Konzertante Premiere am 4.9.2019
Diva singt Primadonna
Wie schön, dass es immer wieder Diven gibt, die sich zumindest für eine konzertante Aufführung Cileas Adriana Lecouvreur wünschen, in den Direktionsetagen als tragische Operette verunglimpft, von den Sängern und von Teilen des Publikums jedoch heiß geliebt. Und so kam sogar das ansonsten durch neuzeitliche Opern und „moderne“ Inszenierungen geplagte Berliner Publikum in der Deutschen Oper bereits zweimal in den Genuss des raffinierten Werks: vor einigen Jahren mit Angela Gheorghiu und Jonas Kaufmann als unseligem Liebespaar und nun mit Anna Netrebko und dem ihr angetrauten Yusif Eyvazov, wobei bei letzteren mehr geküsst wurde, es bei ersteren aber mehr knisterte.
Unkenrufe einer Berliner Tageszeitung ließen das Schlimmste, nämlich eine Absage der Diva befürchten, die tatsächlich in Salzburg kürzlich nur zwei von drei vorgesehenen Adrianen gesungen hatte, was das enttäuschte Publikum den Gatten büßen ließ, aber sie kam, erfreute mit wechselnden, stets mit Glitzer versehenen Roben und mit einer urgesunden, schwer und dunkel gewordenen und fast schon über das Fach hinausgewachsenen Stimme. Von Anfang an tragisch umflort, melodramatisch eingesetzt, ließ die ganz in der Partie aufgehende und eine Szene nie vermissen lassende Sängerin eine zum Erstaunen des Hörers sich scheinbar leicht auch in reicher Agogik ergehende Sopranstimme vernehmen, mit häufigem chiaro-scuro und bewundernswerten Decrescendi. Sowohl die „ancella“ als auch die „poveri fiori“ werden so schön wie ausdrucksstark gesungen, beim hingebungsvoll deklamierten Monolog der Phädra fürchtet man um die Stimme, berührend ist die Zartheit von „meglio morir“. Während der Vorstellung ist die Netrebko unangefochtene Primadonna, danach scheint sie ganz kumpelhaftes Naturkind mit fröhlichem Winken ins Publikum zu sein, was allemal besser als das Umgekehrte ist.
Eine würdige Partnerin ist der Russin die Landsmännin Olesya Petrova als Fürstin von Bouillon mit rundem, vollem, metallischem Mezzosopran, der die Bruststimme auf delikate Weise einsetzt und den leidenschaftlichen Aplomb der großen Arie scheinbar mühelos bewältigt. Da fühlt man sich manchmal an die Fürstin aller Fürstinnen, Fiorenza Cossotto, erinnert.
Hübsch anzusehen- und anzuhören sind die beiden Kolleginnen der Adriana Vlada Borovko und Aigul Akhmetshina als Jouvenot und Dangeville. Von den beiden sie begleitenden Herren fällt besonders die sehr angenehm timbrierte Stimme von Padraic Rowan als Quinault auf.
Nicht böse sein kann man dem Tenor, denn er gibt alles: und das wären ein engagiertes Spiel, eine unermüdlich im Forte singende Stimme allerdings wenig angenehmen Timbres, ein Sicheinfügen in das Ensemble. Aber die dolcissima effigie bleibt nun einmal ohne jede dolcezza. Ein grandioses Highlight hingegen ist der Auftritt von Alessandro Corbelli als Michonnet, ein zartes Altchen mit einer noch immer grandiosen Stimme, mit zutiefst berührendem Spiel und dem Wissen darum, was die Partie erfordert. Optisch zu jung und vokal eine Bass-Wucht ist Patrick Guetti als Principe, eher trocken intrigant als süffig lüstern hört sich der Charaktertenor von Burkhard Ulrich für den Abbé an.
Der Damenchor begleitet duftig das Ballett, das Orchester unter Michelangelo Mazza beweist leider zu selten, so im Vorspiel zum letzten Akt, dass es sich auch sensibel auf die Musik einstellen kann.
Ein großer und beglückender Abend, der doch wie bisher auch sonst noch keiner die Erinnerung an die Adriana Lecouvreur in der Regie von Mauro Bolognini auslöschen kann. Nicht wegen des dort, über viele Bühnen Italiens gegangen und auch von der RAI ausgestrahlt, zu sehenden Balletts, sondern wegen der einmaligen Eleganz, Raffinesse, des zur Musik passenden Hauchs von Geheimnisvollem von Raina Kabaivanska, der melancholischen Pianissimi im L’anima ho stanca“ von Franco Tagliavini, ja auch des von einem sanften Windhauchs bewegten Vorhangs im Sterbezimmer der Adriana. Wer das einmal oder sogar einige Male erlebt hat, vergisst es nie.
Fotos (c) Bettina Stöß
5.9.2019 Ingrid Wanja