Hunger nach Klassik
Wie groß das Verlangen nach Live-Kultur ist, zeigte auch die Wiederholung von Lieblingsstücke Live I am 24.10., denn die Deutsche Oper war, natürlich im Rahmen von Corona-Vorsichtsmaßnahmen, wieder so gut wie ausverkauft. Im Vergleich zu Lieblingsstücke Live II war das Programm noch interessanter, da es auch weniger bekannte Musik bot, so eine Arie des Massimiliano aus Verdis I Masnadieri (nach Schillers Räubern) von Giuseppe Verdi, die der Bass Patrick Guetti nach humorvoller Eigen-Moderation mit gewaltigem Material, das noch ein wenig des Feinschliffs bedarf, zum Besten gab. Später ließ er als nicht nur stimmmächtiger, sondern auch durch Körpergroße beeindruckender Osmin den beiden Einlass in das Serail begehrenden asiatischen Tenöre eigentlich keine Chance. Begonnen hatte es wie beim Alternativabend mit der Hallenarie aus Tannhäuser, und auch diesmal war sichtlich das Auditorium des Hauses gemeint, dass die Sopranistin Flurina Stucki besang, wie ihre Vorgängerin mit einigem Metall in der Mittellage, aber zu angestrengt und damit tremolierend in der Höhe. Viel besser lag ihr später die Fiordiligi im „Soave sia il vento“ (wunderbar begleitet am Flügel von John Parr) und im „Prenderò quell‘ brunettino“, wo sich die Stimme hörbar wohl fühlte und entsprechend angenehm klang. Ihre Mezzopartnerinnen waren Arianna Manganello und Karis Tucker. Erstere hatte als Bellinis Romeo viel Sinn für dessen unendliche Melodie gezeigt, gefiel durch Geschmeidigkeit, eine gute Tiefe und bei der Wiederholung auch durch eine präsente Höhe. Wie alle anderen war auch ihr mit einer Requisite, in ihrem Fall ein Degen, die Möglichkeit gegeben, zumindest halbszenisch tätig zu werden. Letztere hatte ebenfalls Bellini für ihren großen Auftritt gewählt und hatte als Adalgisa durch das schöne Ebenmaß der Stimme, einen beachtlichen Schwellton gefallen können.
Nicht nur Stipendiaten, sondern auch bereits fest zum Ensemble gehörende Sänger traten an diesem Abend auf, so der Bariton Thomas Lehman mit dem großen Monolog des Ford, den er mit imponierender Stimmkraft und einfühlsamem Spiel gestaltete. Gleichzeitig als Virtuosin und als Komödiantin begeisterte Alexandra Hutton mit „Glitter and be gay“ aus Bernsteins Candide, nachdem Gideon Poppe mit farbiger Mittellage die Szene der Titelpartie gestaltet hatte. An Tenören mangelte es an diesem Abend nicht. Michael Kim zeigte schönes Material in „Un aura amorosa“, eine angenehm leichte Emission der Stimme und ein feines Piano. Ya-Chung Huang war Pedrillo und Mime und schwankt wohl noch zwischen den beiden Fächern. Patrick Cook wagte sich an Jung-Siegfrieds Schmiedelieder, klang zwar heldisch, aber nicht jung und strahlend genug, sein Mut wurde aber durchaus vom Publikum mit Beifall belohnt. Mit viel Spielfreude, der Fähigkeit, mit dem Publikum zu kommunizieren und mit einem leichtgängigen Bass sang schließlich Tyler Zimmerman Massenets Sancho. Auch dieser Abend wollte für den Schlussakzent nicht auf die Fuge aus Verdis Falstaff verzichten.
Durch den Abend führte der Tenor Jörg Schörner, über Opern-Inhalte und Karriereverläufe informierend. Glücklich schätzen können sich die Sänger, die die Dienste der beiden Pianisten Elda Laro und John Parr in Anspruch nehmen dürfen, beide als Korrepetitor bzw. Spielleiter am Haus tätig.
Foto vopm Autor
25.10.2020 Ingrid Wanja