Geglückte Wiederaufnahme
1855 gingen Giuseppe Verdis Les Vȇpres Siciliennes ohne Zensurprobleme über die Bühne des Theatre de l’Academie Imperiale in Paris, obwohl die Franzosen nicht im besten Licht als Besetzer Siziliens erscheinen, ein Jahr später durfte es in Italien nur als Ines de Guzman aufgeführt werden, weil die dortigen österreichischen Besatzer seine revolutionäre Brisanz fürchteten, und erst nach der Vereinigung Italiens kehrte es zu seinem ursprünglichen Titel zurück. Weiterer Unbill war die Oper dadurch ausgesetzt, dass die italienische Fassung die Welt eroberte, die französische so recht erst in unserer Zeit vor allem die außeritalienischen Bühnen interessierte. Noch in der Vorwendezeit hatte die Staatsoper Berlin italienische Vespri Siciliani in grauem Beton und mit viel Stacheldraht gezeigt (Kupfer/Schavernoch), natürlich auch ohne das in der französischen Fassung unverzichtbare Ballett, das übrigens unter dem Titel der Vier Jahreszeiten den anderen französischen Opern Verdis wie dem Perlenballett aus Don Carlos weit überlegen ist.

Es gibt übrigens auch eine deutsche Fassung, die 1955 mit nicht Geringeren als Hilde Zadek, Dietrich Fischer-Dieskau, Hans Hopf und Gottlob Frick aufgeführt wurde. Und wie sehr selbst hochberühmte Opernsänger in Verwirrung gerieten beim Vergleich der einzelnen Fassungen, zeigt das Entsetzen Nikolai Geddas, der wohl einen Henri, nicht aber einen Arrigo in der Stimme hatte und an letzterem scheiterte. Auch Chris Merrit, als Rossini-Star brillierend, erlebte wohl eine unangenehme Überraschung. Mit beiden Fassungen vertraut war übrigens der Dirigent Mario Rossi, von beiden gibt es Aufnahmen mit ihm.
Bereits während seiner Entstehung war die Oper ein Schmerzenskind Verdis, denn der vielschreibende Librettist Eugéne Scribe hatte klammheimlich Teile eines für Donizetti verfassten Librettos benutzt mit der später vorgebrachten Entschuldigung, Liebesduette unterschieden sich schließlich nicht wesentlich voneinander. Zudem hatte er Verdi den gewünschten Schluss mit einer ausführlichen Sterbeszene verweigert, so dass der fünfte Akt und damit das Werk selbst reichlich unvermittelt mit Glockengeläut und Kampfgeschrei endet. Ob Regisseur Olivier Py mit der Abschlachtung Hélènes durch Procida allerdings eine Aufwertung des Schlusses im Sinn hatte, ist unergründbar, ebenso wie das immerhin vorübergehende Überleben Henris.
Die französische Fassung entspricht ganz im Stile Meyerbeers und damit der Grand Opéra, neben dem Ballett mit ausgedehnten, machtvollen Chorszenen, streckenweise auch im orchestralen Teil. In der Musik für die Sänger allerdings lässt sich, und das nicht nur wegen Tarantella und Siciliana, das italienische Element nicht verleugnen.
Verwunderlich ist, dass Regisseuren zu Sizilien, auch wenn sie das Stück nach Algerien verlegen, nur die Farbe Grau (Bühne und Kostüme Pierre-André Weitz) einfällt. Abgesehen von einer Wandelpalme gibt es an der Deutschen Oper nur düstere Häuserfronten, mal hochherrschaftlich, meistens aber mit vergitterten Fenstern, eine Bühne, auf der sich die „Algerierinnen“ in Tutus aufreizend bewegen, was eine ausführlich dargestellte Massenvergewaltigung und die Empfehlung „ab 16 Jahren“ zur Folge hat.

„Kinder, schafft Neues“, soll Richard Wagner gefordert haben. Ob damit das Erfinden einer Geistermutter mit Kinderwagen gemeint sein könnte, die ebenso unermüdlich wie der Widergänger von Hélènes totem Bruder, der halbnackt und ansonsten als Pierrot über die Bühne tanzt, klettert, sich einmischt, mag man bezweifeln, hier erweckt es eher den Eindruck, der Regisseur hätte dem Stück nicht getraut, hätte (zum Glück ) nicht den Mut gehabt, es völlig umzukrempeln, aber doch dem Vorwurf entgehen wollen, sich nichts „Neues“ haben einfallen zu lassen. Aber die auf- und abfahrenden Leuchtstoffröhren hätte der Regisseur sich und uns ersparen können, ebenso wie das lästige Leuchten ins Publikum.
Nicht leicht macht es Verdi dem Liebespaar, denn nach hochdramatischen Ausbrüchen müssen beide noch mit der beschwingten Siciliana und mit der zarten „La brise souffle au loin“ Leichtigkeit und Geschmeidigkeit beweisen. Hulkar Sabirova, die bereits in der Premiere sang, gelingt das als Hélène in beispielhafter Weise, ihr stehen Farbigkeit, Durchschlagsvermögen, Eleganz des Singens zur Verfügung und dazu ein anrührendes Spiel. Ebenfalls eine ideale Besetzung, und zwar für den Procida, war wieder Roberto Tagliavini, der sonorste, eleganteste, souverän die Feinheiten, so die Crescendi und Decrescendi, seiner Partie auskostende unversöhnliche Aufrührer. Mithalten konnte durchaus der neue Montfort von Dong-Hwan Lee mit dunkel timbriertem, geschmeidigem und hochpräsentem Bariton. Ob er sich in Schiesser-Feinripp zu seiner großen Arie wohlfühlte? Die Firma müsste sich endlich einmal für jahrelange und viele, viele Opern umfassende Werbung erkenntlich zeigen, gerade in Zeiten der finanziellen Misshelligkeiten. Das Problem für den neuen Henri, für Valentyn Dytiuk, ist, dass er trotz allen aufopfernden Einsatzes für seine Partie, mit wenn auch recht farblosen Piani nicht geizend, sich um Agogik bemühend und höhensicher, vokal weder ein Arrigo noch ein Henri ist, auch wenn er landauf, landab das italienische Fach singt. Der Tenor kommt sehr schwerblütig massiv daher, Eleganz oder Süße vermisst man schmerzlich.

Zufriedenstellend besetzt war die französische Soldateska mit Chance Jonas-O’Toole (Thibault), Jörg Schörner (Mainfroid), Joel Allison (Robert). Gideon Poppe war der unglückselige Danieli. Auch der „Tod“ (zugleich Mutter Montfort) mit Laura Giuntoil und ein Priester aus dem Ballett (György Jelinek) spielten mit, vom unermüdlich durch das Gestänge turnenden toten Frederick (Javier Pena) ganz zu schweigen. Mitreißend war der Einsatz des Chors (Jeremy Bines); vorzüglich, das heißt so nachdrücklich wie elegant und sängerfreundlich, das Orchester unter Dominic Limburg, der auch den lautesten Zwischenbeifall nach der Pause bekam.
Für Berliner wie Touristen heißt es „Nichts wie hin“, denn wo und wann bekommt man das zu Unrecht vernachlässigte Werk und dazu noch in zumindest vorwiegend erlesener Besetzung sonst zu erleben!
Ingrid Wanja, 25. Mai 2025
Les Vȇpres Siciliennes
Giuseppe Verdi
9. Vorstellung am 24. Mai 2025
Premiere am 20. März 2022
Regie: Olivier Py
Musikalische Leitung: Dominic Limburg
Orchester und Chor der Deutschen Oper Berlin