszenierung von Christof Loy [eine Bemerkung, welche den Schreiber dieser Zeilen als erklärtem Fan der Loy-Inszenierung irritiert hat]. In voller Länge samt „Polenakt“ werde man dagegen Boris Godunow präsentieren. Man habe sich für die Instrumentierung von Dimitri Schostakowitsch entschieden, die schärfer und kontrastreicher sei als jene von Rimski-Korsakow. An der Partitur der Turandot schließlich fasziniere ihn „alles“, gibt sich Guggeis begeistert, nachdem Loebe in Fortführung seiner bekannten Puccini-Skepsis zu Protokoll gegeben hat, er habe die Turandot „eigentlich“ nicht machen wollen. Zuletzt sei die Turandot in Frankfurt vor 50 Jahren neu inszeniert worden. Man werde das Werk aber aus einem „neuen Blickwinkel“ präsentieren und habe dazu von der Komponistin Lucia Ronchetti einen neuen Prolog komponieren lassen. Loebe ergänzt, daß mit Andrea Breth eine Regisseurin verpflichtet worden sei, mit der es keinen „Postkartenkitsch“ und keine „Opulenz“ geben werde. Man habe sich vom Produktionsteam gerade die Konzeption vorstellen lassen. „Da geht’s ans Eingemachte.“

Der Chef dirigiert außerdem noch die Wiederaufnahmen Peter Grimes, für den man in der Titelrolle Alan Clayton als „den“ derzeit führenden Sänger in dieser Partie verpflichtet habe, und Tristan und Isolde, sein Debüt mit dieser Oper. Guggeis schwärmt von der zum Saisonende vorgesehenen Händel-Rarität Der Triumph von Zeit und Erkenntnis, und wenn er mit den Worten „Ich darf ja vertraglich nur drei Neuproduktionen machen“ bedauert, nicht selbst dabei am Pult zu stehen, ist das natürlich scherzhaft gemeint, gleichzeitig aber verströmt er in dieser Pressekonferenz so viel Energie und Leidenschaft, daß man annehmen kann, er würde durchaus an seinem Stammhaus noch mehr Produktionen übernehmen.
Mit den Premieren unter der Leitung des Generalmusikdirektors sind auch bereits die bekannteren Titel genannt. Im Übrigen ist es wieder ein Loebe-typischer Spielplan der Raritäten. Mozarts Frühwerk Mitridate, re di Ponto kommt als Koproduktion mit den Häusern in Madrid, Barcelona und Neapel unter der Regie von Claus Guth. Punch und Judy von Harrison Birtwistle („eine frivole Angelegenheit“ laut Loebe) wird im Bockenheimer Depot unter der Regie des langjährigen Neuenfels-Assistenten Wolfgang Nägele herausgebracht. R. B. Schlather inszeniert nach Madama Butterfly und Macbeth die Barock-Oper Amor vien dal destino von Agostino Stefani, der im Frankfurter Dom begraben liegt. Written on Skin von George Benjamin („schon wieder eine merkwürdige Oper“) erscheint nicht in der inzwischen vielerorts gezeigten Uraufführungsinszenierung aus Aix-en-Provence, sondern wird von Tatjana Gürbaca szenisch betreut. Àlex Ollé, einer der Leiter der Gruppe La Fura dels Baus, wird Wolfgang Fortners Bluthochzeit herausbringen, laut Loebe „eine Melange aus Oper und Schauspiel“. Alle fünf Opern sind Frankfurter Erstaufführungen wie auch schon das erwähnte Händel-Oratorium Triumph von Zeit und Erkenntnis, das Katharina Kastening szenisch einrichten wird. Daß Rossinis Tancredi offenbar schon einmal in Frankfurt gegeben wurde, nimmt dem Stück nicht die Eigenschaft als Rarität. Manuel Schmitt führt hier Regie.
Insgesamt also wird es zehn Neuproduktionen geben, eine weniger als in der vergangenen Spielzeit. Da mögen Sparzwänge eine Rolle gespielt haben. Unter den 14 Wiederaufnahmen werden etliche Titel auch wegen der finanziellen Notwendigkeit einer hohen Auslastungszahl gewählt worden sein (derzeit liegt sie bei rund 80 Prozent), so etwa Tosca, Manon Lescaut, Carmen, Madama Butterfly, Macbeth und der schon erwähnte Tristan. Ordentlich besucht waren auch die Premierenzyklen der nun erneut präsentierten Banditen von Jacques Offenbach und von Händels Giulio Cesare. Der Überraschungserfolg Die ersten Menschen von Rudi Stephan kehrt in der Premierenbesetzung samt musikalischer Leitung von exGMD Sebastian Weigle zurück. Die zweite Wiederaufnahme von Weinbergs Passagierin war der Corona-Pandemie zum Opfer gefallen und wird nun nachgeholt. Die Uralt-Produktion von Massenets Werther kommt zurück, erfreulicherweise auch ein Doppelabend mit der ungewöhnlichen Kombination von Kurt Weills Der Zar läßt sich fotografieren und Carl Orffs Die Kluge. Sehr stolz ist Loebe auf die 2023 in Frankfurt uraufgeführte Kammeroper Blühen von Vito Žuraj. Er wünsche sich, daß die Produktion auf Video dokumentiert werde. Nun wird sie erst einmal wiederaufgenommen.
Uns fällt zu diesem Spielplan nichts ein, was wir nicht schon seit Jahren regelmäßig schreiben: Daß er der interessanteste, spannendste, vielfältigste weit und breit ist. Bei einer seit über einem Jahrzehnt konstanten Auslastung von rund 80 Prozent und mehr (die Corona-Jahre ausgenommen), will man auch nicht von „mutig“ sprechen. Das Vertrauen des Publikums in Stückauswahl und Besetzung ist inzwischen derart gefestigt, daß die Intendanz auch mit ausgefallenen Werken keine Risiken eingeht. Und selbst eine enttäuschend schlechte Auslastung wie zuletzt bei Invisible wird durch ausverkaufte Vorstellungen anderer Produktionen aufgefangen. Man sieht die Kollegen in der jährlichen Kritikerumfrage schon jetzt mit sich ringen: Schon wieder der Titel „Opernhaus des Jahres“ für Frankfurt? Wenn auch nur die Hälfte der Neuproduktionen glückt, kann es wieder so kommen. Auch die laufende Spielzeit hatte bereits einige starke Produktionen, und der Parsifal steht noch bevor. Glückliches Frankfurt!
Michael Demel, 7. Mai 2025
Premieren
Wolfgang Amadeus Mozart
Così fan tutte
Sonntag, 21. September 2025
Musikalische Leitung: Thomas Guggeis
Inszenierung: Mariame Clément
Modest P. Mussorgski
Boris Godunow
Sonntag, 2. November 2025
Musikalische Leitung: Thomas Guggeis
Inszenierung: Keith Warner
Wolfgang Amadeus Mozart
Mitridate, re di Ponto (Frankfurter Erstaufführung)
Sonntag, 7. Dezember 2025
Musikalische Leitung: Leo Hussain
Inszenierung: Claus Guth
Harrison Birtwistle
Punch and Judy (Frankfurter Erstaufführung)
Donnerstag, 11. Dezember 2025 (Bockenheimer Depot)
Musikalische Leitung: Alden Gatt
Inszenierung: Wolfgang Nägele
Agostino Steffani
Amor vien dal destino (Frankfurter Erstaufführung)
Sonntag, 25. Januar 2026
Musikalische Leitung: Václav Luks
Inszenierung: R.B. Schlather
George Benjamin
Written on Skin (Frankfurter Erstaufführung)
Sonntag, 1. März 2026
Musikalische Leitung: Erik Nielsen
Inszenierung: Tatjana Gürbaca
Giacomo Puccini
Turandot
Samstag, 12. April 2026
Musikalische Leitung: Thomas Guggeis
Inszenierung: Andrea Breth
Wolfgang Fortner
Bluthochzeit (Frankfurter Erstaufführung)
Sonntag, 10. Mai 2026
Musikalische Leitung: Duncan Ward
Inszenierung: Àlex Ollé
Gioachino Rossini
Tancredi
Sonntag, 7. Juni 2026
Musikalische Leitung: Giuliano Carella
Inszenierung: Manuel Schmitt
Georg Friedrich Händel
Der Triumph von Zeit und Erkenntnis (Frankfurter Erstaufführung)
Samstag, 13. Juni 2026 (Bockenheimer Depot)
Musikalische Leitung: Simone Di Felice
Inszenierung: Katharina Kastening
Wiederaufnahmen
Giacomo Puccini
Tosca
Sonntag, 31. August 2025
Musikalische Leitung: Elias Grandy / Takeshi Moriuchi
Inszenierung: Andreas Kriegenburg
Benjamin Britten
Peter Grimes
Samstag, 6. September 2025
Musikalische Leitung: Thomas Guggeis
Inszenierung: Keith Warner
Giacomo Puccini
Manon Lescaut
Freitag, 26. September 2025
Musikalische Leitung: Simone Di Felice
Inszenierung: Àlex Ollé
Vito Žuraj
Blühen
Mittwoch, 1. Oktober 2025 (Bockenheimer Depot)
Musikalische Leitung: Michael Wendeberg
Inszenierung: Brigitte Fassbaender
Georg Friedrich Händel
Giulio Cesare in Egitto
Freitag, 3. Oktober 2025
Musikalische Leitung: Laurence Cummings
Inszenierung: Nadja Loschky
Jacques Offenbach
Die Banditen
Freitag, 7. November 2025
Musikalische Leitung: Karsten Januschke
Inszenierung: Katharina Thoma
Rudi Stephan
Die ersten Menschen
Sonntag, 16. November 2025
Musikalische Leitung: Sebastian Weigle
Inszenierung: Tobias Kratzer
Georges Bizet
Carmen
Samstag, 13. Dezember 2025
Musikalische Leitung: Jader Bignamini / Takeshi Moriuchi
Inszenierung: Barrie Kosky
Mieczysław Weinberg
Die Passagierin
Sonntag, 1. Februar 2026
Musikalische Leitung: Leo Hussain
Inszenierung: Anselm Weber
Giacomo Puccini
Madama Butterfly
Freitag, 6. Februar 2026
Musikalische Leitung: Lorenzo Passerini
Inszenierung: R.B. Schlather
Jules Massenet
Werther
Freitag, 6. März 2026
Musikalische Leitung: Felix Bender
Inszenierung: Willy Decker
Richard Wagner
Tristan und Isolde
Sonntag, 22. März 2026
Musikalische Leitung: Thomas Guggeis
Inszenierung: Katharina Thoma
Giuseppe Verdi
Macbeth
Samstag, 18. April 2026
Musikalische Leitung: Giacomo Sagripanti
Inszenierung: R.B. Schlather
Kurt Weill
Der Zar lässt sich fotografieren
Carl Orff
Die Kluge
Sonntag, 14. Juni 2026
Musikalische Leitung: Jiří Rožeň
Inszenierung: Keith Warner