Teatro Sociale
Premiere: 24.11.2018
Ausflug ins Raritäten-Kabinett – Teil 1
Lieber Opernfreund-Freund,
seit Jahren präsentiert die Fondazione Donizetti in Bergamo im Rahmen eines Festivals Werke das wohl berühmtesten Sohnes der Stadt, die teilweise seit Donizettis Lebzeiten kein Mensch mehr hat hören, geschweige denn auf einer bespielten Bühne hat sehen können. Hier hat man dieses Jahr nicht nur Gelegenheit, einen Ausflug ins Raritäten-Kabinett zu unternehmen, sondern auch eine Aufführung im derzeit als Ausweichspielstätte für das sich in Generalsanierung befindliche Teatro Donizetti fungierenden Teatro Sociale in Bergamos hinreißend romantischer Oberstadt zu erleben. Gestern also präsentierte man in den Gassen, durch die vielleicht schon der kleine Gaetano spaziert ist, eine der zahlreichen Oper, die sich um die englische Virgin Queen Elisabeth I. und Robert Dudley, den Grafen von Leicester dreht, Il Castello di Kenilworth.
In gewohnt traditionellem Setting beschränkt man sich beim hiesigen Festival darauf, die jeweilige Geschichte zu erzählen – und die geht in diesem Fall so: Elisabeth I. hat eine Liebesbeziehung zum Grafen Leicester, der aber heimlich Amelia Robsart geheiratet hat und mit ihr auf Schloss Kenilworth lebt. Als die Königin ihren Besuch ankündigt, beauftragt Leicester seinen Vertrauten Lambourne, Amelia in einem abgelegenen Teil des Kastells zu verstecken. Der hinzugezogene Stallknecht Warney wittert seine Chance und gaukelt Amelia, die er selbst begehrt, vor, Leicester würde sie nicht mehr lieben, und macht ihr Avancen. Als sie ihn zurückweist, schwört er Rache. Als Leicester Amelia jedoch besucht, glaubt sie seinen Liebesbeteuerungen nicht und vertraut sich ausgerechnet der mittlerweile eingetroffenen Königin an. Diese lässt Amelia festnehmen, erkennt aber die Aussichtslosigkeit ihrer eigenen Liebe, als Leicester ihr die Ehe mit Amelia gesteht. Warneys Versuch, Amelia zu vergiften, wird durch deren Vertraute Fanny vereitelt, so dass einem Happy End nichts mehr im Wege steht.
Die Komposition, die Gaetano Donizetti dazu ersonnen hat und die 1829 in Neapel uraufgeführt wurde, gehört sicher nicht zu den genialsten des Bergamasker Meisters, allerdings hat das Werk durchaus seine Stärken, jedoch nicht unbedingt in halsbrecherischen Koloraturen, sondern eher in den Ensembles. So gelingen ihm wunderbare Duette und ein tolles Quartett zum Finale des zweiten Aktes; zudem nimmt der Einsatz der Glasharfe (gespielt von Sascha Reckert), der eine ähnliche Szene der Amelia untermalt, in gewisser Weise die Wahnsinnsarie aus Lucia di Lammermoor vorweg. Maestro Riccardo Frizza am Pult des Orchestra Donizetti Opera lässt eine farbenreiche Partitur erklingen, überzeugt durch spannende Tempiwechsel und ist den Sängerinnen und Sängern eine wahre Stütze.
Als Elisabetta glänzt die australische Sopranistin Jessica Prat mit atemberaubenden Höhen und einem unglaublichen Farbenspiel. Die aufwändigen Roben, die Ursula Patzak ihr geschneidert hat, geben ihrer brillanten Leistung den passenden Rahmen. Warney, der von der Regisseurin Maria Pilar Pérez Aspa mit klerikalen Attributen aufgewertet wird, findet im Rumänen Stefan Pop einen idealen Gestalter, der seinem kraftvollen und ausdrucksstarken Tenor eine gewisse Durchtriebenheit anhören lässt und zudem mit ausdruckvollem Spiel überzeugt. Letzteres ist – auf hohem Niveau gejammert – vielleicht das Manko der ansonsten durchweg überwältigenden Carmela Remigio. Die Italienerin verfügt über viel Kraft und Ausdruck, verliert sich als Amelia aber in weiten Teilen in allzu opernhaften Gesten und legt diese erst – aber noch rechtzeitig – zu ihrer großen Szene im dritten Akt ab. Xabier Anduaga ist ein Leicester, der eine unglaubliche Dolcezza und beeindruckende Höhe zeigt. Im direkten Vergleich allerdings, steht der erst 23jährige Spanier verständlicherweise bisweilen ein wenig im Schatten seiner gestandenen Kollegen. Sein ausdrucksstarke Lyrik verströmender Tenor jedoch bleibt im Gedächtnis und macht Lust auf mehr. Gleiches gilt für den kräftigen und imposanten Bass von Dario Russo, dem ich als Lambourne eine ebenso umfangreichere Partie gewünscht hätte wie Federica Vitali, die mit viel Wärme der Fanny Kontur verleiht. Die Protagonistinnen und Protagonisten glänzen allesamt auf der schiefen Einheitsbühne von Angelo Sala, erstaunlich wenige Requisiten erlauben einen Blick aufs Wesentliche und nicht nur mit dem Schlussbild, das Elisabeth als von der Gesellschaft Ausgeschlossene zeigt, gelingt Maria Pilar Pérez Aspa eine spannende Umsetzung des pseudo-historischen Stoffes.
Das Publikum im natürlich restlos ausverkauften Teatro Sociale ist zu Recht begeistert, feiert alle Mitwirkenden gleichermaßen und vergisst dabei auch den von Fabio Tartini betreuten Coro Donizetti Opera nicht, dessen sauber aufeinander abgestimmte Stimmen den Abend musikalisch rund machen. Und auch ich freue mich darauf, Ihnen schon morgen von gleicher Stelle und einer weiteren Ausgrabung zu berichten.
Ihr Jochen Rüth 25.11.18
Fotos © teatro sociale