Berlin: „Maria Stuarda“

31.05.2018

Weils so schön war eine zweite Kriti

Wenn Blicke töten könnten – die vernichtenden Blicke, welche Jana Kurucová als Elisabetta wie giftige Pfeile auf ihren untreuen Liebhaber Leicester und auf ihre Rivalin um den englischen Thron, Maria Stuarda (Diana Damrau), abschoss, hätten jedenfalls das Potential dazu gehabt. Die Aufführung dieser Donizetti-Oper war zwar als „konzertant“ angekündigt worden, doch geboten wurde dem Publikum von den Protagonisten ganz großes Kino. Das begann schon bei den sensationellen, luxuriösen Roben der beiden Königinnen, den beiden Diven: Elisabetta betrat in einem sexy, körperbetonten, eisblau und anthrazit schillernden Abendkleid die Bühne, Maria durfte gleich drei Roben präsentieren, erst einen ebenso schön schillernden Traum in Schwarz/Rot, dann schlichtes, spitzenbesetztes Schwarz und am Ende weich fallenden, weinroten Samt.

Der erste Teil der Oper gehörte Elisabetta – und Jana Kurucová ließ in keinem Moment, weder darstellerisch noch vokal, Zweifel aufkommen, wer hier die rechtmäßige Königin ist. Mit majestätischer, selbstbewusster Attitüde betrat sie das Podium, Königin und Diva in einem. Ihre Darstellung war ein Konglomerat aus Bette (Davis), Marilyn (Monroe) und Lana (Turner), garniert mit einem Hauch Rita (Hayworth) – also schlicht umwerfend. Und dies auch gesanglich: Das satte Timbre dieser fulminanten Mezzosopranistin klang ausgeglichen in allen Lagen, entwickelte in der Höhe eine strahlende Leuchtkraft, verfügte über eine natürlich strömende, unforcierte Tiefe, vermochte die Töne herrlich mit Koketterie zu umschmeicheln, zeigte eine spöttische, sarkastische Seite, wie eine listige Schlange. Dabei offenbarte sie neben dem robusten Selbstbewusstsein auch die empfindsamen Seiten der „Virgin Queen“, die Angst vor dem Alleinsein, das Hadern mit der Entscheidung, eine „Schwester“, eine Königin hinrichten zu lassen. Und doch ließ sie ab dem Ende des vokalen Duells mit Maria keine Zweifel an ihrem zu fällenden Entscheid offen. Zwar traf sie das „vil bastarda“, welches Maria ihr entgegenschleuderte, hart in der Seele, doch gebrochen war sie nicht – im Gegenteil.

Ja, dieser Kulminationspunkt der Oper, die Begegnung der beiden Königinnen im Park von Fotheringhay (die in Wirklichkeit ja nie stattgefunden hatte), ist ein von Donizetti kongenial vertonter Schlagabtausch von Beleidigungen, von den beiden Diven Diana Damrau und Jana Kurucová hollywoodreif umgesetzt. Wie sie sich da die gegenseitigen Beleidigungen ins Gesicht schleuderten (nur wenige Zentimeter voneinander getrennt), das war allererste Soap-Opera-Sahne. Diana Damrau als Maria hatte zuvor noch in ihrer Auftritts-Kavatine mit fein hingetupften Fiorituren geglänzt, einem schönen Messa di voce in den Selbstmitleid-Passagen, sich in einem Duett mit Leicesters Tenor (Javier Camarena) in zum Dahinschmelzen schönen Tönen vereinigt.

Einzig bei einigen Acuti und in fortissimo-Phrasen in hoher Lage zeigten sich Verhärtungen in der Tongebung. Aus dem darauffolgenden Divenkrieg ging nur vordergründig Maria als Siegerin hervor – die Mimik Elisabettas sprach Bände. Das zeigte sich zu Beginn des zweiten Aktes: „È morta ogni pietà“ schoss mit Entschlossenheit aus Jana Kurucovás Kehle. Ab diesem Moment gehörte der Abend dann ganz Diana Damrau, erst musste sie ihre Sünden (und eben auch ihre Mitwirkung an der Babington-Verschwörung) Talbot beichten, dann berührte sie das Publikum mit einer wunderschön vorgetragenen Preghiera (der Vergleich mit dem szenischen Rollendebüt vor wenigen Wochen in Zürich drängte sich natürlich auf – hier in Berlin war das um Welten besser, weil dynamisch viel eindringlicher und differenzierter aufgebaut). Frau Damrau glänzte im Quartett vor ihrer Hinrichtung mit intensiven, tragenden Piani und vermochte mit dem „Addio“ echte Rührung zu evozieren.

Zwischen den beiden Königinnen steht Graf Leicester. Er kämpft (wahrscheinlich nicht ganz uneigennützig) um Versöhnung und scheitert grandios, weil er nämlich alles verliert, das Herz Elisabettas und den Kopf Marias. Javier Camarena ersang sich an diesem Abend einen wahren Triumph: Besser kann man sich das kaum vorstellen. Das war traumhaft schön, sauber und mit größtmöglicher Präzision gestaltet und intoniert, die Phrasierung offenbarte eine exemplarische Stilsicherheit, dynamisch alles fein austariert, tragende Piani wunderschön auf den Atem gelegt und mit stupender Höhe die Sahne draufgesetzt. Kein Wunder löste seine Arie im ersten Akt gleich einen Begeisterungssturm aus.

Wie bereits bei der szenischen Aufführung in Zürich sang Nicolas Testé einen vortrefflichen, warmstimmigen und um das Wohl Marias besorgten Talbot. Aufhorchen ließ Dong-Hwan Lee mit wunderbar samten klingendem Bass als Sir William Cecil, der seine politischen Ziele jedoch mit aller Entschiedenheit verfolgte. Amira Elmadfa als Anna Kennedy bereicherte die Ensembles mit ihrem ebenmäßigen, sehr präsenten Mezzosopran.

Francesco Ivan Ciampa leitete das solide aufspielende Orchester und den satt intonierenden Chor der Deutschen Oper Berlin mit präziser Zeichengebung, horchte ausgezeichnet auf die Sänger und war ihnen ein zuverlässiger Partner. Zwar war die Preghiera der Maria für meinen Geschmack tempomäßig etwas zu schnell (wenn auch nicht gar so überhastet wie Mazzola das in Zürich angegangen war) – aber vielleicht bin ich einfach eine Kitschseele.

Das war ein ganz wunderbarer Belcanto-Abend – und der Genuss war noch ungetrübter, weil man sich nicht über irgendwelche szenischen Rätsel ärgern musste, sondern sich ganz dem Genuss herausragender Stimmen und augenzwinkernder Darstellung hingeben konnte.

Dissonante Töne gab es allerdings ganz am Schluss: Javier Camarena trat nochmals aufs Podium, als das Publikum bereits den Ausgängen zuströmte und holte es mit der Ankündigung zurück, dass heute Diana Damraus Geburtstag sei. Das nun folgende, aus über tausend Stimmen erklingende, in babylonischem Wirrwarr angestimmte „Happy Birthday“ war alles andere als belkantesk, doch das Geburtstagskind freute sich wie ein Kind über das spontane Ständchen!

Kaspar Sannemann 3.6.2018

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