Berlin: „Don Quichotte“, Jules Massenet

Bericht von der Premiere am 30. Mai 2019

Mehr comédie als héroique

Seine Vorliebe für Pantomime, zirzensische Elemente oder akrobatischen Tanz kann der schwedische Regisseur Jakop Ahlborn bei der Inszenierung von Jules Massenets Don Quichotte an der Deutschen Oper nicht verleugnen und bietet den verblüfften Augen des Zuschauers fast ein Übermaß an skurrilen Figuren, so einen zu dicken, einen zu großen Mann mit im Verhältnis zur Statur zu kleinen Köpfen, dazu, um das Trio zu vervollständigen, noch einen dritten, kopflosen Mann, die allesamt, abgesehen vom treuen Sancho Pansa als einzige den Tod des Ritters von der traurigen Gestalt voller Mitleid beweinen.

Daneben gibt es im dritten Akt ein Ballett von Krabbelkäfern, davor schon drei sich schlangenmenschartig windende Dulcinées, einen Riesenkopf, der wohl der des Ritters sein soll, aber wie eine Mischung von Lenin und Atze Brauner wirkt. Riesenhände führen ein Eigenleben, aus einem Superriesenhaupt im Hintergrund schlängelt sich eine endlos lange Zunge in das Bühnenbild, in seinem Mund können Figuren verschwinden, statt einer Mühle mit Riesenflügeln gibt es auf den Tischen der modernen Bar, in der zwei der fünf Akte spielen, viele winzig kleine Windmühlen, und sie fordern die Phantasie des Zuschauers heraus. Trockeneis lässt üppig Dämpfe wabern, Don Quichotte lässt Rosenblätter und ein üppiges rosenfarbenes Gewand über Dulcinée regnen, Entfesselungskünstler sind in der Räuberhöhle am Werk und sorgen dafür, dass anstelle des Don einer der Missetäter am Pranger zwar nicht steht, aber liegt. Vor den Fenstern des Bühnenraums wogt ein grauer nordischer Himmel, ist eine ebenfalls eher nordische Flora zu besichtigen. „Oh Täler weit , oh Höhen“ fällt dem Betrachter eher ein als spanisches Liedgut. Einen Kontrast zum bunten Geschehen auf der Bühne (Katrin Bombe) bietet diese selbst, eine moderne Kantine mit ebensolchen Tischen und Stühlen und einer Art Bar im Hintergrund, aseptisch und grau wie die Einheitskostüme, nämlich Anzug, Hemd, Schlips, für Damen wie für Herren des Chors, für die Katrin Wolfermann die Verantwortung trägt, der allerdings auch die phantasievollen Käferkostüme zu verdanken sind. Ein kleiner, bösartiger Hinweis darauf, wie es auch sein könnte, ist das spanische Kostüm des Solo-Gitarristen Gonzalo Calis.

Das alles könnte dazu führen, dass die beiden Hauptfiguren, Don Quichotte und Sancho Pansa, keine Chance haben, sich gegenüber der üppigen Szene zu behaupten, umso mehr, als sie optisch den Vorstellungen, die durch Cervantes‘ Roman geweckt werden, kaum entsprechen, denn Seth Carico, der Sancho, ist groß und schlank, Alex Esposito, der Don Quichote, kleiner und nicht gerade dürr. Vokal sind sie, da beide Bässe, kaum voneinander zu unterscheiden, schon gar nicht durch ein unterschiedliches stimmliches Potential. Die Stimme des italienischen Basses, die zunächst auf der Buffoschiene angesiedelt zu sein schien, hat sich in den letzten Jahren enorm entwickelt, an Volumen und Farbe gewonnen und bewältigt auch an diesem Abend die mörderische Partie auf anerkennenswerte Weise, ohne bereits ganz an die großen Dons wie Schaljapin, für den die Partie geschrieben wurde, oder van Dam oder Ramey und deren abgrundtiefe Schwärze heranzureichen. Der amerikanische Bassbariton Seth Carico besticht durch die Farbigkeit und die Flexibilität seiner Stimme und lässt auch darstellerisch nichts zu wünschen übrig, verkörpert sogar zusätzlich zum Sancho die Rosinante, während der Esel gestrichen wurde.

Einen kleinen Schock bereitet mit ihrem ersten Auftritt Clémentine Margaine als Dulcinée, so sehr ist seit ihrem letzten Auftritt ihre Figur aus den Fugen geraten, und aufatmend stellt man fest, dass sie sich wohl in bereits weit fortgeschrittenem Stadium froher Erwartung befindet. Eine leichte Kurzatmigkeit und eine brustige Tiefe ist wohl dem bevorstehenden freudigen Ereignis geschuldet, ansonsten kann man sich, ganz besonders in der elegischen Arie im vierten Akt, wieder an dem Ausnahmetimbre, der Eleganz des Singens und der starken Bühnenpräsenz erfreuen. Das Quartett der Räuber bzw. Kavaliere ist mit dem Sopran Alexandra Hutton, dem Mezzo Cornelia Kim, dem Tenor Samuel Dale Johnson und ganz besonders dem Bariton James Kryshak vorzüglich besetzt. Der Chor unter Jeremy Bines macht optische Eintönigkeit durch farbiges Singen wett.

Die schönste Musik hat Massenet für das Orchester geschrieben, so das Cello-Vorspiel zum letzten Akt, und Emmanuel Villaume am Dirigentenpult weiss das auf höchst eindrucksvolle Weise zu dokumentieren, lässt hören, dass Don Quichotte trotz allen Kastagnettengeklappers und des Einsatzes der Gitarre eine durch und durch französische Oper ist.

Diese Produktion von Don Quichotte reiht sich ein in eine beachtliche Folge gelungener Premieren der DO in der nun bereits fast vergangenen Spielzeit. Nun wünscht man sich einen ähnlichen Erfolg auch einmal für eines der ganz großen Werke des Standardrepertoires, etwa bei Verdi oder Wagner. Hoffen wir auf den Beginn des neuen Rings in der nächsten Saison!

31. Mai 2019, Ingrid Wanja

Fotos: Thomas Aurin