München: „Lohengrin“, Richard Wagner

Eine Art Ayurveda-Lohengrin

Schon bei der Premiere im Dezember 2022 konnte mich diese Neuinszenierung der romantischen Oper Richard Wagners durch den Ungarn Kornél Mundruczó unter Mitarbeit von Marcos Darbyshire nicht recht überzeugen, und das war auch diesmal wieder so. Die Idee, die an sich nicht schlecht ist, dass dieses Volk, die Brabanter, und damit eigentlich die ganze Welt einen Erlöser sucht und erhofft, dass dieser von außen kommt, ist ja durchaus nachvollziehbar und auch heute in der Politik immer wieder zu beobachten. Dabei kann er natürlich nicht ohne weiteres von außen kommen, und selbst wenn er käme, wäre es wahrscheinlich keine Wohltat… Das will der Regisseur möglicherweise sagen: Die Erlösung ist schon da, sie ist bereits unter uns. Man muss sie nur entdecken, wollen und umsetzen.

© Geoffroy Schied

So kommt der Lohengrin bei Mundruczó also von Innen, aus der Gesellschaft heraus. Er ist schon auf der Bühne, wenn das wunderbare Vorspiel beginnt, welches wieder einmal – welch Sakrileg – vor offenem Vorhang gespielt wird. Nietzsche würde sich im Grabe herumdrehen, wenn er könnte. Immerhin muss Lohengrin dabei nicht gleich den kleinen Gottfried umbringen, wie Katharina Wagner es im Vorjahr noch in Barcelona zeigte. Dieser Regieansatz des Leading Team führt aber zu einer dramaturgischen und optischen Gleichmacherei ungeahnten Ausmaßes. Sämtliche Kostüme von Anna Axer Fijalkowska werden gleichgeschaltet! Alle, aber auch wirklich alle, inklusive Lohengrin selbst, haben eine Art Trainingsanzug an, weiße Hosen, weiße Sportjoppen und – natürlich – Turnschuhe. Alle, selbstredend auch der König, Grau in Grau, bzw. Weißgrau gekleidet sitzen sie zunächst im Vorspiel gelangweilt auf zwei Hügeln, stehen dann auf, vollziehen alberne Arm- und Handbewegungen, später auch mit Fähnchen wedelnd. Es hat etwas Ayurveda-Artiges…

Schließlich jagen sie zum Aktbeginn die als einzige schwarz gekleidete Elsa wie einen in flagranti ertappten Räuber. Denn sie ist ja bekanntlich schuldig… Dabei will der Regisseur alle Mitwirkenden immer auf der Bühne haben, in einem eng umschlossenen Raum. Manchmal hat das schon eine Art sozialistischen Anstrich, wenn im 2. Akt Lohengrin singt: „Wir sind allein, zum ersten Mal allein, seit wir uns sah’n“ und sämtliche Protagonisten und der Chor auf der Bühne sind und die beiden beobachten. Eine Art Voyeurismus, total im Gegensatz zur Wagnerschen Dramaturgie dieses so wichtigen Moments! Alle sollen bei Mundruczó an allem teilnehmen! Dabei will er zeigen mit der schlichten weißen Box, de facto ein Einheitsbühnenbild mit kaum wahrnehmbarer Lichtregie von Felice Ross, dass der Rahmen immer der gleiche ist. Es werden nur wechselnde Inhalte gezeigt.

© Geoffroy Schied

Im 2. Akt ist es auch nicht viel besser. Nun tragen alle über dem Turner-Outfit transparente Regenpelerinen, obwohl es nicht einmal regnet. Hinten an der Palast-Wand des vermeintlichen Münster gehen 22 Fenster auf, was dann wie ein Adventskalender am 24. Dezember aussieht. Rote schmale Tücher werden aus den Fenstern geworfen, um den Hochzeitsmarsch zu bebildern. Ab und zu gehen überflüssigerweise auch ein paar Sylvester-Raketen funkensprühend in die Luft… Man ist also eh nahe bei Weihnachten! Zuvor war ein nahezu unendlicher Zug von Brabantern zu beobachten, wie sie in den Palast gehen, von unten wieder hochkommen und erneut hineingehen – also alles immer im selben Raum. Was das sollte, weiß wohl allein der Regisseur.

Im Finale des 3. Akts senkt sich zu Lohengrins Gralserzählung langsam ein riesiger Meteorit herunter, den seine Bühnenbildnerin Monika Pormale schon in seinem Hamburger „Tannhäuser“ eingesetzt hatte. Was will er damit sagen? Das Ganze ist wohl Teil eines viel größeren Universums. Es sind die Menschen, die die Probleme viel zu klein formulieren. Man soll Abstand von der Annahme nehmen, dass man alles hier auf der Erde lösen kann. Man muss es weiter fassen. Damit wären wir ja in der Tat wieder bei „Lohengrin“ von Richard Wagner.

© Geoffroy Schied

Der wohl beste Tenor der Welt in diesem Fach derzeit, Piotr Beczala, sang die Titelrolle wieder auf seine ganze spezifische und tenoral so wohlklingende wie ausdrucksstarke Art und Weise. Dazu eine Mimik, die die Rolle in jedem noch so unbedeutenden Moment glaubhaft macht, sogar noch in Sportkleidung und Turnschuhen! Als er vor den Vorhang trat, sprangen die Leute im Parkett spontan von den Sitzen. Andere ergingen sich in lautstarkem, einst aus Bayreuth importiertem Trampeln, wo der Holzboden aber einen Riesenhohlraum unter sich hat und es deshalb so profund klingt.

René Pape sang wieder einen souveränen König Heinrich mit seinem edlen und perfekt geführten voluminösen Bass. Darstellerisch musste er dem allgemeinen Einheitsideal Zoll zahlen. Man sah ihn am besten, wenn er sich in der weißgrauen Masse bewegen durfte, denn Rampenstehen war auch recht oft angesagt. Rachel Willis-Sørensen gab die Elsa nicht ganz

so stark wie man erhoffte, gleichwohl mit einer schönen, wenn auch nicht sehr großen Sopranstimme. Vor allem gegenüber der stark auftrumpfenden Anja Kampe als Ortrud fiel sie deshalb etwas ab. Mundruczó stellt die Ortrud hier als die einzige Person dar, die auch nachdenkt und die nicht mitmacht bei diesem allgemeinen Einheitsbrei der Akzeptanz eines unbekannten und durchaus auch manipulativen Fremden – auch wenn er von Innen kommt, bzw. kommen soll. Kampe als Ortrud lehnt sich dagegen auf und macht das mit ihrer kraftvollen Stimme und ihrem facettenreichen Spiel sowie einer Mimik, die der Ortrud bestens ansteht, eindrucksvoll. Der Telramund war mit Wolfgang Koch sehr gut und somit auf Augenhöhe besetzt. Es wird sofort klar, wie die dominante Ortrud ihn als Instrument missbraucht, um an die Macht in Brabant zu kommen. Kostas Smoriginas sang einen prägnanten Heerrufer.

Das Bayerische Staatsorchester unter Sebastian Weigle gab Wagner at his Best. Es war musikalisch eine der besten Wagner-Aufführungen, die ich hier erlebt habe. Der von Christoph Heil einstudierte Bayerische Staatsopernchor sowie der Extrachor sangen auf hohem und dramatisch bisweilen bemerkenswertem Niveau. Allein, choreografisch hatten die Ensembles aufgrund der eigenartigen Inszenierung zu oft das Nachsehen.

Klaus Billand, 25. August 2025


Lohengrin
Richard Wagner

Münchner Opernfestspiele

Besuchte Aufführung am 30. Juli 2025
Premiere: 3. Dezember 2022

Inszenierung: Kornél Mundruczó
Musikalische Leitung: Sebastian Weigle
Bayerisches Staatsorchester