Premiere am 19.6.2018
Allzu durchsichtig
Erstaunliches hat sich im Werkstatttheater der Deutschen Oper, der ehemaligen Tischlerei, getan: Die hässlichen Wände sind rundum mit Gazeschleiern verhüllt, die Zuschauer sitzen an den beiden Längsseiten auf Podesten, die sich nach rechts und links bewegen lassen, die Bühne befindet sich in der Mitte, und die Zuschauer fahren quasi an der Behausung für das Personal von Wir aus Glas auf und ab, sehen sich mal dem Vorgärtchen mit frisch gepflanztem Bäumchen, mal der Garderobe, der Bar, dem Esstisch, dem Schlafzimmer oder dem Bad gegenüber (Szene Jo Schramm). Hier wohnen fünf Personen, zwei Paare und ein Fünfter, davon vier Sänger und ein Schauspieler, der zunächst einer der Ehemänner ist, dann aber von dem vierten Sänger als solcher ausgebootet wird. Zwischen den handelnden Personen wandeln die Orchestermitglieder, auch sie in Kostümen, so die Geige mit Duschhaube, Hot Pants und Sonnenbrille, schließlich hält sie sich vorzugsweise im Bad auf, was Geigen eigentlich nicht gut bekommen soll. Ein schweres Schicksal verbindet die Fünf mit einander, denn sie müssen Tag für Tag und Nacht für Nacht in eintönigem Rhythmus immer dasselbe vollführen, oft Müsli essen, auch mal aufs Klo gehen, nur einmal in der Woche sich ein Festessen zubereiten.
Die Verfasserin des Librettos, Gerhild Steinbuch, auch Gründungsmitglied von „Nazis & Goldmund“ (Welch‘ feine Anspielung!)gegen die europäische Rechte, benennt das Dilemma der Hausbewohner in klaren Worten so: Privatleben als „ eine öffentlich gewordene Ausformung des kognitiven Kapitalismus, als Strategie der Selbstinszenierung, des Verkaufs der eigenen Marke“. Das sollte man vorher gelesen haben, sonst käme man vielleicht auf die Idee, es handle sich bei den Personen, insbesondere bei dem „Traurigen Mann“, lediglich um einen ewig nörgelnden sich selbst Bemitleidenden, dem es recht geschieht, wenn ihm die Frau wegläuft. Gespielt wird diese Unglücksfigur übrigens ganz vorzüglich von Steffen Scheumann. Auch die Sänger machen in der professionellen Regie von David Hermann ihre Sache sehr gut: Clemens Bieber hat einen so jung gebliebenen Tenor, so dass man ihm den Alten Mann nicht abnimmt, Thomas Florio ist der „Junge Mann“, hat leider wenig zu singen, sieht aber attraktiv aus. Die beiden Damen, Michelle Daly und Alexandra Hutton, wie die dazu gehörigen Männer in Lindgrün bzw. Fliederfarben (Kostüme You-Jin Seo), sind in jeder Hinsicht, optisch wie vokal attraktiv. Wohltönend bringt sich auch ein fünfstimmiger Chor in das Geschehen ein. Leider kann man den gesungenen Text nicht besonders gut verstehen, weil die Instrumente das weitgehend verhindern, andererseits ist es vielleicht gar nicht so schlecht, wenn man seine Phantasie walten lässt. Zum Beispiel könnte man darüber nachdenken, was die Personen außer Hauses tun, geht doch der Alte Mann regelmäßig mit Aktentasche zur Arbeit und verrichtet vielleicht eine ihn zufrieden stellende solche, täuscht vielleicht aber auch nur vor, noch eine Anstellung zu haben, das wäre im bösen Kapitalismus durchaus möglich. Aber wer bezahlt dann Lachshäppchen und Rotwein, die auf die Tafel kommen? So viele Fragen bleiben unbeantwortet!
Mit bedeutsamen Problemen musste sich der Komponist Yasutaki Inamori herumschlagen, so dem, wie lange Zähneputzen dauert und wieviel Musik man dazu komponieren sollte, fand sich dann aber entschädigt durch die Tatsache, dass Zähne wie Geigensaiten „nebeneinander in senkrechter Richtung“ liegen. Wesentlich soll für das Stück und seine Aufnahme durch den Zuschauer sein, dass er nur Ausschnitte sieht, aber die gesamte Musik hört. Diese wird von den engagiert spielenden jungen Musikern des Opera Lab Berlin e.V. dargeboten, die ohne Dirigenten auskommen müssen und selbst zum Teil der Handlung werden, so am Festessen teilnehmen. Wahrscheinlich ist es ein nicht mehr gut zu machender faux pas, wenn man die unter dem Einfluss von Telemanns Tafelmusik stehenden Kompositionsteile für die gelungensten hält, selbst wenn die ironischen Elemente, die die Musik durchaus auch enthält, einiges Vergnügen bereiten können.
19.6.2018 Ingrid Wanja
Fotos Elke Walkenhorst