besuchte Vorstellung: 18.10.2020
„Das wichtigste ist das Happy End“ ist das Credo der beschwingten Lustspieloperette „Märchen im Grand Hotel“, die eher ein Musical ist. Sie wurde in quirliger Farbenpracht, leichtester Handlung und mit viel begeistertem Publikum zur Aufführung gebracht.
Ausgewogene Ensembleleistung im „Märchen im Grand Hotel“
Die Pandemieauflagen wurden in Meiningen weniger streng genommen, als in anderen Thüringer Theatern. Der Eintritt ins Staatstheater bis zum Sitzplatz erfolgte wie üblich mit Mund-Nasen-Schutz. Es ging eigens eine unfreundliche Einlasskraft durch die Reihen um das Publikum barsch darauf hinzuweisen, dass Mäntel nicht über freie Stühle gelegt werden dürfen, sondern entweder an der Garderobe abzugeben sind oder auf dem Schoß gehalten werden müssen, was zur Schlangenbildung an der Garderobe führte. Beim Verkauf von Speisen und Getränken vor der Veranstaltung und während der Pause im Foyer kam es zu Gedrängel, das zur Nichteinhaltung der Abstände führte. Es wurden zumeist keine Reihen zwischen den besetzten Reihen im Saal freigelassen, doch blieben in jeder Reihe zwischen den Haushalten etwa drei Plätze unbesetzt. Die Masken sollten auch am Sitzplatz erst zu Stückbeginn abgesetzt und vor dem Schlussapplaus wieder aufgesetzt werden, woran sich aber kaum jemand hielt.
Das Bühnenbild zeigte, handlungskonform, ein Hotelfoyer mit Empfangstresen und zwei Sessel mit Tisch rechts und links der Bühne sowie das Empfangszimmer des Filmproduzenten Sam Macintosh. Videoeinspielungen, in denen Rollencharaktere im heruntergefahrenen Fernseher im Nahformat sprachen (Video: Jae-Pyung Park) wurden abwechslungsreich einbezogen.
Die Handlung ist schnell erzählt. Marylou Macintosh, die Tochter des Filmproduzenten Sam Macintosh soll, da die Firma des Vaters nicht mehr floriert, einen begabten, das Business kennenden Filmproduzenten, seinen größten Konkurrenten, heiraten. Tochter Marylou weigert sich und will dem Vater beweisen, dass sie selber fähig ist, einen überaus erfolgreichen Film zu produzieren. Sie dreht diesen im Grand Hotel an der Rivera mit realen Darstellern, Isabella, der Infantin von Spananien, Großfürst Paul, Prinz Andreas Stephan, Gräfin Inez de Ramirez, alles Vertreter des verarmten Adels, und dem Hotelbesitzer Präsident Chamoix, dem Hoteldirektor Matard sowie dem vermeintlichen Zimmerkellner, eigentlich Sohn des Hotelbesitzers, Albert, als Vertreter des aufstrebenden Bürgertums. Unter diesen, – Adel und neureiche Bürgerliche -, entspinnt sich eine Verwechslungskomödie im großen Stil, die aussichtslos erscheint, aber schlussendlich doch noch zum Happy End führt. Der Zimmerkellner, der eigentlich Sohn des Hotelbesitzers ist, wird zum adoptierten Adligen und kann somit seine Liebste Isabella ehelichen. Marylou Macintosh ist ein reißender Kassenschlager gelungen.
In das Stück hielten viele aktuelle Elemente Einzug (Regie: Roland Hüve) wie die ansteigende Nutzung neuer Medien (Smartphone, Tablets), denn „Niemand geht ins Kino“, alle schauen auf das Smartphone, auch in der Inszenierung. Die aktuelle Pandemie wurde eingeflochten, so desinfizierte Bariton Jonas Böhm, Ensemblemitglied in Meiningen in der Saison 2019/20, als Kellner Albert alle Tische, Filmagent Sam Macintosh wollte „Donald Trump, der Untergang“ verfilmen, seine Tochter Marylou suchte ihr Filmthema in der Google-Suchmaschine „Prinzessin, Cote d`Azur, Liebe“ und manipulierte später die Social Media, der Besteller „Fifty Shades of Grey“ wurde erwähnt und Fake News einbezogen. Doch leider wurden die pandemiebedingten Abstände auf der Bühne zumeist unterschritten.
Sopranistin Anne Ellersiek als Infantin von Spananien, seit 2017/18 Ensemblemitglied des Hauses, die auch in Opernproduktionen zu erleben ist, sang „Ich wäre so gerne Königin“ im goldenen Glitzerkleid mit brauner Stola und blonder Hochfrisur lieblich und zart im Duett mit dem italienischen Bariton Giulio Alvise Caselli als Prinz Andreas Stephan, der ebenfalls auch in Opernproduktionen singt, im schwarzen Samtsmoking, in weiter Entfernung Walzer tanzend. Sein „Bis morgen, wenn die Hähne krähn“ und „Träum heute Nacht von der Liebe“ fand begeisterten Anklang. Anne Ellersiek entzückte das Publikum mit musicalmäßigem Soubrettengesang mit Schwung in „Der Duft der Rose“, gemeinsam mit Jonas Böhm, „Freunde, heute bin ich so glücklich“, „Ich weiß ein Herr so wie Sie“, „Das Märchen im Grand Hotel“ sowie in zwei weiteren Duetten in schmelzender Operettenromantik mit Jonas Böhm „Du bist eine Dame, du bist so mondän“ und im zu Herzen gehenden „Weil ich verliebt bin“ sowie im Duett mit dem mondänen Hotelbesitzer, Präsident Chamoix, dem polnischen Tenor Stan Meus, seit 1999 Ensemblemitglied, der häufig in Musicals zu erleben ist, im anrührenden „Jede schöne Frau hat einen Freund“ und in „Dieser feine junge Herr“ als hilfreicher, die Verwicklungsgeschichte auflösender Vater.
Sopranistin Anne Ellersiek als Etikette wahrende Infantin Isabella
Bariton Jonas Böhm, in der Spielzeit 2019/20 Ensemblemitglied des Meininger Staatstheaters, spielte gekonnt den verliebten, tollpatschigen Liebhaber mit einer Prise Komik in süßlicher Interpretation des Filmschmachtschlagers „Die schönste Rose“ unter Schrammelanklängen. In „Ich bin noch immer außer mir“ werden Analogien zu Johannes Heesters oder Harald Juhnke hör- und spürbar. Musicalsängerin Nathalie Parsa sprühte nur so vor Energie und Spielfreude und gab die witzige, nie um eine Lösung verwegene Marylou Macintosh gesanglich und darstellerisch eindrucksvoll, brillierte vor allem in den Steppeinlagen. In den Nummern „Jede junge Dame will glücklich sein“ und „Happy End“ bewies sie ihr Können als leichte Operettensoubrette in schwungvollen Stücken.
Foto 3: Jonas Böhm als Zimmerkellner Albert und Nathalie Parsa (Marylou Macintosh) als verkleidetes Zimmermädchen (Foto: Marie Liebig)
Schauspieler Matthias Herold als Großfürst Paul, seit 1983 Ensemblemitglied, Schauspieler Peter Liebaug als Filmagent Sam Macintosh, seit 2014/15 im Ensemble und Schauspieler und Sprecher Jan Kämmerer als Hoteldirektor Matard meisterten ihre Partien souverän. Sopranistin Cordula Rochler als Gräfin Inez de Ramirez absolvierte ihre Rolle als vulgäre und extrovertierte Adlige glaubwürdig mit großer humoristischer Begabung.
Anne Ellersiek als Infantin Isabella, Matthias Herold als Großfürst Paul, Cordula Rochler als Gräfin Inez de Raimrez und Giulio Alvise Caselli als Prinz Andreas Stephan
Dieses als Operette bezeichnete revueartige Musical, mit musikalischen Einschlägen von Salonmusik, Jazz, Foxtrott, Stepptanz und anderen Tanzstilen der 1920er Jahre, mit schmelzenden Nummern im hohlen Einerlei des Schlagerstils, oberflächlichem Inhalt und oftmals zu laut dröhnender Bigbandmusik der Meininger Hofkapelle (Musikalische Leitung: Harish Shankar), die teilweise sogar die Solisten übertönte, zeigte eine überspitzte Karikatur der adligen Etikette im Umgang mit neureichen Bürgerlichen á la Rosamunde Pilcher oder diverser romantischer Fernsehserien. Auch spritzige und ironische Dialoge, der Gegenwartseinbezug und die gelungene Komik Jonas Böhms, können diese Schunkelkomödie, dieses zu recht vergessene Werk Paul Abrahams, diesen Nonsens, zu keinem Erlebnis hochstilisieren. Statt leichtester Unterhaltung wären Werke mit mehr Niveau empfehlenswert. Eine ausgewogene Ensembleleistung, die beim Publikum begeisterten Applaus und Bravos für Nathalie Parsa hervorrief.
Claudia Behn, 20.10.2020
Fotos (c) Marie Liebig