Besuchte Aufführung: 12.6.2015 (Premiere: 18.4.2015)
Die künstliche Natur der Glamourwelt Hollywoods
Es sind nicht nur Mozarts sieben letzte Opern, die regelmäßig aufgeführt gehören. Auch sein für den Münchner Fasching 1775 geschriebenes Frühwerk „La finta giardiniera“, zu deutsch „Die Gärtnerin aus Liebe“, hat sich einen ständigen Platz im Repertoire der Opernhäuser verdient – jedenfalls wenn man sich die gelungene Produktion am Theater Augsburg vor Augen führt.
Cathrin Lange (Violante/Sandrina)
Hier haben wir es mit einer ausgesprochenen Rarität zu tun, für deren Ausgrabung dem Augsburger Theater sehr zu danken ist. Ursprünglich eine Opera buffa, weist sie aber auch Anklänge an die herkömmliche Opera seria auf. Das daraus entstehende Stilgemisch ist recht reizvoll. Ins Auge springt, dass bereits in diesem frühen Stück des 18jährigen Mozart viele Charakteristika seiner späteren Opern bereits angelegt sind. Wenn man genau hinhört, vernimmt man bereits Anklänge an so manches später zu Berühmtheit gelangte Motiv. Und auch die musikalische Charakterisierungskunst des jungen Mozart war in diesem noch frühen Stadium seines Wirkens bereits trefflich entwickelt.
Giulio Alvise Caselli (Nardo), Matthias Schulz (Don Anchise), Samantha Gaul (Serpetta), Stephanie Hampl (Ramiro)
In der Herausarbeitung und Wiedergabe dieser Feinheiten besteht auch eine unbestreitbare Stärke von Carolyn Nordmeyer, der zweiten Kapellmeisterin des Theaters Augsburg, bei der sich Mozarts Partitur in besten Händen befand. Sie ging die Sache zusammen mit den gut gelaunt und versiert aufspielenden Augsburger Philharmonikern tempomäßig und von der Dynamik her sehr differenziert und abgestuft an und bewies zudem ein ausgezeichnetes Gespür für Klangfarben und deren Auffächerungen. Dabei verstand sie es hervorragend, die Spannung zu halten. Wo sie sich mit Blick auf Mozarts Vorgaben mal etwas zurückhielt, wartete sie dafür mit um so prägnanteren Akzenten auf. Den großen Bogen behielt sie stets im Auge, schenkte aber auch den mannigfaltigen Details ihre Aufmerksamkeit. Das war Mozart vom Feinsten!
Cathrin Lange (Violante/Sandrina)
Einfach entzückend und größtenteils ausgesprochen kurzweilig und unterhaltsam war die Inszenierung von Roland Schwab, der sich dem Stück mit viel Liebe und einem trefflichen Gespür für Situationskomik angenommen hat. Er war sich im Klaren darüber, dass Mozarts Werk in seinem traditionellen Kontext keine sonderliche Wirkung entfalten würde und hat es demzufolge gekonnt in die Gegenwart transferiert, und zwar in die Schicki-Micki-Welt der High Society Hollywoods. Von der von David Hohmann entworfenen, auf einer Anhöhe verorteten Villa des Podestà mit Lamellenwänden, Swimmingpool, Fitnessgeräten und Massageliege sieht man auf das erleuchtete Los Angeles hinunter – ein hübscher Anblick. Sämtliche der von Renée Listerdal in sommerliche Frische atmende Pastellfarben eingekleideten Handlungsträger fügen sich bestens in dieses Ambiente der insgesamt reichlich dekadent wirkenden Schönen und Reichen ein. Der Podestà mit Namen Don Anchise ist offenbar ein reicher Filmproduzent, Arminda stellt eine ausgediente Schauspielerin dar und die sich ständig auf Rollschuhen fortbewegende Serpetta wird als weiblicher Emporkömmling vorgeführt. Belfiore ist Johnny Depp nachempfunden und die hier von der ursprünglichen Gärtnerin zur Poolreinigerin gewordene Violante alias Sandrina deutet der Regisseur als eine zielstrebig vorgehende Newcomerin im Filmgeschäft, die mit ihren weiblichen Reizen nicht geizt und sich dem Filmboss Anchise auch mal in einem knappen Bikini zeigt. Das ist schon ein ausgemachtes Luder, das sich nur deswegen entblättert, um eine Rolle zu bekommen.
Christopher Busietta (Belfiore), Cathrin Lange (Violante/Sandrina)
Auch sonst weiß diese kühl berechnende Frau ganz genau, was sie will. Nämlich Rache nehmen an ihrem Ex-Geliebten Belfiore, der sie in der Vorgeschichte im Verlauf eines Streits mitten in der Wüste aus einem fahrenden Auto gestoßen und dann einfach liegengelassen hat. Dieses Erlebnis, dem Schwab eine ganz zentrale Relevanz zumisst, und das zu Beginn in Form eines Films über den Vorhang flimmert, hat bei Violante eine Psychose ausgelöst. Als Sandrina setzt sie nun alles daran, es Belfiore gehörig heimzuzahlen, dem die Herzen der Frauen nur so zufliegen, obwohl ihm an seinem äußeren Erscheinungsbild, das immer nur aus Lederjacke und einfachen Jeans besteht, im Gegensatz zu den anderen Protagonisten nicht viel gelegen zu sein scheint. Er ist schon ein etwas verlotteter Charakter, der von der angeblichen Sandrina hart angegangen und zu einem regelrechten Psychoduell auf Augenhöhe gefordert wird. Mit dieser Frau, die sich von der traditionellen Opferrolle weit entfernt, ist nicht zu spaßen, die hat ihren ganz eigenen Kopf, der eigentlich auf nichts weiter als Vergeltung aus ist – schon deshalb, weil sie ihr Trauma noch immer nicht überwunden hat. Im Lauf des Abends wird sie zunehmend von in Form von Flashbacks ablaufenden Erinnerungen an die fatale Autofahrt heimgesucht, die ihre Rachegelüste vorerst aber nur noch steigern. Sie ist eine ernstzunehmende Gegnerin für ihren Ex-Geliebten. Dem Psychoduell entspricht sinnbildlich der aus wilden Ranken bestehende Garten, zu dem der Swimmingpool am Ende des zweiten Aktes geworden ist. Man kann ihn als Auswuchs der menschlichen Psyche auffassen, der zunehmend auch die anderen Handlungsträger ergreift und ein totales Verwirrspiel in Sinne von Shakespeares „Sommernachtstraum“ auslöst, bevor sich im dritten Akt nach einem Autounfall, den Sandrina und Belfiore besser überstanden haben als ihr auf dem Rücken liegender Luxusschlitten, alles in Wohlgefallen auflöst. Durch das neue schlimme Ereignis gelingt es Sandrina, ihrer Psychose endlich Herr zu werden. So ganz überzeugend ist Mozarts Stückdramaturgie indes nicht – ein Fakt, dem Schwab dadurch Rechnung trägt, dass er dem Ganzem gekonnt den Anstrich des Künstlichen verleiht. Hier scheint alles nicht echt, sondern nur gemacht zu sein. Aber genau das macht die Filmwelt Hollywoods ja gerade aus. Insoweit geht der Ansatz des Regisseurs voll und ganz auf.
Cathrin Lange (Violante/Sandrina), Christopher Busietta (Belfiore)
Von den Sängern ist an erster Stelle die junge Cathrin Lange zu nennen, die mit hervorragend italienisch geschultem, warm und emotional geführtem lyrischem Sopran eine wunderbare Violante/Sandrina sang, die sie auch überzeugend spielte. Die Partie des Podestà Don Anchise, sonst eine Domäne der flachen, maskigen Tenöre, hat der über sonores, fast schon baritonal wirkendes, gut fokussiertes Stimmmaterial verfügende Mathias Schulz vokal erheblich aufgewertet. Auch darstellerisch hat er dem protzigen Film-Boss gut entsprochen. Mit einer hervorragenden schauspielerischen Ader, immenser Spiellust und einer herrlichen Turneinlage stattete Giulio Alvise Caselli den Nardo aus, den er mit solide verankertem, frisch und flexibel klingendem Bariton auch ansprechend sang. In der Hosenrolle des Ramiro bewährte sich mit voll und rund klingendem Mezzosopran Stephanie Hampl. Elegant und tiefgründig sang Andréana Kraschewski die Arminda. Weniger ansprechend schnitten Christopher Busietta als Belfiore und Samantha Gaul als Serpetta ab, die beide ohne schönes appoggiare la voce und zudem sehr kopfig klangen.
Fazit: Ein heiter-vergnüglicher Abend auf insgesamt hohem Niveau, der die Fahrt nach Augsburg wieder einmal voll gelohnt hat. Diese reizvolle Rarität sollte auch von anderen Opernhäusern zur Aufführung gebracht werden.
Ludwig Steinbach, 14.6.2015
Die Bilder stammen von A. T. Schaefer